Wie die alten Rittersleut

Bei meinem fortgesetzten Kampf mit der Chimäre namens Hochkultur habe ich an unerwarteter Stelle eine Erklärungshilfe gefunden.  Warum sich gerade Funktionäre von SPD, Grünen oder Linken in Bezug auf kulturelle Präferenzen manchmal noch dünkelhafter verhalten als ausgewiesene Konservative, erläutert Arnold Hauser in seiner 1953 erschienenen Sozialgeschichte der Kunst und Literatur anhand des spätmitelalterlichen Rittertums. Diese Parvenus unter den Adligen, aus dem Berufskriegerstand hochgerackert, achteten nämlich besonders pedantisch auf höfische Etikette und Moral. Hauser: Es ist eine wohlbekannte, in der Geschichte der Gesellschaftsklassen sich oft wiederholende Erscheinung, daß die neuen Mitglieder einer privilegierten Schicht in ihren Anschauungen über Fragen der Standesmäßigkeit rigoroser sind als die alten Vertreter des Standes und daß ihnen die Ideen, die die betreffende Gruppe zusammenhalten und von anderen Gruppen unterscheiden, stärker zum Bewußtsein kommen als denjenigen, die in diesen Ideen aufgewachsen sind.

Allerdings ist ja seit Don Quichote bekannt, wie es den zu spät kommenden Rittern ergeht. Sie werden zur Witzfigur.

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Heiteres Städteraten

Die Rechtschreibkommission hat ja im zurückliegenden Jahrzehnt schon ganze Arbeit geleistet, das ehemals starre Regelwerk der deutschen Sprache zu entkrampfen. Nun legt die Bahn AG nach und will auch bei der Schreibung von Ortsnamen eine Liberalisierung bewirken. Vielleicht soll uns mit der variantenreichen Anzeigetafel im Chemnitzer Hauptbahnhof aber auch nur gesagt werden, dass es gleich ist, wohin man fährt – alle Züge haben Verspätung.

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Pole Position

Zwar weiß ich, dass heutige Diskos erst zu einer Stunde beginnen, als zu meiner aktiven Diskozeit schon die Stühle hochgestellt wurden. Doch eine Silvesterparty, die Punkt Mitternacht ihren Höhepunkt haben soll, könnte doch eigentlich gegen 21 Uhr beginnen. So stand es ja auch im Programm. Jedenfalls waren wir dank meiner Drängelei die ersten, die am letzten Abend des Jahres an der Clubeinlasstür standen. Die Garderobenmarke mit der mageren 1 durften wir deshalb auch mitnehmen. Und wir kamen in den Genuss, auf einem bequemen Sofa einen uralten ungarischen Trickfilm im zweimaligen Durchlauf genießen zu können, einmal davon mit englischen Untertiteln. Jedenfalls wurde es noch eine schöne, sich langsam steigernde Nacht in der Südvorstadt.

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Guten Rutsch …

… kann ich allen nur wünschen, wenn ich so aus dem Fenster schaue, wo der Regen gerade in Schnee übergeht. Wir wollen jedenfalls heute abend mal bei Horns Erben vorbeirutschen, wo zwei Kapellen aufspielen sollen.

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Gescheitertes Ranking

Schlagzeilen diverser Magazine und Zeitungen, die einen Rückblick auf das Jahrzehnt offerieren, haben mich irritiert. Ich dachte, das Jahrzehnt sei erst in einem Jahr zu Ende. Bei den Milleniumsfeiern 1999/2000 wurde ja ausführlich über den Denkfehler mit der Null am Ende referiert und diskutiert. Nun sind sich aber alle Medien seltsam einig, dass erst mal Schluss sei. Wohl deshalb, weil die Bezeichnung Nuller-Jahre nicht gerade schön klingt.

Somit bin ich im freiwilligen Zugzwang. Ich hatte mir nämlich vorgenommen, die zehn Bücher aufzulisten, die mich in diesem Jahrzehnt am meisten beeindruckt haben. Beim Versuch, diese Auflistung nun unerwartet ein Jahr vorziehen zu müssen, kam ich heftig ins Schwimmen. Mir fallen leider keine zehn Werke ein, denen ich guten Gewissens mehrere Sternchen verpassen möchte. Liegt das an der Qualität der Literatur, an meinem zu geringen Lesepensum oder am nachlassenden Erinnerungsvermögen?

Sicher ist zumindest, dass Wie der Soldat das Grammofon repariert von Sasa Stanisic auf den ersten Platz käme. Danach würde ich Andrej Kurkows Picknick auf dem Eis platzieren. Aber dann wird es schon schwierig. Als wir träumten von Clemes Meyer ist in der Auswahl. Paul Fattarusos Isabellas Liebe zum Flügelhorn hat mich in der Machart sehr beeindruckt, Rocko Schamonis Risiko des Ruhms mehr in der Unverschämtheit des Zusammenbastelns.

Natürlich haben mir noch etliche weitere Bücher gut gefallen, etwa Die Titanic und Herr Berg von Kirsten Fuchs, aber nicht so, dass ich sie als herausragend titulieren würde. Vielleicht schaffe ich 2010 noch genügend Lesestoff, um zum echten Jahrzehntwechsel eine komplette Top Ten aufstellen zu können.

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Liebe Stamm- und Zufallsbesucher,

wie ihr seht, wird in Zeiten der Krise der Baumschmuck immer innovativer. Kleiner Tipp: Statt Lametta kann man auch bronzierte Spaghetti verwenden.

Doch 2010 geht ja alles wieder nach oben. Seid also frohen Mutes – feiern kann man auch barfuß!

In diesem Sinne wünschen wir alles Gute!

Olga und Jens

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Kurz und schmerzhaft

Während ich in den letzten Monaten jede Menge Sachliteratur konsumiert habe, ist die Belletristik ziemlich kurz gekommen. So habe ich spontan zugegriffen, als ich in der Bibliothek ein mir noch unbekanntes Büchlein von Kurt Vonnegut sah. Ich dachte eigentlich, er sei schon lange tot. Nach Wikipedia-Recherche musste ich feststellen, dass er es unterdessen tatsächlich ist. Er starb 2007 nach einem häuslichen Sturz. Weiterlesen

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Das Kind mit dem Bade

Blamage in Leipzig ist ein Artikel von Matthias Grünzig im Dezemberheft der db – deutsche bauzeitung überschrieben. Es geht um die Uni-Neubauten am Augustusplatz. Die berechtigte Kritik am unsäglichen Treiben des fundamentalistischen Paulinervereins verführt den Autor zur (un)logischen Ableitung, dass es sich deshalb folgerichtig um schlechte Architektur handeln muss. Das sei ja schon daran zu erkennen, dass der Bau zum Unijubiläum nicht fertig geworden sei (Grünzig bezeichnet ihn fälschlich als Torso). Den Vorgängerbau – ein Kasten, wie es ihn tausendfach in aller Welt gibt – findet er als qualitätvoll. Ich kann mich noch gut an die Plastikschüsseln erinnern, die dort in den Obergeschossen das eindringende Regenwasser auffangen mussten.

Nun kann man die von Erick van Egeraat entworfenen neuen Gebäude tatsächlich für missraten halten. Die Argumentation sollte sich dann aber innerhalb der Architekturkritik bewegen und nicht alles Mögliche miteinander vermengen. Ich werde jedenfalls warten, bis zumindest die Außenhülle fertig ist, bevor ich mir eine Meinung bilde. So kann man nicht von abweisenden Natursteinfronten sprechen, bevor man sie gesehen hat. Wenn Naturstein per se abweisend sein soll, dann ist die große Mehrheit der Weltarchitektur unzugünglich.

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Noch eine Werkstatt nötig

Gern komme ich der Bitte von Gesche Blume nach, auf ihre neue Schreibwerkstatt hinzuweisen. Allerdings möchte ich der Autorin zugleich empfehlen, von ihrer ehemaligen Ausbildungsstätte, dem Leipziger Literaturinstitut, mal die Straßenseite zu wechseln und HGB-Studenten um Hilfe bei der Gestaltung des Werbeblättchens zu bitten. Das Auge liest mit!

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Wechseljahre

To Everything (Turn, Turn, Turn)
There is a season (Turn, Turn, Turn)
And a time to every purpose, under Heaven

(The Byrds, Turn! Turn!)

Dass in den Feuilletons schon seit langem von einem lingustic turn gesprochen wird, war mir bekannt. Um nun herauszufinden, was es mit dem spatial turn auf sich hat, der immer häufiger im Fach-Slang auftaucht, habe ich das Buch Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften von Doris Bachmann-Medick gelesen und feststellen müssen, dass es vor Turns nur so wimmelt. Weiterlesen

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