Keine Gewalt!

Ein Tagebuch nennt sich Clemens Meyers jüngste Buchveröffentlichung Gewalten im Untertitel. Meyer, einst als der „meisttätowierte Schriftsteller Deutschlands“ etikettiert, war schon nach dem Erfolg seines Erstlings Als wir träumten reichlich genervt, immer wieder nach der „Authetizität“ des Geschilderten befragt zu werden. Selbst schuld, könnte man nun angesichts solch einer selbstgewählten Gattungsbezeichnung sagen, wenn die Fragerei in der Gegenwart fortdauert.

Natürlich ist es kein Tagebuch, auch wenn ab und zu Datumsangaben gemacht werden – recht vage. Die Geschichten handeln 2008 und 2009. Oder auch nicht, weil die Erzählzeit eben nicht durchweg „authentisch“ ist, sondern manchmal fiktiv. Ohne jede Erfindung ist sicherlich die absichtlich ans Ende gesetzte Schilderung aus den letzten Lebenstagen seines alten Hundes. Als ich Clemens Meyer vor drei Jahren zu einer Veranstaltung nach Chemnitz einlud, sagte er schon am Telefon, dass er aber unbedingt abends noch nach Leipzig zurückkommen müsse, da der Hund allein in der Wohnung ist. Auch wenn der Autor mit Knast- und Drogenerfahrungen manchen früheren Freund in jungen Jahren sterben sehen musste, geht ihm der Verlust des Hundes offensichtlich sehr nahe. Das kann ich nachvollziehn, da unserer gleichermaßen hochbetagt vor fünf Jahren eingeschläfert wurde.

Doch genau diese traurige Geschichte scheint die „menschlichste“, sanfteste des Buches zu sein. In den anderen geht es um Pferdewetten, Fußballgegröle (Schemieee!!), Huren, Gifte (deren schlimmstes die Zahlen sind) – Gewalten eben. Seit Als wir träumten ist Clemens Meyer auf dieses Thema festgelegt. Und es ist wohl auch immer noch, trotz des Buchpreises der Leipziger Messe und anderer Anerkennungen seitens des gutbetuchten Literaturbetriebes, seine reale Welt. In Gewalten scheint er allerdings all zu sehr der Erwartungshaltung entgegenkommen zu wollen. Die Vergewaltung und Tötung eines kleinen Mädchens, die er verarbeitet, hat sich tatsächlich in unmittelbarer Nähe in Leipzigs wildem Osten zugetragen. Guantanamo, Abu Ghraib, Winnenden aber nicht. Doch für das Pastiche zivilatorischer Nebenpfade scheint es Meyer für nötig zu halten, auch diese Stichworte einzubeziehen (ebenso die schwarz-gelbe Koalition). Diese Sujets sind durch eine ausgefeilte Montagetechnik oder Verlagerung im Metabenenen klar als Erfindungen ausgewiesen, die sprachliche Beherrschung ist großartig. Dennoch werten diese allesamt um Etagen höher angesiedelten Gewaltthemen die mehr oder weniger real beschriebenen simplen Tragödien ab, obwohl gerade da die emotionale Nähe überzeugend wirkt.

Es ist schwer vorzustellen, dass Clemens Meyer zum Sonnenschein-Autor mutiert, das wäre auch schrecklich. Dennoch würde ich das übernächste Buch nicht mehr lesen, wenn die kliescheehafte Fixierung auf Schlechtigkeiten beherrschend bleibt.

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Sommerfestival in Sichtweite

Am ersten Juliwochenende gibt es in der Distillery das erste Livelyrix-Sommerrfestival Leipzig. Auch wenn es etwas unpersönlich wirkt, gebe ich hier mal die Presseerklärung wieder, hab sie schließlich selbst geschrieben:

Drei Tage Spokenword im Fokus

Ein neues Literaturfestival mit besonderem Zuschnitt

Seit vielen Jahren befördert der in Leipzig und Dresden ansässige Livelyrix e.V. eine spezielle Art von Literatur, die besonders bei jungen Leuten (aber nicht nur diesen) wachsende Popularität besitzt – die sogenannte Spokenword Poetry. Wie es der Name schon ausdrückt, ist dabei die Bühnenperformance der Autoren gleichermaßen wichtig wie der Text selbst, auch wenn die Texte „on stage“ und „on page“ gleichermaßen funktionieren sollen. Poetry Slams und Lesebühnen sind die bekanntesten Formate dieser Szene, Poetry Clips nach Vorbild von Musikvideos sind eine relativ neue Ausdrucksform. Livelyrix ist Organisator der monatlichen Slams und hat 2005 die große Slam-Meisterschaft des deutschsprachigen Raumes ausgerichtet. Mit dem kommenden Sommerfestival soll ein neuer Höhepunkt der Spokenword-Literatur mit überregionaler Ausstrahlung geschaffen werden. Weiterlesen

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Endlich der Durchbruch

Am Donnerstag abend fand im Chemnitzer Schauspielhaus (sic!) eine Podiumsdikussion statt, bei der es speziell um das sogenannte „Experimentelle Karree“ an der Reitbahnstraße ging. Bei einer vor einem Monat vom Lokalblatt Freie Presse organisierten Veranstaltung zu „Chemnitzer Perspektiven“ stellte sich ja heraus, dass genau diese Insel der Unzufriedenheit ein Haupthindernis bei der ansonsten erfolgreichen Stabilisierung des „sächsischen Manchester“ als Industriemetropole bewährter Art darstellt. Nun könnte man diese verschwindend kleine Minderheit von Störern schlicht ignorieren, es spricht aber für die hohe Demokratiefähigkeit von Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD), auch solch ein Widerstandsnest nicht etwa mit der zur Verfügung stehenden Exekutivgewalt einfach auszuräuchern, sondern sich in einer offenen verbalen Auseinandersetzung der Herausforderung zu stellen. Weiterlesen

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Ab zur Bewährung in die Produktion

Ein wunderbares Beispiel dafür, wie der schwiemelige Begriff „Hochkultur“, an dem ich mich immer wieder reibe, als Lanze hintergestrigen Denkens dient, lieferte die LVZ auf der Leserbriefseite vom 31. Mai. Frau Ursula Dießner aus Leipzig schreibt da voller Abscheu, dass Hartmann und Konwitschny das Schauspiel und die Oper der Stadt ruiniert haben. Es werden hier also Einrichtungen angegriffen, die traditionell zur sogenannten „Hochkultur“ gerechnet werden, sich aber nicht „hoch“ genug verhalten, also nicht den seit fünfzig Jahren gültigen Kanon des Repertoires und den gleichen gewohnten Stil der Inszenierungen weiter pflegen. Die Tempel des (spieß-)bürgerlichen Geschmacks dürfen sich um Gottes Willen nicht wandeln! Walter Ulbricht pflegte in solchen Fällen zu sagen: „Unsere Menschen wollen das nicht!“, denn bei allem revolutionären Pathos war die Führungsclique der DDR auch zutieft spießig.

Frau Dießner schreibt: „Es wäre ein Segen für die Stadt, wenn diese Herren ihre künstlerische Freiheit weit weg von Leipzig ausüben würden.“ Dass es so etwas wie künstlerische Freiheit gibt, erkennt sie immerhin an, aber doch bitte nicht hier bei uns! In Verkennung von Legislative und Exekutive fordert sie schließlich vom Kämmerer, er soll den beiden Einrichtungen die Fördermittel streichen. So ist es recht: Wenn Dissidenten nicht einsichtig werden, muss die Parteiführung endlich mal durchgreifen!

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Bloß nicht die Wahrheit sagen

Ehrlichkeit lohnt nicht. Da spricht endlich mal ein hochrangiger deutscher Politiker ganz klar aus, dass Kriege in erster Linie nicht wegen irgendeines humanitären Gewäschs wegen geführt werden, sondern um knallharte Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Und schon wird er durch die Medienmeute in den Rücktritt getrieben. Somit tut mir Horst Köhler fast schon etwas leid. Endlich mal einer, der Machiavelli gelesen und verstanden hat. Doch all die Kollegen, die sich dann entsetzt zeigten, haben offensichtlich eine bessere Schauspielausbildung genießen dürfen.

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Klarstellung

In mehreren Artikeln habe ich behauptet, die Pop-Kultur sei der sogenannten „Hochkultur“ gleichgestellt. Nun, da sich sogar die Kanzlerin veranlasst sieht, einer trällernden Gymnasiastin Blumen zu schicken, muss ich wohl etwas relativieren. Klar ist das Pop, was da am Sonnabend in Oslo vermarktet wurde, nach der Zahl der Zuschauer sogar extrem populär. Doch in Ermangelung eines besseren Begriffs umfasst Pop-Kultur eben ein riesiges Feld mit unzählbaren Facetten. Viele davon sind Nischenphänomene, für die Kulturindustrie uninteressant. Es lebe die Differenz.

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Mein erstes Dating

Ich war vorher ziemlich skeptisch, was denn das werden soll – ein Speeddating zwischen 100 sogenannten Experten und 100 zufälligen Besuchern. Und das noch unter der Überschrift „Chemnitz – schönste Blume des Ostens“. Okay, dass neben dem Slogan eine keimende Zwiebel abgebildet ist, deutet zumindest auf die Fähigkeit zur Selbstironie hin. Gestern abend war ich nun für anderthalb Stunden einer der „Experten“ (logisch) und muss sagen, dass die Idee ziemlich gut funktioniert hat. Per Zufallsprinzip sitzend da irgend welche Leute für acht Minuten am Tisch und wollen wissen, womit man sich denn so beschäftigt. Ganz interessant. Allerdings war ich hinterher total heißer, da neben dem allgemeinen Geräuschpegel von 100 Gesprächen auch noch Musik lief.

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Vollgas

Nach dem (gewollten) Scheitern der Wiederbelebung des Chemnitzer Brühls hat die kommunale Tochter GGG als Hauptverantwortliche nun endlich ein Rezept gefunden, wie wieder Leben in die Zone der toten Augen kommt: Die Fußgängerzone soll nach dreißig Jahren endlich wieder zur Autostraße werden, verkündet Geschäftsführerin Kalew. Das passt nun tatsächlich zu Chemnitz. Die City wird nicht nur von vier- bis achtspurigen Straßen umgeben, sondern auch gekreuzt. Und an drei Seiten des unmittelbaren Stadtkerns stehen mehretagige Parkhäuser, als solche auf den ersten Blick zweifelsfrei erkennbar. Das Konzept der autogerechten Stadt wurde von vielen Stadtplanern ja schon verabschiedet – in der sächsischen Innovationsmetropole feiert es eine fröhliche Renaissance. Immer einen Schritt voraus!

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Hat Müller daneben gehaun?

Vor kurzem habe ich ja über meine Einordnung von Jochen Schmidts Buch Müller haut uns raus unter die Rubrik Zeitgeschichte in der Stadtbibliothek Leipzig berichtet. Nun habe ich das Buch durch und bin dem Rätsel der Etikettierung nicht ernsthaft auf die Spur gekommen. Stattdessen tun sich neue Fragen auf.

Das Titelbild suggeriert, dass mit Müller eben jener Super-Dramatiker gemeint ist. Tatsächlich taucht er auch dann und wann im Text als ferne Bezugsperson auf, so eine Art von Vorbild. Trotzdem wird (für mich) nicht klar, wo er uns weswegen raushauen soll.

Jochen Schmidt gibt sich schon im sogenannten Prolog Mühe, das Erzählte als Fiktion darzustellen. Darum nennt er die Hautperson Jochen Schmitt. Nimmt man diese Konsonantentrift mathematisch, müssten etwa 92 Prozent der Handlung dennoch stark autobiografisch sein. Ich vermute, das stimmt auch so ungefähr, vielleicht mit einem Schuss mehr Phantasie als die Berechnung hergibt. Jedenfalls stolpert dieser Jochen durch die Nachwendejahre, auf der Suche nach der richtigen Frau und genauso nach einem Platz im Leben oder zumindest einem Beruf. Darunter versteht er allerdings was anderes als die pragmatisch denkenden Eltern. Spass muss es auch machen, doch die Interessen verschieben sich immer mal aufs Neue.

Amüsant, aber nicht unbedingt mitreißend ist dargestellt, wie der Dauerstudent Schmitt immer wieder aus Berlin flieht – für ein Jahr ins französische Brest, dann wegen einer Frau nach Spanien und schließlich (weswegen wohl) nach New York. Dort bricht der Roman ab. Von einem Ende kann ich nicht sprechen, das hätte 100 Seiten vorher ebenso kommen können wie nach weiteren 200 Seiten im gleichen Stil. Da war wohl einfach keine Lust mehr da.

Vielleicht ist es mein Fehler, dass ich manchmal ältere Werke von Autoren lese, die mich mit neueren Produktionen begeistert haben. Es gibt ja Entwicklungen. Jedenfalls habe ich von Jochen Schmidt schon Besseres gelesen. Da haut auch Müller nichts raus.

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