Aus meinem Tagebuch der Moderne I

Wenige Stunden bevor gegen 1.30 Uhr der Anruf von meiner Frau aus Nowosibirsk kam, dass sie gut gelandet ist, habe ich mir nach mehr als zwanzig Jahren noch mal Elem Klimows bitteren Film „Abschied von Matjora“ angesehen. Da geht es um die Räumung eines sibirischen Dorfes, das in den Fluten eines Stausees verschwinden wird. Eigentlich geht es aber um die Fragwürdigkeit des sogenannten Fortschritts. „Wir verwandeln Matjora in Elektrizität!“ ruft der versoffene Dorfnarr aus.

Zugleich lese ich mit fast gleichem zeitlichen Abstand nochmals „Die Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer und Adorno. Kein Zufall. Als ich im Oktober einen Vortrag über die „Stadt der Moderne“ an der Chemnitzer TU halten sollte, wollte ich mir in der Bibliothek Überblicksliteratur zum Moderne-Begriff holen und staunte, dass es da nichts gibt. Wo Moderne oder auch Postmoderne betrachtet werden, dann immer aus einem ganz spezifischen Blickwinkel heraus. Nun lese ich schon seit Monaten dutzende Werke, um mir meine eigene Moderne-Definition zu basteln. Demnächst mehr in diesem Filmtheater.

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Knapp daneben

Da bin ich schon mal auf einem Youtube-Video zu sehen, und dann hat der Mensch an der Kamera offensichtlich keinen Blick für das Wesentliche gehabt. Oder gar nicht hingeguckt. Schade eigentlich.

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Heikle Dichtung

Seit Jahren schimpfe ich darüber, dass die zeitgenössische Dichtkunst für einen Normalkonsumenten elitär abgehoben, also weitgehend unverständlich, daherkommt. Nun bekam ich vom Herausgeber einen druckfrischen Band geschenkt, von dem man das nun überhaupt nicht behaupten kann, und wieder tue ich mich schwer mit einem uneingeschränkten Lob. Seit drei Wochen liegt Thomas Böhmes „Heikles Handwerk“ ausgelesen neben dem Computer, aber erst jetzt kann ich mich zu einer Stellungnahme durchringen.

Vom Leipziger Autor Böhme habe ich noch zwei Bücher im Schrank stehen, die schon zu DDR-Zeiten erschienen sind. Ich habe darin noch mal rumgeblättert und muss ihm eine gewisse Kontinuität in der Ausdrucksweise bescheinigen. Der neue Band nun vereint „66 Fallstudien“ in Form von Gedichten. Diese haben grundsätzlich 14 Zeilen, der Autor möchte sie aber auf keinen Fall als Sonette bezeichnet haben. Traditionsbewusstsein ist trotzdem nicht zu übersehen. Gelegentlich, aber ohne erkennbaren Grund für die Verteilung, kommen sogar Reime vor. Weiterlesen

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Schlaflos in Leipzig

Nicht dass es merklich kühler werden soll. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass niemand mehr die Nächte durch grölt und tutet, lässt auf besseren Schlaf hoffen.

Hab kurz überlegt, ob ich diese Sentenez per Zeilenbrechung als Gedicht a la Erich Fried ausgebe, die Idee dann aber mangels Tiefgang verworfen. Diese Hitze!

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Wahlfreiheit

Die Chemnitzer Einwohner durften ganz basisdemokratisch wählen, ob das neue Haus mitten in der City „Behördenzentrum Innenstadt“ oder „Bürgerhaus Am Wall“ heißen soll. Der zweite Vorschlag erhielt den Zuschlag. Angesichts der Vorliebe in dieser Stadt, Neubauten nostalgisch zu benennen, etwa Galerie Roter Turm, Alte Post, Moritzhof oder Türmer, hätte ich da einen andere Idee gehabt, die aber nicht zur Wahl stand. Nach einer ganz in der Nähe gelegenen früheren Institution hätte man doch den gesichtslosen Verwaltungsbunker Amtsfrohnfeste nennen können.

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Für Ohren und Augen

Wer sich entweder dem Fußball-Wahn voll hingegeben hat oder wegen der Hitze nicht aus dem Haus kam, weiß nicht, was er beim Livelyrix-Sommerfestival verpasst hat. Die wenigen Bilder hier können die zwischen Chillen und Euphorie schwankende Atmosphäre im Garten der Distillery natürlich nicht adäquat wiedergeben. Trotzdem!

Und ein ganz großes Dankeschön an alle Künstler(innen), die teilweise weit angereist waren, aber auch an das Team des Clubs, das uns drei Abende lang sehr nett betreut hat.

Sieger des Songslams: Ian Hooper aus Seattle.

Sieger des Songslams: Ian Hooper aus Seattle.

Den MDR im Hintergrund: Peh.

Den MDR im Hintergrund: Peh.

Das Dresdner Duo "Nellis Elefant" eröffnete den Songslam.

Das Dresdner Duo Nellis Elefant eröffnete den Songslam.

Lyrik mit und ohne Tamtam: Lydia Daher.

Lyrik mit und ohne Tamtam: Lydia Daher.

Ganz entspannt: das Publikum.

Ganz entspannt: das Publikum.

Keine El-Kaida-Zelle, wie man an den Weingläsern erkennt: Max Rademann und Jan Koch.

Keine El-Kaida-Zelle, wie man an den Weingläsern erkennt: Max Rademann und Jan Koch.

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So sehen Sieger aus

Die Flasche Sekt mussten sich Frank Klötgen und Pauline Füg letztlich teilen, weil der Beifall der mehr als 120 Besucher gleich stark war für beide Finalisten des gestrigen Slams zum Livelyrix-Sommerfestival imangenehm luftigen Garten der Distillery.

Heute abend geht es weiter mit dem Songslam, zu dem unter anderem Ian Hooper, Bernd Barbe, Max Rademann und Jan Koch antreten werden. Zuvor spielt noch die Dresdner Band Nellis Elefant.

Frank Klötgen und Pauline Füg teilten sich den Slam-Sieg.

Frank Klötgen und Pauline Füg teilten sich den Slam-Sieg.

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Jetzt wird’s heiß

Extra für uns wurde gestern die neue Brücke zwischen Kurt-Eisner- und Semmelweisstraße eingeweiht und die unmittelbar benachbarte Freianlage der Distillery wird bis heute abend auch noch fertig. Dann steigt zum Livelyrix-Sommerfest zuerst Jan Koch mit seiner Gitarre auf die Bühne, gefolgt von Spider als Featured Poet. Danach dann der große Slam der Extraklasse mit Andrè Herrmann, Franziska Wilhelm, Udo Tiffert, Wolf Hogekamp, Frank Klötgen, Peh, Pauline Füg, Keshrau Behroz und Max Rademann. Das wird heiß!

Übrigens haben wir einen Wettbewerb ausgeschrieben für einen griffigen Eigennamen, den das Festival dann im nächsten Jahr tragen soll. Voland & Quist spendet ein Bücherpaket für den Sieger.

Eintritt 6 Euro

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Feuchte Aussprache

In der heutigen Freien Presse wird ein Agenturbericht abgedruckt, in dem es um das neue Prince-Album geht, welches exklusiv nur als Beilage der Zeitschrift Rolling Stone vertrieben wird. Damit jeder Leser weiß, wer mit Prince gemeint ist, steht im Klammern dahinter „Aurale Rain“. Lieber DDP-Schreiber! Das Lied heißt „Oral Rain“ und ist ein Werbesong für eine Munddusche!

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Sommerminiatur Nr. 1

Dass ein nackter Mann aus dem See stieg, hatte kaum einer der ebenfalls gar nicht oder spärlich bekleideten Badegäste gemerkt. Erst als er laut ausrief „Ich bin Arzt, wie kann ich Ihnen helfen?“ wurden sie aufmerksam. Eine dicke Frau im lila Bikini ließ sich den Blutdruck messen. Niemand hatte gesehen, woher der nackte Arzt plötzlich die Ledertasche mit den Instrumenten genommen hatte. Ein zehnjähriger Junge fragte noch nach einem Pflaster für eine kleine Schnittwunde am Fuß, dann war der Bedarf an medizinischen Leistungen erschöpft. Der Arzt verabschiedete sich höflich und ging wieder in den See. Wohin die Ledertasche verwunden war, blieb unklar. Bald war nun noch der Kopf des schwimmenden Mannes zu sehen, schließlich konnte man auch diesen nicht mehr erkennen.

Kurz darauf begab sich eine blutjunge, gertenschlanke Spanierin, deren entblößter Körper schon viele Blicke auf sich gezogen hatte, ins Wasser, welches trotz der angenehmen Lufttemperatur noch maienkühl war. Obwohl ihre Nippel beängstigend weit hervortraten, warf sie sich mutig in die kräuselnden Wellen. Der Schmerz des Herzinfarkts ließ nur einen kurzen Aufschrei zu, dann herrschte Stille. Drei Männer stürzten hilfreich herbei, versuchten Herzdruckmassage und Beatmung an verschiedenen Körperstellen. Doch ihre mangelnden anatomischen Kenntnisse machten die Bemühungen zwecklos. Schade, dass gerade kein Arzt da war.

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