Die Kunst bleibt ausdruckslos in der
gegenwärtigen Krise
Dürers Holzschnitt der vier
apokalyptischen Reiter kennt jeder, die noch eindringlicheren
dystopischen Fantasien von Hieronymus Bosch ebenso. Vor allem
mittelalterliche Künstler fanden immer wieder verstörende
Ausdrucksmittel für das Grauen, das in Korrelation zum theologischen
Begriff der Hölle stand. Krieg, Pogrome, Missernten, Erdbeben und
auch Epidemien, allen voran die ab 1348 in Europa immer wieder
wütende Pest, konnten auf einen Nenner gebracht werden. Doch
bezüglich der bildlichen Mittel der Darstellung bot die Religion
keine verbindlichen Vorgaben, da konnten sich die Künstler
gegenseitig überbieten.
Auch später fanden Kreative aller
Sparten eindringliche Bilder für das Schlimme, Böse, Katastrophale,
ob nun Goya, Böcklin oder auch Otto Dix mit seinem bewegenden
Schützengraben-Tryptichon, das man in Dresden sehen kann.
Für die weltweite Corona-Krise wurden
noch keine adäquaten Mittel der Darstellung gefunden. Zwar kann man
einwenden, dass frühere Schreckensdarstellungen zumeist auch erst im
Nachhinein entstanden, doch haben sich die Mittel der Verbildlichung
im digitalen Zeitalter so beschleunigt, dass dies kein Argument sein
kann. Für andere Themen gibt es ja neue Symbolbilder, ob nun der
Mann vor dem Panzer auf dem Platz des Himmlischen Friedens oder der
ertrunkene Flüchtlingssohn Alan Kurdi. Oder – etwas älter – das
Foto von Nick Út eines fliehenden vietnamesischen Mädchens, welches
bei einem Napalm-Angriff schwer verletzt wurde.
Egal, welches Massenmedium man heute
nutzt, es gibt kaum ein anders Thema als diese Pandemie. Und was
sieht man in Zeiten des „iconic turn“? Natürlich das Virus oder
wie man es sich vorstellt. Manchmal in Schwarzweiß einer Pusteblume
ähnelnd, häufiger in starken Farben. Eine Kugel, aus der Saugnäpfe
oder Blütenstände hervorbrechen. Jedenfalls wirkt es grundsätzlich
eher schön als bedrohlich. Die Erreger der Pocken und anderer
Epidemien sahen auch nicht viel anders aus, doch man hatte nicht die
technischen Mittel, sie sichtbar zu machen. Also mussten die Künstler
die Fantasie bemühen. Realistische Darstellungen der Ärzte mit
Vogelschnabel-Masken oder Karren mit gestapelten Leichen waren da
eher ein Notbehelf. Die apokalyptischen Konstrukte wirkten
eindringlicher.
Die heutigen Künstler konnten wohl
noch nicht auf die neue Situation reagieren, die Massenmedien müssen
die Sichtbarmachung von Covid 19 übernehmen. Die
Vogelschnabel-Masken sind Hightech-Verhüllungen gewichen, soweit
verfügbar. Doch Ärzte und Helfer in solcher Ausrüstung wirken eher
beruhigend, sind sie ja nicht Teil des Problems, sondern Bekämpfer.
Das machen sich dann Autokraten wie Putin zunutze, der in
qietschgelbem Vollschutz durch eine Klinik stapft, um seine
Entschlossenheit zu demonstrieren. Und zu Stars gewordene Virologen
wie der telegene Christian Drosten sind noch mehr Heilsbringer, egal
was sie verkünden.
Was sieht man noch? Zeitraffer-Videos
von einer Baustelle in Wuhan, wo in wenigen Tagen ein riesiges
Krankenhaus entsteht. Gleichfalls ein positives Symbol: Man tut doch
alles, was menschenmöglich ist! Der Mundschutz als das überragende,
wenn auch nicht unumstrittene Bild für die Vorsicht taugt kaum als
Ikone, wird er doch gerade in asiatischen Ländern seit langem
getragen, vor allem wegen des Smogs.
Leere Regale in Supermärkten, wo
Klopapier liegen sollte, sind eher ein spezifisch deutsches Meme, so
wie ausverkaufte Waffenläden in den USA. Das lässt sich nicht
übergreifend verwenden. Dann gibt es aber noch die Bilder
italienischer Armee-LKWs, die Särge abtransportieren, weil die
lokalen Krematorien überlastet sind. Doch auch das hat noch keine
Allgemeingültigkeit. Dann schon eher die Aufnahmen von verwaisten
Straßen und Plätzen in Metropolen, die ansonsten voller Menschen
sind. Doch die Ursache wird dabei nicht sichtbar.
Das ikonografische Problem bei Covid 19
ist, dass Genesende keine Spuren zeigen wie auf George Grosz` Bildern
von Kriegskrüppeln oder Bilder von Lepra-Überlebenden. Entweder
oder. Sterben oder gesunden. Der Tod ist kaum sichtbar. Das Ersticken
eines schwer Erkrankten kann man nicht in ein Bild fassen, höchstens
in ein Video. Doch wer ist so skrupellos, das zu machen? Es bleibt
ein bildloser Tod.
Seit reichlich hundert Jahren gibt es
abstrakte Kunst. Im Moment muss wohl auch eine Abstraktion jede
Gegenständlichkeit ersetzen. Jeden Morgen starren wir auf die Kurve
der Neuinfektionen im Staat, im Bundesland, in der Stadt oder der
Welt. Und wie viele sind genesen, wie viele gestorben? Diese Kurven,
ob vom RKI oder der Johns Hopkins University, sind aussagekräftiger
als jedes figürliche Bild. Hofft man zumindest. Mögen sie flacher
werden! Wer wünscht sich das schon von Kunstwerken?