Nun also doch: Chemnitz

Ganz ehrlich: Als ich vor paar Jahren hörte, dass Chemnitz sich als Kulturhauptstadt Europas bewirbt, habe ich gelacht. Aber vor zwei Monaten schrieb ich eine Mail an einen Verleger, bei dem ich schon ein Buch über Chemnitz gemacht habe, dass ich so ein Bauchgefühl habe, Chemnitz könne es wirklich werden. Nun schnell noch eine Publikation zu machen war nicht machbar. Auch nicht nötig. Bis 2025 ist noch Zeit, darüber nachzudenken.

Eigentlich freue ich mich über die Entscheidung. Weniger, weil ich vielleicht mit etwas Fachwissen davon profitieren kann. Die Stadt hat Potential, braucht aber einen Schub, der wohl von außen kommen muss. Falls das kein Strohfeuer bleibt, das in diesem besonderem Jahr abgebrannt wird, und dann bleibt nur Asche.

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Schießscheibenbildanalyse

Aus der heftigen, doch indirekt ausgetragenen Auseinandersetzung mit dem Malerstar Neo Rauch hat der seit fünf Jahren in Leipzig lebende Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich ein Buch gemacht. Das rund 150 Seiten umfassende Büchlein im Taschenformat trägt den Titel Feindbild werden. Den Wortbestandteil Bild muss man hier wörtlich nehmen. Den Untertitel Ein Bericht weniger, denn es ist natürlich keine breitgewalzte Darstellung des Vorganges, sondern eine theorielastige Reflexion. Und dann gibt es noch einen zweiten Untertitel: Der neue Ost-West-Konflikt. Der hat es in sich, scheint es sich dabei doch zunächst gar nicht um Kunsttheorie zu handeln.
Die Vorgänge sind weitgehend bekannt. Ullrich schreibt in Die Zeit 21/2019 einen Artikel Auf dunkler Scholle über den Rechtsdrall unter einigen deutschen Intellektuellen, in dem er auch auf Rauch verweist. Dieser rächt sich mit einer großformatigen, als Ölmalerei ausgeführten Karikatur Der Anbräuner im selben Blatt. Wochen später wird es in einer Charity-Auktion vom Immobilienhai Christoph Gröner für eine dreiviertel Million erworben.
Daraus ein Buch zu machen, klingt nach Narzissmus. Doch Ullrichs erster Satz ist Es gab gute Gründe, dieses Buch nicht zu schreiben. Ein längerer Prozess des Nachdenkens und Umdenkens (er hielt das Bild zunächst für ein Selbstporträt Rauchs) hat ihn dann doch zu dieser Schrift, die eben kein Bericht ist, veranlasst.

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Eher über- als bewältigt

Wenn Bücher ganz nah am Zeitgeist sein wollen, kann es passieren, dass Ereignisse dazwischen kommen, die vieles umkrempeln. So ist es Max Czollek passiert, der im März den Feinschliff an seinem Langessay vornehmen wollte und vom Lockdown überrascht wurde. Mehr Zeit also, aber auch neue Themen. Zum Beispiel der gesellschaftliche Zusammenhalt, der damals greifbar erschien und heute in weite Ferne gerückt ist.

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Schicks Sortierkasten

Ja, es gibt Alltagsrassimus auch gegen Leute, denen man die undeutsche Herkunft gar nicht ansieht. Das kenne ich aus meinem persönlichen Umfeld. Aber es gibt auch Rassismus von Menschen, die selbst betroffen sind und deshalb zurückschlagen. Undifferenziert, um jeden Preis. Vor allem der Aufmerksamkeit wegen. Die Autorin Sibel Schick gehört dazu.

Vor Kurzem fand sie es in Ordnung, dass in Berlin-Neukölln sogenannte Linksradikale an einem Abend etliche Schaufenster einschlugen, viele davon von Ladenbesitzern migrantischer Herkunft. Aber wohl überwiegend Türken. Keine Kurden, so wie sie. Das ist dann ok.

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Wanderzirkus

Ich muss nochmals auf das Thema des vorherigen Posts eingehen. Am Dienstag erschienen in der LVZ mehrere Leserbriefe zu den beiden Artikeln der vorigen Woche. Erschreckend ist dabei die Zuschrift des Kunsthändlers Claus Baumann. Darin heißt es: Herr Zöllner hat Recht mit dem, dass er an der Museumspolitik kritisiert. Ein Museum ist nicht dazu da, die Leute zu verdummen. (Rechtschreibung entspricht dem Original). Und man müsste neben Wagenbrett und der Gruppe Opal noch mindestens 300 andere Ortsansässige ausstellen.

Ich habe eine Email an Baumann geschrieben und tatsächlich eine Antwort bekommen. Daraus zitieren darf ich aus rechtlichen Gründen nicht. Zusammenfassung: Dr. Claus Baumann ist der Einzige, der die Spezifik der Leipziger Kunstentwicklung wirklich kennt und versteht. Auf meine Frage, was er genau mit der „Verdummung“ meint, geht er aber nicht ein.

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So ein Zirkus

Zugegeben: Ich empfinde als einen kleinen Verrat, dass Alfred Weidinger so schnell das MdbK wieder verlassen hat. In diesen knapp drei Jahren hat er aber vieles erreicht oder zumindest angeschoben, das hoffentlich Bestand haben wird.

In dieser Zeit habe ich vom Kunsthistoriker Frank Zöllner keine Kritik an der Museumsleitung gehört. Im Gegenteil. Vor einem Jahr durfte der Leonardo-Spezialist in dem Haus eine Schau mit dem vielsagenden Titel „Leonardo war nie in Leipzig“ zeigen, auf die man hier hätte verzichten können. Nun aber teilt er im Nachgang kräftig aus, gerade passend in der offenbar noch laufende Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger. Was ihn dazu bewegt, verstehe ich nicht.

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Der Abend des Architekten

alle schönen Häuser sind schon gebaut

alle zweckmäßigen Häuser sind schon gebaut

manche zweckmäßigen Häuser sind schön

was sollen Architekten noch machen?

Häuser von 1000 Metern Höhe bauen

die weder schön noch zweckmäßig sind

Außenhülle verdrehen, verformen, zurechtkneten

die Funktionen dann reinstopfen

Zwecke verändern sich

Schönheit verändert sich

auf die Veränderung der Zwecke kann der Architekt horchen

die Veränderung der Schönheit ist seine eigene Aufgabe

auf schnellen Applaus darf er nicht hoffen

also erstmal sein zweckmäßiges Haus verlassen

eine Runde mit der Dogge um´s hässliche Karree

dann ein Glas Chianti am schönen Couchtisch

und etwas Houellebecq lesen

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Obduktion einer Radikalisierung

Hajo Funke untersucht in einem brandneuen Buch, wo die AfD heute steht, und wie es weitergehen könnte

War die AfD irgendwann nicht radikal? Bernd Lucke und Hans Olaf Henkel waren zwar gegen den Euro und gegen die EU, aber nicht gegen einen demokratisch strukturierten Nationalstaat. Frauke Petrys Erfolg war, diese Gründer herauszudrängen, um den völkischen Nationalismus in der Partei zu stärken. Sie scheiterte dann am Ausschluss Höckes, musste selbst gehen. Sie als gemäßigt zu bezeichnen, fällt aber auch im Nachgang schwer.

Der Politikwissenschaftler Hajo Funke hat bereits vor zwei Jahren ein Buch über die AfD verfasst, dessen Titel „Gäriger Haufen“ sich auf ein Zitat von Alexander Gauland bezieht, den Zustand der Partei charakterisierend. Dieser Begriff taucht im Untertitel der aktuellen Publikation wieder auf: „Vom gärigen Haufen zur rechtsextremen `Flügel´-Partei.“ Da hat sich also in der Zeit seit der Bundestagswahl einiges sortiert.

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Heimat?

Im Mai habe ich mein Elternhaus in der Oberlausitz verkauft, wo ich die ersten 16 Jahre des Lebens zugebracht habe. Das tat weh, muss ich zugeben. Aber sinnvolle Alternativen waren nicht in Sicht. Irgendwie bin ich aber auch froh, mit dieser Gegend nichts mehr zu tun zu haben. Es ist ein netter Ort im Bergland nahe der tschechischen Grenze, auch das Fachwerkhaus mit Umgebinde ist schön. Doch es gibt mehrere, nicht nur berufliche, Gründe, da nicht leben zu wollen. Zum Beispiel mehr als 30 Prozent Wählerstimmen für die AfD. Sicher gehören auch einige meiner früheren Mitschüler dazu.
Dabei muss ich mal wieder über den Begriff Heimat nachdenken. Habe ich die nun verloren? Solange meine Eltern noch lebten und sich die Familie zumindest zu Weihnachten mal traf, war schon noch etwas emotionale Verbundenheit da. Aber heute habe ich nicht das Gefühl, die Heimat verloren zu haben.
Nach dem Studium in Leipzig wurde ich 1988 nach Karl-Marx-Stadt „vermittelt“. Frei bewerben konnte man sich nicht. Und bei der Wahl zwischen Merseburg, Magdeburg und KMSt erschien mir das dritte als das kleinste Übel. Von dort war es immerhin noch am einfachsten, mal zu den Eltern zu fahren. Häufiger war ich dennoch an den Wochenenden in Leipzig.
Trotzdem habe ich 18 Jahre in Chemnitz, wie es bald wieder hieß, gelebt. Zu lange. Heimisch bin ich da nie so richtig geworden, obwohl ich die Stadt besser kenne als viele der Eingeborenen. Seit der Arbeit an der Dissertation über die Architektur und Stadtentwicklung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts habe ich mich intensiv mit der gesamten Stadtgeschichte beschäftigt. Nur die Illusion, das ich mit diesem Fachwissen eine brauchbaren Job bekommen könnte, hat mich solange da gehalten. Zu lange. 2005 war es dann Zeit, die Reißleine zu ziehen. Da ich noch eine Teilzeitbeschäftigung da hatte, kamen all zu weite Ziele nicht in Frage, eigentlich standen nur Dresden und Leipzig zur Wahl.
Dann also Umzug nach Leipzig. Die richtige Wahl. Ist das meine Heimat? Ich fühle mich wohl hier, was mir sicherlich im heutigen Dresden schwer fallen würde. Dennoch kann ich mir vorstellen, nochmal weiterzuziehen. Und dass muss nicht unbedingt im deutschsprachigen Raum sein. In der Toskana würde ich sogar akzeptieren, in der Provinz zu leben, was hier für mich nicht mehr infrage kommt.
Das Wort Heimat hängt mit dem Heim zusammen, dem Zuhause. Im englischen home ist die Verbindung noch direkter. Im Russischen aber ist rodina der Ort der Geburt. So gibt es in den Sprachen schon mal fundamentale Unterschiede der Bedeutung. Meinen Kindheitsort habe ich unwiederbringlich verloren. Mein Heim ist im Moment Leipzig, und ich bin gern hier. Doch dazu Heimat zu sagen, fällt mit trotzdem schwer.

Nachtrag 03.07.2020

Für eine Buchrezension habe ich gerade zur Biografie von Erika Steinbach nachgeschlagen, der Obervertriebenen. Ihre Eltern kamen aus Hessen und Bremen. Sie wurde im durch die faschistische Wehrmacht eroberten Ostpreußen geboren, musste mit anderthalb Jahren aus ihrer „Heimat“ fliehen. Das sagt alles über den Heimatbegriff der Rechtsextremen.

Mein Vater und seine Familie kamen aus Schlesien. Es waren arme Landarbeiter. 1946 wurden sie ausgesiedelt. In der Oberlausitz fanden sie ein Heim. Mein Vater, der wegen des verbrecherischen Eroberungskrieges nicht einmal die zehnte Klasse abschließen konnte, machte da seine Berufsausbildung, holte das Abitur nach, wurde Lehrer. Inbrünstig sang er gern „Oberlausitz, geliebtes Heimatland …“ – er, der Vertriebene. Zwischen Herkunft und Heimatgefühl kann es gravierende Unterschiede geben.

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Du sollst dir kein Bildnis machen

Die Kunst bleibt ausdruckslos in der gegenwärtigen Krise

Dürers Holzschnitt der vier apokalyptischen Reiter kennt jeder, die noch eindringlicheren dystopischen Fantasien von Hieronymus Bosch ebenso. Vor allem mittelalterliche Künstler fanden immer wieder verstörende Ausdrucksmittel für das Grauen, das in Korrelation zum theologischen Begriff der Hölle stand. Krieg, Pogrome, Missernten, Erdbeben und auch Epidemien, allen voran die ab 1348 in Europa immer wieder wütende Pest, konnten auf einen Nenner gebracht werden. Doch bezüglich der bildlichen Mittel der Darstellung bot die Religion keine verbindlichen Vorgaben, da konnten sich die Künstler gegenseitig überbieten.

Auch später fanden Kreative aller Sparten eindringliche Bilder für das Schlimme, Böse, Katastrophale, ob nun Goya, Böcklin oder auch Otto Dix mit seinem bewegenden Schützengraben-Tryptichon, das man in Dresden sehen kann.

Für die weltweite Corona-Krise wurden noch keine adäquaten Mittel der Darstellung gefunden. Zwar kann man einwenden, dass frühere Schreckensdarstellungen zumeist auch erst im Nachhinein entstanden, doch haben sich die Mittel der Verbildlichung im digitalen Zeitalter so beschleunigt, dass dies kein Argument sein kann. Für andere Themen gibt es ja neue Symbolbilder, ob nun der Mann vor dem Panzer auf dem Platz des Himmlischen Friedens oder der ertrunkene Flüchtlingssohn Alan Kurdi. Oder – etwas älter – das Foto von Nick Út eines fliehenden vietnamesischen Mädchens, welches bei einem Napalm-Angriff schwer verletzt wurde.

Egal, welches Massenmedium man heute nutzt, es gibt kaum ein anders Thema als diese Pandemie. Und was sieht man in Zeiten des „iconic turn“? Natürlich das Virus oder wie man es sich vorstellt. Manchmal in Schwarzweiß einer Pusteblume ähnelnd, häufiger in starken Farben. Eine Kugel, aus der Saugnäpfe oder Blütenstände hervorbrechen. Jedenfalls wirkt es grundsätzlich eher schön als bedrohlich. Die Erreger der Pocken und anderer Epidemien sahen auch nicht viel anders aus, doch man hatte nicht die technischen Mittel, sie sichtbar zu machen. Also mussten die Künstler die Fantasie bemühen. Realistische Darstellungen der Ärzte mit Vogelschnabel-Masken oder Karren mit gestapelten Leichen waren da eher ein Notbehelf. Die apokalyptischen Konstrukte wirkten eindringlicher.

Die heutigen Künstler konnten wohl noch nicht auf die neue Situation reagieren, die Massenmedien müssen die Sichtbarmachung von Covid 19 übernehmen. Die Vogelschnabel-Masken sind Hightech-Verhüllungen gewichen, soweit verfügbar. Doch Ärzte und Helfer in solcher Ausrüstung wirken eher beruhigend, sind sie ja nicht Teil des Problems, sondern Bekämpfer. Das machen sich dann Autokraten wie Putin zunutze, der in qietschgelbem Vollschutz durch eine Klinik stapft, um seine Entschlossenheit zu demonstrieren. Und zu Stars gewordene Virologen wie der telegene Christian Drosten sind noch mehr Heilsbringer, egal was sie verkünden.

Was sieht man noch? Zeitraffer-Videos von einer Baustelle in Wuhan, wo in wenigen Tagen ein riesiges Krankenhaus entsteht. Gleichfalls ein positives Symbol: Man tut doch alles, was menschenmöglich ist! Der Mundschutz als das überragende, wenn auch nicht unumstrittene Bild für die Vorsicht taugt kaum als Ikone, wird er doch gerade in asiatischen Ländern seit langem getragen, vor allem wegen des Smogs.

Leere Regale in Supermärkten, wo Klopapier liegen sollte, sind eher ein spezifisch deutsches Meme, so wie ausverkaufte Waffenläden in den USA. Das lässt sich nicht übergreifend verwenden. Dann gibt es aber noch die Bilder italienischer Armee-LKWs, die Särge abtransportieren, weil die lokalen Krematorien überlastet sind. Doch auch das hat noch keine Allgemeingültigkeit. Dann schon eher die Aufnahmen von verwaisten Straßen und Plätzen in Metropolen, die ansonsten voller Menschen sind. Doch die Ursache wird dabei nicht sichtbar.

Das ikonografische Problem bei Covid 19 ist, dass Genesende keine Spuren zeigen wie auf George Grosz` Bildern von Kriegskrüppeln oder Bilder von Lepra-Überlebenden. Entweder oder. Sterben oder gesunden. Der Tod ist kaum sichtbar. Das Ersticken eines schwer Erkrankten kann man nicht in ein Bild fassen, höchstens in ein Video. Doch wer ist so skrupellos, das zu machen? Es bleibt ein bildloser Tod.

Seit reichlich hundert Jahren gibt es abstrakte Kunst. Im Moment muss wohl auch eine Abstraktion jede Gegenständlichkeit ersetzen. Jeden Morgen starren wir auf die Kurve der Neuinfektionen im Staat, im Bundesland, in der Stadt oder der Welt. Und wie viele sind genesen, wie viele gestorben? Diese Kurven, ob vom RKI oder der Johns Hopkins University, sind aussagekräftiger als jedes figürliche Bild. Hofft man zumindest. Mögen sie flacher werden! Wer wünscht sich das schon von Kunstwerken?

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