Nervöse Märkte

Die Märkte müssen wieder Vertrauen fassen. So oft schon hat die Börsenreporterin von b-tv in den letzten Monaten diesen Spruch gehört. Nach dem live übertragenen Interview mit dem Analysten der Ostwestfälischen Landesbank fasst sie selbst Vertrauen zu diesem angegrauten Fachmann, den sie schon häufig vor dem Mikrofon hatte, und stellt ihm endlich die Frage, die sie schon lange bewegt.

„Sie sprechen immer wieder von diesen Märkten und ihren Befindlichkeiten, als hätten Sie persönliche Kontakte zu ihnen. Stimmt das?“ Weiterlesen

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Verloren im Birkenwald

Der Buchtitel lässt ahnen, dass es um nationale Sterotypen geht: Der Russe ist einer, der Birken liebt. Doch für die Protagonistin Mascha ist es praktisch unmöglich, simple Identifikationsraster zu finden. Wie die Autorin Olga Grjasnowa ist sie russische Jüdin aus Aserbaidshan, die in Deutschland lebt. Zu allem Überfluss studiert sie auch noch Sprachen, daruner Arabisch.

Mascha ist hochbegabt, intelligent, fleißig und gerät trotzdem ins Trudeln. Das Ende des Studiums fällt zusammen mit dem so sinnlosen Tod ihres Lebensgefährten Elias – trotz des alttestamemtlichen Namens einer der wenigen „richtigen“ Deutschen im Roman, nach einem Kochenbruch beim Fußballspiel. Freunde wie der Türke Cem und der in Beirut geborene Sami helfen, haben aber genug eigene Probleme.

Olga Grasnowa weiß aus persönlicher täglicher Erfahrung wie es ist, nirgends ganz dazuzugehören. Sie macht das Leben zwischen den verschiedenen Kulturen zum Thema ihres ersten Buches, mit dem sie noch während des Studiums am Deutschen Literarurinstitur begonnen hat. Es geht nicht um die Probleme von Zuwanderern, die sich ihr eigenes Ghetto bauen, sondern um die der vorbildlich Integrierten. Wenn man den Satz „Sie sprechen aber gut Deutsch“ einmal zu häufig gehört hat, wird er zur Beleidigung. Da, wo sie das Erleben dieses Dilemmas in dramatische Handlung packt – davon gibt es reichlich im Roman – gelingt es überzeugend, auch wegen der dichten, aber schnörkellosen Erzählweise. Didaktische Einschübe wie der Besuch von Cems Vater bei einer CDU-Versammlung oder die Erläuterung des aserbaidshanisch-armenischen Konflkts sind zum Glück selten. Gerade dieses Thema, wie Nachbarn seit vielen Generationen sich plötzlich gegenseitig totschlagen, hat Sasa Stanisic so eindringlich dargestellt, dass solch eine knappe Zusammenfassung blass wirken muss. Doch das sind Ausnahmen.

Maschas neuer Job bei einer deutschen Hilforganisation in Tel Aviv ist eigentlich eine Flucht. Die Arbeit ist verzichtbar. Und Halt kann sie, die arabisch sprechende Jüdin, in dem zerrissenen Land erst recht nicht finden. Hier ist das Sortieren nach Kategorien von Menschen noch radikaler als im vergleichsweise ruhigen Mitteleuropa. Ausgerechnet nach dem Sprung aus einem Toilettenfenster im Flüchtlingslager Jenin zeichnet sich Hoffnung ab. Dank eines  Freundes, dessen Nationalität ebenso unbeschreibbar ist wie ihre eigene.

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Im Lande Müschfigs

Da gerade das Interesse an Aserbaidshan hochschwappt, habe ich eine unterdessen fünf Jahre alte Kolumne herausgesucht, die ich mal für den Chemnitzer Stadtstreicher geschrieben habe. Zwar war ich auch damals, 2007, nur wenige Schritte innerhalb Aserbaidshans, allein der Fund eines gedruckten Dokumentes hat bleibenden Eindruck hinterlassen:

[…] Für ein anderes ergötzliches Fundstück hat es aber noch gereicht. Das Deutschlehrbuch
nämlich, das an aserbaidschanischen Schulen benutzt wird. Der Sympathieträger, der den
heranwachsenden Aseris das Land Friedrich Schillers und Rudolf Diesels vertraut macht,
aber auch immer wieder heldenhafte Taten des eigenen Volkes und seiner Führer einflicht,
heißt in diesem Buch Müschfig. Müschfig unterhält sich am liebsten mit seinem Kumpel
Aras, manchmal aber auch mit der zarten Leila, ohne dabei den didaktischen Tonfall
abzulegen. Natürlich gibt es auch Lehrer, die sehr viel wissen. Beispielsweise, dass die
Gebrüder Grimm an der Humboldt-Universität studiert haben. Märchenhaft! Bei all den
Kenntnissen vergisst der Lehrer aber nie, zur Wachsamkeit gegenüber den armenischen
Faschisten aufzurufen. Und er bringt den Kindern die deutsche Grammatik anhand
interessanter Beispiele nahe. So heißt es bereits in der ersten Unterrichtsstunde: „ich höre
ab, du hörst ab, er hört ab …“ Eigentlich könnte ich aus diesem beeindruckenden Buch
gleich seitenweise zitieren, doch das wäre dann ja keine Kolumne mehr, sondern ein
Plagiat.
Auf einen Text muss ich aber unbedingt noch eingehen – die deutsche Fassung der
aserbaidschanischen Nationalhymne. Besonders sympathisch an der Hymne ist mir, dass
das Wort Brust gleich zwei Mal darin vorkommt. So heiß es in der zweiten Strophe: „Deine
Brust wurde zum Schlachtfeld! Deine Recht wahrenden Soldaten vollbrachten wahre
Heldentaten!“ Und die dritte Strophe lautet: „Sei ein Blumenland, wir schützen dich Hand
in Hand! Viel Ehre, viel Liebe und Lust erfüllen meine Brust!“ Leider konnte ich von
Georgien aus nur einen kurzen Blick über die Grenze hinein nach Aserbaidschan werfen.
Ich stelle es mir aber sehr schön vor, in solch einem lustbetonten Land zu leben und auf
blumenübersäten Schlachtfeldern Hand in Hand sein Banner zu erheben. Vielleicht
schaffe ich es, im nächsten Sommer einen Billigflieger über Helsinki nach Baku zu
erwischen.
[…]

Dazu ist es im Endeffekt leider doch nicht gekommen. Alle aus dem Zitat nicht klar deutbaren Zusammenhänge werden (vielleicht) aus dem verlinkten Originaltext erkennbar.

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Doppelschlag

Kaum sind meine ersten beiden Büchlein des Jahres im Handel, da gibt es in der Leipziger Internetzeitung schon eine Rezension zu dem einen, oder besser gesagt ein Konspekt. Zu Ralf Julkes Bemerkung wegen Auto vs. Eisenbahn muss ich sagen, dass ich meist lieber mit der Bahn in Städte fahre. Aber im Falle von Annaberg-Buchholz ist diese Form der Anreise wirklich nur etwas für ausgesprochene Bahn-Fans.

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Unverhüllte Intelligenz

Gestern endlich Anbaden im Cospudener See, im Vorjahr war es einen Monat früher. Beim Rundumblick schien sich zu bestätigen, was ich vorige Woche in der Zeitung las: der Trend am Strand geht zu mehr bedeckter Haut, sogar Bikinis verlieren Prozente an Badeanzüge. In dieser Statistik stand außerdem, dass Leute mit höherem Bildungsgrad eher zum Entblößen neigen als Hauptschulabgänger. Darf man aus der neuen Prüderei also schlussfolgern, dass das allgemeine Bildungsniveau sinkt? Ein Lichtblick dabei wäre immerhin, dass nach wie vor die Ostdeutschen eher nackt baden als ihre westlichen Landsleute. Das eröffnet wirtschaftliche Aufstiegschancen. Allerdings wird auch nachgewiesen, dass auf eine nackte Frau zwei ebensolche Männer fallen – rein statistisch natürlich. Vielleicht sollte Sarrazin diese Problemlagen mal in Bezug auf die Zukunftsfähigkeit des Landes tiefgründig analysieren. Dumm und verklemmt – solch eine Nation muss doch untergehen. Aber bitte nicht im Cossi!

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Urheberrechtsstreit bald in 3D

Die Computerzeitschrift c´t kaufe ich mir äußert selten, nicht nur weil ich nicht weiß, wie man den Namen ausspricht. Aber ein Nerd bin ich eben nun wirklich nicht mit meinen Defiziten im naturwissenschaftlich-technischen Wissen und Denken. Zum Erwerb veranlasst hat mich bei der aktuellen Ausgabe das Titelthema zu 3D-Druckern und der vorgelagerten Digitalisierung existenter dreidimensionaler Objekte. Bisher kannte ich solche Geräte nur als extrem teure Spezialanfertigungen. Da steht nun, dass das günstigste Modell heute für 800 Euro zu haben ist, kaum mehr als ein ordentlicher Laptop. Und das Umwandeln des Blumenstraußes in eine Datei ist mit Smartphone und kostenloser Software machbar.

Nun lese ich ebenfalls heute in der Spiegel-online-Kolumne von Sascha Lobo den Artikel Gabeln aus dem Drucker. Er hat ganz recht mit dem Hinweis, dass der eskalierende Streit zum Urheberrecht sich heute noch um Musik, Filme, Bücher dreht, aber schon in Kürze aber materielle Produkte gleichermaßen geklaut oder eben auch legal kostenfrei heruntergeladen werden können – zumindest der Bauplan, das Material muss sich dann schon noch anschaffen. Wenn nun in diesem der Überschrift nach an einen uralten Kraftwerk-Song erinnernden Aufruf Wir sind die Urheber davon die Rede ist, das Urheberrecht sei eine wichtige Errungenschaft des bürgerlichen Zeitalters, dann haben die Verfasser des Textes (viele Unterzeichner werden gar nicht wissen, was gemeint ist) irgendwie recht. Zugleich kann man das aber auch so lesen, dass mit der Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Rechts die bürgerliche Epoche sich eben dem Ende zuneigt.

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Demut bis zum Delirium – Jonathan Meese hyperventiliert im Dienst an der Sache

Die gute Nachricht zuerst: Die Manifeste Jonathan Meeses sind völlig ungeeignet, eine nennenswerte Gefolgschaft hinter sich zu scharen. Eigentlich will er das auch nicht, sieht sich doch der Trainigsjackenträger nicht als Führerpersönlichkeit und ebenso wenig als Guru, sondern nur als zutiefst demütige Ameise der Kunst. Weiterlesen

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Kulturen des Laberns

Am Sonntag konnte ich nach längerer Zeit mal wieder eine Rede zu einer Vernissage halten. In der Art Kapella Schkeuditz, einer früheren Leichenhalle, wurde die Ausstellung von Jürgen Raiber eröffnet. In meiner Chemnitzer Zeit hatten sich derartige Betätigungen gehäuft. Doch in Leipzig und Umland scheint es generell eine andere Kultur der Ausstellungseröffnung zu geben. Auch namhafte Institutionen der Spinnerei schließen einfach die Tür auf – fertig. Dass da ein Kunstversteher salbungsvolle Worte an des Volk richtet, eingerahmt von klassischer oder jazziger Musik auf ein bis drei Instrumenten, das kommt ziemlich selten vor.

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Vorwärts im Kreisverkehr

Kann man so etwas als Roman bezeichnen? Zwei jugendliche Aufschneider – Sam und Hailey – erzählen die gleiche Geschichte. Um die Abweichungen in der Sichtweise auszukosten, sollte der Leser das Buch nach jeder Doppelseite wenden, um in die Gegenrichtung weiterzulesen. Jetzt ist „Only Revolutions“ von Mark Z. Danielewski auf Deutsch erschienen.
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Rüttelscheim

Grad hatt ich noch nen Leerbauch,

dann aß ich etwas Bärlauch.

Die letzte Chance bevor er blüht!

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