Hemdsärmlig

Eine Rezension zu Jewgenij Grischkowez´ neuestem Buch im Kreuzer veranlasst mich, endlich mal was zu schreiben über sein voriges, „Das Hemd“, das ich schon vor etwa zwei Jahren gelesen habe. Vorausgegangen war ein Hinweis von russischen Bekannten auf ein Foto auf der Fan-Seite dieses Autors im Internet. Dieser zottelige Mensch da unten bin ich im Sommer 1989 und der ganz oben am Grenzpfahl zwischen DDR und CSSR ist eben Grischkowez. So geht man zufällig in die Literaturgeschichtsschreibung ein. Grischkowez, den ich immer nur Schenja nannte, ist immerhin in Russland heute ein richtiger Star.

Held des Romans ist Sascha, ein aus der weiten Provinz in die Weltstadt Moskau zugereister sogenannter „Neuer Russe“, ein Aufsteiger im Wirtschaftsboom (man merkt, dass das Buch eben schon ein paar Jahre alt ist). Der Text ist eine Art Roadmovie – Sascha lässt sich einen Tag durch die Metropole treiben. Alle Zutaten sind versammelt: Action, junge (noch unsichere) Liebe, Alkohol, Humor, zufällige Begegnungen … Eine erfolgreiche Verfilmung des Buches im Hollywood-Stil kann man sich gut vorstellen.

Das namensgebende Hemd steht dabei, so wie es die Literaturwissenschaft für das Genre der Novelle lehrt, als symbolischer Aufhänger für die Handlung. Früh ist es noch blütenrein, abends voll von den Spuren dieses turbulenten, aber trotzdem ziemlich leeren Tages. Das Buch liest sich sehr flüssig. Es ist eine treffende Momentaufnahme des aufgeplusterten Moskaus im frühen 21. Jahrhundert. Allerdings fehlt mir die Schärfe mancher anderer russischer Autoren der Gegenwart. Es ist einfach nur nett, nicht mehr.

Jewgenij Grischkowez

Das Hemd

Zürich: Ammann 2008

ISBN 978-3-250-60122-7

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Aus meinem Tagebuch der Moderne II

Beim Urlaub in Tunesien ist mir aufgefallen, dass dort Zeit und Raum nicht so festgefügt aufgefasst werden wie bei uns, alles ist mehr relativ. Als wir ankamen, sagte uns der Vertreter des Reisebüros, morgen sei der Feiertag des Fastenbrechens zum Ende des Ramadan. Oder übermorgen. Das wird erst am Abend nach Betrachten des Mondes durch eine Kommission entschieden. Entgegen der allgemeinen Erwartungen wurde er dann auf übermorgen festgesetzt. Schwer vorstellbar, Weiterlesen

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Falsch, aber einprägsam

Brechts Gleichnis vom großen Karthago, das drei Kriege führte, hinkt gewaltig. Abgesehen davon, dass der Dritte Punische Krieg ein Verteidigungskrieg war, wurde auch nach der Zerstörung die Stadt wieder aufgebaut – von den Siegern. Noch etwas größer und schöner. Endgültig Schluss war erst Jahrhunderte später, als die Araber kamen. Das wäre heute nun aber eine fatale Metapher.

Auf historische Genauigkeit kommt es also nicht so an. In die Schulbücher und auf Kalenderblätter schafft man es trotzdem, wenn die Formel nur griffig genug formuliert wird.

Siegerarchitektur: Römische Thermen in Karthago.

Siegerarchitektur: Römische Thermen in Karthago.

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Nachlassende Sprungweite

Dass ich mir Die Känguru-Chroniken von Marc-Uwe Kling gekauft habe, liegt weder am Rückentext, noch am Aufkleber „Sehr, sehr komisch“ Jürgen von der Lippe. Vielmehr habe ich Kling mehrfach bei Slams erlebt, unter anderem beim großen Finale 2007 in Berlin, wo er zum zweiten Mal Sieger wurde. Er gehört zu den leider nicht gerade zahlreichen Slammern, die sich gesellschaftlicher und politscher Themen annehmen.

Das schlägt natürlich auch in seiner ersten Buchveröffentlichung durch.

In der Nebenwohnung zieht ein Känguru ein, welches sich ganz menschlich verhält. Dieses Sujet kennt man von Marc-Oliver Schusters wurderbaren Katzen-Geschichten. Klings Beuteltier ist nicht nur frech und vereinnahmend, sondern auch Nirvana-Fan, Kommunist, Ex-Vietkong und Mitglied der Jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung. In seinem Beutel trägt es neben dem kleinen roten Büchlein und Kurt Cobains Tagebuch immer auch zwei rote Boxhandschuhe. Also geht es turbulent zu. Doch in der zweiten Hälfte verlieren die kurzen Stories an Witz und Schärfe, viele wirken zunehmend konstruiert. Konstruiert ist natürlich alles, doch die spontan erscheinende Flapsigkeit des Beginns wird immer angestrengter. Vielleicht hatte der Verlag (der in den Texten selbst sein Fett abbekommt) ein Seitenlimit gestellt, welches dann auch irgendwie voll werden musste. Weniger wäre hier mehr gewesen. Komisch ist es trotzdem, da hat Jürgen von der Lippe schon recht.

Marc-Uwe Kling

Die Känguru-Chroniken

Berlin: Ullstein 2009

7,95 €

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Am Mittelmeer bei Sousse

And I-I-I-Iiiii will always love you-uhuhu bekommt Tiefe durch die 17,6-Minuten-Schleife des Strandschalls * der Strandwächer aus Babel fängt an zu russeln * доброе утро * she`s crazy like a fool * UNISIETUNISIETU steht schwarz auf gelb auf seim riechigem Hemd * Doppelkling ausm Ruxak (Marc-Uwe + Thomas) rausholn + lesn * 2 tschecho (ohne -slowakische) Blond-Girls suchen braune Einweg-Lover und finden/finden/fi * her mind is tiffany twisted * 1s der 7 Kinder des Wächters schleppt +putzt Liegen für die Touris * all in all you´r just another brick in the wall * все хорожо? oui, Msjö o.k. * kleckerweise Sand zum Gaudi, memoriam dem großem Katalanisator * reis/ß/zender Händler: schöne Tücher Madam, not expensiv * CLUB NAUTI.L.S verblassend am Beton blau auf weiß des Ex-Bunkers * try, baby try, to trust in my love again * Deutsche gut, geben Essen Tunesien * für 25 Dinar (so teur war frühr kein Sklave) einGschiffte Piraten schippern draußn vorbei und zurück * die Kurzwelle macht nicht nass doch stürzt`s Geklecker * könnte `türlich auch TUNISIETUNISIETU heißn, müsste trotzdem gewaschen.n.n * she`s crazy about her daddy, oh she believs in him * apres Jet-Ski ein 0,3 l Celtica Beer made in Tunis * Kindheitzerinnrung kräuselt Fingerspitzzn * we don´t need no education * schon gehn? * SEEYOUTOMORROW

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Afrika war gestern

Eine Woche ohne Internet, Zeitung, Fernsehn, mit wenig Fleisch und noch viel weniger Bier. Ehrlich gesagt, ich hätte diese Entbehrungen gern noch länger auf mich genommen, statt von der tunesischen Mittelmeerküste in den sächsischen Regen zurückzukehren. Schade, dass unser erster Ausflug nach Afrika nur sieben Tage lang war.

Die Große Moschee von Sousse.

Die Große Moschee von Sousse.

Straße in Kairouan.

Straße in Kairouan.

Dougga

Dougga.

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Bodenhaftung

Das Fremdwörterbuch verrät es: autochthon heißt alteingesessen, eingeboren, bodenständig. Auf wen man das Attrbut anwenden kann und wo die Grenzen sind, steht leider nicht dabei. Trotzdem wird es in den letzten Tagen häufig und zumeist ganz unbefangen benutzt, auch von Kritikern des mutigen Sarazenen (war das nicht ein gar nicht so bodenständiger arabischer Reiterstamm?). So beispielsweise in dem langen Interview der Zeit von voriger Woche mit dem Hobby-(Eu)Genetiker. Ich vermute, dass ich nicht autochthon bin, mein Vater ist aus Schlesien zugewandert, sein Großvater soll wiederum ein nicht namentlich zu fassender österreichischer Adliger gewesen sein. Kuddelmuddel statt Reinheit.

Sarrazin ist sich jedenfalls sicher, dass das seit 100 Jahren als monolithischer Block in der Mitte Europas ruhende deutsche Volk nun wegen der Migranten zerbröselt. Das macht doch Hoffnung.

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Fernes Leuchten

Der erste Roman von Leif Randt nennt sich Leuchtspielhaus. Da wird offensichtlich mit einer veralteten Bezeichnung für das Kino gespielt. Doch die so benannte Örtlichkeit im Filmskript von Helen, einer in London lebenden Künstlerin, hat nichts damit zu tun. Vielmehr haben die Protagonisten dieses Drehbuchs leuchtende Auren, deren Farbe und Form je nach Gemütszustand wechselt.

Der Ich-Erzähler des Romans kommt so wie der Autor aus Maintal, baut sich aber in der englischen Metropole mit Helen, Ray und anderen eine künstlich erscheinende Welt auf. Ihr Salon dient nur nebenbei zum Frisieren, ist ansonsten eher Partyzone. Alle „Members“ dieses inoffiziellen Clubs huldigen einer mysteriösen Bea, die in der Stadt ihre an Steetart erinnernden farbigen Zeichen hinterlässt, manchmal Sentenzen wie „Never leave highschool“, manchmal nur Worte oder auch goldfarbene Strümpfe. Diese Schweizerin ist als Person nicht zu fassen, gilt dennoch als wichtigste junge Künstlerin Europas. Die Suche nach ihr wird für den Erzähler zu einer Sinnsuche. Über Geld braucht er sich wie die meisten anderen Akteure keine Gedanken zu machen, es ist einfach da. Also lebt er Kunst. London ist dafür natürlich ein besserer Platz als seine hessische Heimat, wo die früheren Mitstreiter Anvar und McFly zurückgeblieben sind. Bei aller Hipness haben die Akteure Retro-Attitüden – kein Internet, keine Mails, kaum Drogen außer Alkohol.

Er findet schließlich eine Bea, seine Bea. Doch danach muss es weitergehen. In Warschau wird nun das Leuchtspielhaus tatsächlich zu einem Kino, in welchem sich das Partyvolk über McFlys experimetelle Filme amüsiert.

Leif Randt schildert eine kühle, aber schillernde Welt, die konstruiert erscheinen mag, aber für manche Kreise heutiger Jugendlicher vermutlich Realität ist. Die nüchterne Sprache, stark durchsetzt mit englischen Floskeln, unterstützt den Schein der Konstruktion. Die noch viel surrealere Ebene von Helens Filmscript hingegen hilft dabei, das sich Wichtigfühlen dieser Kids fast schon als Normalität anzusehen. Auch wenn das Stolpern gelangweilter, reicher Snobs in Leuchtspielhaus bei weitem nicht so ziellos ist wie in Krachts Faserland, bleibt doch ein leises Unbehagen an der Leere zurück.

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Ein Reinfall

Gestern wollten wir erstmals das Leipziger Wasserfest besuchen, speziell das German Wings-Fliegen im Lindenauer Hafen. Dass wir wegen Parkplatzsuche etwas spät kamen, war nicht weiter schlimm, es dudelte sowieso noch eine grottenschlechte Dixieland-Band. Wegen zu vieler Leute und plumper Animationsversuche in schmerzender Lautstärke wechselten wir aufs andere Ufer. Angefangen hatte das Springen immer noch nicht. Als es dann losging, riss der erste Pilot das Plakat des Sponsors ab. Die Reparatur dauerte, dauerte, dauerte … Dann schaffte es ein Minimalist ziemlich unbeschadet, ins Wasser zu kommen. Der dritte Flieger, eine viertel Stunde später, scheiterte schon auf der Rampe wegen unangemessener Dimensionen. Pause … Wieder einer, wieder das Plakat runtergerissen. Also noch mal eine halbe Stunde Dauereinsatz für den Moderator, der jeden Satz mit einem „So!“ anfing, im Wechsel mit besagter Band. Das wars, wir suchten uns eine Eisbar, weit weg vom Lindenauer hafen. Nie wieder Wasserfest! Dabei könnte es so einfach sein, wie der Sponsor meint.

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Neues von Osten

Osmar Osten, mein zweitliebster Chemnitzer Künstler, hat es geschafft, in den dortigen Kunstsammlungen eine Personalausstellung zu bekommen. Das schaffen nicht viele der noch lebenden Ortsansässigen, Frau Mössinger hat da strenge Auswahlkriterien. Dass Osmar diese Auszeichnung bekommt, freut mich sehr.

Er hat einen starken Hang zum Seriellen. Kunsthistoriker werden es später mal einfach haben, seine Perioden einzuteilen: Fische, Schneemänner, Blumenvasen, kackende Vögel – jeweils über mehrere Jahre durchgehalten. Da wirkt die jetzige Ausstellung fast schon eklektisch. Gleich drei Themen: Fenster, Brücken, Frauen. Das mit den Frauen ist eine Überraschung, tauchten doch Menschen in seiner Bildwelt bisher höchstens schemenhaft oder fragmentiert auf. Diese Weiber nun sind fast durchweg paarweise von hinten an einem Strand spazierend zu sehen, nur die Farbstimmung wechselt. Recht gleichförmig wirken die Ansichten von Hohlräumen unter Brücken. Vielseitig wird es aber bei den Fenstern, die als solche nur aus den Bildtiteln erkennbar werden. Es sind Prager Fenster. Da kommen Assoziationen auf an die Entsorgung kaiserlicher Beamter auf einen Misthaufen anno 1618. Doch hier wird es nicht historistisch. Den Farbfeldmalereien sind Beschriftungen krakelig eingefügt, manchmal auch Silhouetten von Personen.

Etwas enttäuschend finde ich aber, dass er jetzt ganz brav mit „Osten“ signiert (auch wenn das nicht sein bürgerlicher Name ist). Früher hatte er aber so schöne Signaturen wie „XXX“, „z.B.“ oder „sachlich richtig“.

"Selma" aus der Serie "Parge Fenster"

„Selma“ aus der Serie „Prager Fenster“

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