11 Stufen nach oben

Da sich in meinen Blog-Stats anhaltend und gar zunehmend Suchanfragen zum Begriff Hochkultur finden, will ich paar Thesen dazu veröffentlichen. Die sind schon vor einigen Wochen notiert worden, aber alles andere als fertig. Doch Thesen haben es eben so an sich, hingeworfene Brocken zur Diskussion zu sein, Reparaturen und Rückrufaktionen eingeschlossen. Vielleicht sind die hilfesuchenden Netzsurfer ja Abiturienten mit Pflichtreferatsthema oder aber ministeriale Angestellte der neuen sächsischen Regierung, die Orientierung benötigen. Dann würde der Entwurf noch einen praktischen Nutzen haben.

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1. Es existiert keine gültige, das heißt am praktischen Gebrauch messbare, Definition des Begriffs Hochkultur. Sie lässt sich nicht positiv fassen, sondern immer nur nach dem Ausschlussverfahren als Nicht-Zugehörigkeit zu Massen-, Alltags-, Trivial-, Populärkultur.

2. Historisch ist der Begriff mit dem Autonomwerden der Künste im Prozess der Verbürgerlichung der europäischen Gesellschaften entstanden. Trotz der engen Bindung an das ökonomische und intellektuelle Bürgertum konserviert sich in der „Hochkultur“ die unauslöschliche Restsehnsucht nach feudaler, erwerb- wie auch vererbbarer Abhebung vom Pöbel.

3. In der Gegenwart ist „Hochkultur“ ein ideologischer Schützengraben in den Rückzugsgefechten ökonomischer Eliten zur Verteidigung von Privilegien und Statusgrenzen.

4. Eine Festschreibung qualitativer Kriterien von „Hochkultur“ muss zwingend scheitern, da sich für jedes angeführte Beispiel ein Vielfaches an Alternativbeispielen gleichen Niveaus aus den ausgeschlossenen Bereichen anführen lässt.

5. Funktional dient „Hochkultur“ vordergründig der Selbstrepräsentation der legitimierten Rezipienten.

6. Das initialisierende Hereinholen bisher ausgeschlossener Elemente in den Container namens „Hochkultur“ obliegt Hohepriestern, welche durch eine Allianz von wirtschaftlicher Elite, affirmativer Intelligenz und gehobenem Kunstmarkt scheinbar legitimiert werden. Der Zwang zur Ähnlichkeit neuer Elemente mit dem bereits legitimierten Kanon wirkt anti-innovativ. Da nur gut abgehangene Ware relativ risikofrei kanonisiert werden kann, ist „Hochkultur“ überwiegend retrospektiv.

7. Die Kanonisierung verläuft in den einzelnen Kunstsparten differenziert. Klassische Musik sowie durch die öffentliche Hand institutionalisierte Theater/Musiktheater gehören per se dazu. In der zumeist durch Einzelakteure produzierten Literatur ist das Kriterium der „Schwierigkeit“ unabdingbar für eine Akzeptanz, ähnlich aber auch beim Film. In der Bildenden Kunst wirkt der gehobene Kunstmarkt ohne eindeutig nachvollziehbare Prinzipien kanonisierend.

8. Die heutigen Akteure der Kreativindustrie sind mehrheitlich von der „Hochkultur“ ausgeschlossen, haben aber die Chance, bei anhaltend regelkonformem Verhalten aufgenommen zu werden.

9. „Hochkultur“ ist nicht auf die Künste begrenzt, sondern schließt im Interesse der Repräsentationsfunktion einen relativ weiten Kulturbegriff ein (Essen, Mode, Wohnen, Fahrzeuge …). Diese Bereiche haben konstituierende Hilfsfunktionen.

10. Entgegen des Anscheins ist „Hochkultur“ Mainstream. Zu hyper-elitären Tendenzen wie Neue Musik, Free Jazz oder Gegenwartslyrik zeigt sie sich kaum kompatibel.

11. „Hochkultur“ als Begriffs-Konstrukt ist in hohem Maße anti-partizipatorisch und undemokratisch.

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