Verloren im Birkenwald

Der Buchtitel lässt ahnen, dass es um nationale Sterotypen geht: Der Russe ist einer, der Birken liebt. Doch für die Protagonistin Mascha ist es praktisch unmöglich, simple Identifikationsraster zu finden. Wie die Autorin Olga Grjasnowa ist sie russische Jüdin aus Aserbaidshan, die in Deutschland lebt. Zu allem Überfluss studiert sie auch noch Sprachen, daruner Arabisch.

Mascha ist hochbegabt, intelligent, fleißig und gerät trotzdem ins Trudeln. Das Ende des Studiums fällt zusammen mit dem so sinnlosen Tod ihres Lebensgefährten Elias – trotz des alttestamemtlichen Namens einer der wenigen „richtigen“ Deutschen im Roman, nach einem Kochenbruch beim Fußballspiel. Freunde wie der Türke Cem und der in Beirut geborene Sami helfen, haben aber genug eigene Probleme.

Olga Grasnowa weiß aus persönlicher täglicher Erfahrung wie es ist, nirgends ganz dazuzugehören. Sie macht das Leben zwischen den verschiedenen Kulturen zum Thema ihres ersten Buches, mit dem sie noch während des Studiums am Deutschen Literarurinstitur begonnen hat. Es geht nicht um die Probleme von Zuwanderern, die sich ihr eigenes Ghetto bauen, sondern um die der vorbildlich Integrierten. Wenn man den Satz „Sie sprechen aber gut Deutsch“ einmal zu häufig gehört hat, wird er zur Beleidigung. Da, wo sie das Erleben dieses Dilemmas in dramatische Handlung packt – davon gibt es reichlich im Roman – gelingt es überzeugend, auch wegen der dichten, aber schnörkellosen Erzählweise. Didaktische Einschübe wie der Besuch von Cems Vater bei einer CDU-Versammlung oder die Erläuterung des aserbaidshanisch-armenischen Konflkts sind zum Glück selten. Gerade dieses Thema, wie Nachbarn seit vielen Generationen sich plötzlich gegenseitig totschlagen, hat Sasa Stanisic so eindringlich dargestellt, dass solch eine knappe Zusammenfassung blass wirken muss. Doch das sind Ausnahmen.

Maschas neuer Job bei einer deutschen Hilforganisation in Tel Aviv ist eigentlich eine Flucht. Die Arbeit ist verzichtbar. Und Halt kann sie, die arabisch sprechende Jüdin, in dem zerrissenen Land erst recht nicht finden. Hier ist das Sortieren nach Kategorien von Menschen noch radikaler als im vergleichsweise ruhigen Mitteleuropa. Ausgerechnet nach dem Sprung aus einem Toilettenfenster im Flüchtlingslager Jenin zeichnet sich Hoffnung ab. Dank eines  Freundes, dessen Nationalität ebenso unbeschreibbar ist wie ihre eigene.

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