Catwalk für alle

Einen dreißig Meter langen Roten Teppich hat heute die ukrainische Künstlerin Lada Nakonechna in der Hainstraße ausgelegt. So können sich die sonnabendlichen Shopping strömenden Passanten mal als Very Important Persons fühlen. Eigentlich will die Künstlerin mit dem aus diversen roten Kleidungsstücken zusamemngenähten Teppich aber auch zum Nachdenken über die Wegwerfmentalität anregen.

Veröffentlicht unter kunst, leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Gleichung mit Unbekannten

Wegen einer Lesetour des amerikanischen Autors Mark Greif, die auch in Leipzig Station machte, gab es kurzzeitig eine Welle in hiesigen Medien zu Greif und auch der Zeitschrift n+1, zu deren Gründern und Stammautoren er gehört. Von einer Neuerfindung des Essays war da die Rede und auch, wie schal doch hierzulande die Essayistik im Vergleich zu n+1 wäre.

Unterdessen habe ich die bei Suhrkamp erschienene Anthologie Ein Schritt weiter gelesen. Die Themen sind sehr breit aufgestellt – vom Abgewöhnen des Rauchens und dem Fitnesswahn bis zu Folter im Irakkrieg und zur Mimik des George W. Bush (wer war das doch gleich?). Die Auswahl der Texte stammt aus den ersten fünf Ausgaben der völlig abbildungsfreien Zeitschrift, erschienen zwischen 2004 und 2007. Nicht jeder Artikel hält der unterdessen eingetretenen historischen Entfernung stand. So erscheint es heute etwas seltsam, wenn da über die damals noch ziemlich neue Welle des Bloggens geschrieben wird: Es ist unbestritten, dass jeder die Möglichkeit hatte, vielen anderen seine besten Gedanken mitzuteilen. Jeder hätte ausführliche Rezensionen seiner besten Bücher und Platten ins Netz stellen können. Nur: es ist nicht passiert, zumindest nicht oft genug. Überhaupt geht die betonte politische Progressivität mit einer betulichen Abneigung gegen Emails, Handys und so weiter einher.

Am interessantesten wird es da, wo literarische Themen behandelt werden, vielleicht, weil Literatur per se etwas zeitloser ist als die neueste Kommunikationstechnik. Am besten finde ich Diana Abbott. Ein Lehrstück, worin Benjamin Kunkel die Bemühungen einer kalifornischen Teilzeit-Kritikerin aus gutem Hause darstellt, einen Artikel über J. M. Coetzees neuestes Buch zu verfassen, und wie auf diesem Umweg selbst die Literatur des südafrikanischen Nobelpreisträgers respektlos seziert.

Ansonsten sind es gerade die kleinen Alltagsbeobachtungen, die ab dem zweiten Heft unter der Überschrift Zur intellektuellen Lage erschienen. Die haben etwas von Blog-Postings der besten Sorte, aber das Bloggen mögen die Autoren ja nicht. In diesen Tagebucheinträgen treten sie nicht namentlich, sonder als das Kollektiv n+1 Research auf. Auch diese Marotte hat eigentlich etwas von der Anonymität des Netzes. Übertrieben selbstbewusst erscheint aber das „Research“ in diesem Titel, handelt es sich doch eher um literarische Miniaturen in der Nachfolge eines Walter Benjamin.

Ich kann mir vorstellen, dass die Zeitschrift frisch nach dem Erscheinen von den amerikanischen Intellektuellen verschlungen wird. Und auch diese Auswahl in Buchform lässt sich ohne Langeweile lesen. Aber eine Revolution des Essays? Vermutlich ist die gar nicht notwendig.

Veröffentlicht unter kritik, literatur | Hinterlasse einen Kommentar

Zitat des Tages

Es wird ja immer wieder mal über die Leipziger Kultur und deren Finanzierung gestritten. In einer Artikelserie der Leipziger Internet-Zeitung äußerte sich gestern dazu Gerhard Pötzsch, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Stadtrat und forderte unter anderem:

– breite Akzeptanz frischer Dynamik in reicher Tradition ohne Spartenschließung
bei Zusammenlegung unter Berücksichtigung des Garanten Arbeit für Einnahmen forcieren.

Jetzt weiß ich alles.

Veröffentlicht unter kulturpolitik, leipzig | 1 Kommentar

Der Wert des Preises

Einigermaßen überrascht war ich, unter den fünf Titeln der Shortlist zum Preis der Leipziger Buchmesse Jens Sparschuhs neuen Roman „Im Kasten“ zu finden. Das Buch hatte ich gerade, noch in Form von Druckbögen, gelesen, um für die LVZ eine Rezension zu schreiben. Ja, ganz nett. Es lässt sich flüssig lesen, hat Unterhaltungswert. Aber den Preis der Buchmesse dafür vergeben? Da erwarte ich doch ein höheres literarisches Gewicht und musste an die Aussage Andreas Heidtmanns denken, der mir in einem Interview (LVZ vom 23. September 2011) sagte, es wäre eine große Kulturleistung, diesen Preis einfach abzuschaffen. Er meinte damit vor allem die fast ausschließliche Berücksichtigung von großen Verlagen. Das trifft nun auch in diesem Jahr wieder zu.

Eigentlich habe ich gar nichts dagegen, dass vom hochoffiziellen Literaturbetrieb auch satirische Literatur zur Kenntnis genommen wird. Im Gegenteil, gerade die Überbetonung des Tiefsinnigen und Schweren stört mich ja zumeist. Nur werden eben gerade von den kleinen Verlagen viele Bücher dieser Richtung herausgebracht, und manche davon sind literarisch deutlich besser als das für mich doch ziemlich altbacken wirkende „Im Kasten“. Wäre der Roman nicht gerade bei KiWi erschienen, sondern bei Voland & Quist, Verbrecher Verlag etc, hätte er sicher keine Chance gehabt, nominiert zu werden.

Veröffentlicht unter kritik, kulturpolitik, literatur | Hinterlasse einen Kommentar

Werch ein Illtum!

Wie aktuell Ernst Jandls Lichtung immer noch ist, zeigt ein Twitter-Posting von Erika Steinbach, der Obervertriebenen: Irrtum. Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERpartei ….

So einfach also ist die politische Einordnung. Wenn da im Namen sozialistisch und auch noch Arbeiter vorkommt, muss es links sein. Warum Frau Steinbach dann auch noch NAZIS in Versalien schreibt, wird nicht ganz ersichtlich. Will sie auch noch irgendwen davon überzeugen, dass die NSDAP neben ihrem zutiefst sozialistischen Charakter auch noch gewisse nationalistische Anflüge hatte?

So einfach kann politische Theoriearbeit sein. Natürlich freuen sich dann die „intellektuellen“ Rechten über so eine Bestätigung ihres Weltbildes durch eine Außenseiterin innerhalb der immer weiter nach links (=nationalsozialistisch?) abdriftenden CDU. Nazis wollen sie ja um auf keinen Fall sein, straff rechts aber auf jeden Fall. Und wenn Nazis links sind, ist ja alles geklärt. Dann gibt es rechts von den „Neuen Rechten“ gar nichts mehr.

Wie ist das dann aber mit der Nationaldemokratischen Partei (NPD)? Sozialistisch ist die definitiv nicht, steht ja nicht im Namen. Auch mit Arbeitern hat sie offenbar nichts zu tun. Aber demokratisch? Das müsste den Neurechten auch verdächtig sein (ist ihnen nur noch nicht so aufgefallen), mit Demokratie haben sie doch auch nichts am Hut. Darum distanzieren sie sich ja von der Christdemokratischen Partei, die bis auf wenige Renegaten wie Erika Steinbach ohnehin nicht mehr von dem sonstigen Lager der systemtragenden Parteien zu unterscheiden ist. Sollten sich also die Führungskräfte der NPD nach dem nun ohnehin nicht mehr auszuschließenden Verbot nach der Neugründung umbenennen? Nationalsozialistisch kommt nicht in Frage, das ist links. So links wie die drei Zwickauer Sympathisanten. Nur noch national? Oder Nationalrechte Partei, um keine Fehldeutungen zuzulassen? Irgendeine Lösung wird ihnen schon einfallen. Und die Kumpels von der Neuen Rechten werden es sanft kritisieren –  irgendwas ist ja immer – aber eigentlich ganz in Ordnung finden. Und Ordnung muss ein.

Veröffentlicht unter politik, sprache | 4 Kommentare

Tag der geschlossenen Tür

Heute stand ich zum zweiten Mal innerhalb von acht Tagen vor der Tür des Laden für nichts in der Spinnerei, um einen LVZ-Artikel über die Ausstellung von Markus Uhr zu schreiben. Und wieder war zu innerhalb der ausgeschriebenen Öffnungszeit. Vorige Woche hing wenigstens noch ein entschuldigender Zettel dran. Nun erfüllt sich der eigenartige Name der Galerie auf unangenehme Weise. Jedenfalls ist mein Interesse gestorben. Doch auch vor Delikatessenhaus und Galerie ASPN habe ich schon vergeblich rumgestanden, obwohl hätte offen sein müssen. Klar, ich bin kein konsumfreudiger Kunstsammler. Aber wenn nur die willkommen sind, kann man sich Öffnungszeiten auch ganz sparen und nur nach vorheriger Vereinbarung aufschließen.

Veröffentlicht unter kunst, leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Farbloser Brief an einen keinesfalls Blauen

Herr Menzel,

da haben Sie also wieder mal (k)einen blauen Brief verschickt. Bisher waren die Adressaten ja normalerweise mehr oder weniger hochrangige Parteipolitiker. Nun ist es die Staatsanwältin Klenke. Die kannte ich bisher nicht, habe aber von ihr ebenso wie Sie vorige Woche ein Schreiben bekommen. So richtig traditionell, oder konservativ, wie sie zu sagen belieben, auf Papier ausgedruckt und per Post zugestellt. Da stand drin, dass Ihre Anzeige gegen mich wegen Beleidigung nicht von öffentlichem Interesse sei und darum fallengelassen wird. Das freut mich eigentlich, denn der Zeitaufwand für ein Gerichtsverfahren ist doch unproduktiv. Andererseits hatte ich mich schon darauf vorbereitet und für einen sehr wahrscheinlichen Freispruch gute Argumente gesammelt. Weiterlesen

Veröffentlicht unter neues | Hinterlasse einen Kommentar

Schöner feiern

Meine liebsten Namen von Kneipen oder Clubs in Leipzig:

1. Ilses Erika

2. Noch besser leben

3. Besser leben

4. Schlechtes Versteck

5. Conne Island

6. Nato

7. Horns Erben

8. Wärmehalle Süd

9. Staubsauger

10. Kulturwirtschaft Waldfrieden

Veröffentlicht unter leipzig, liste | Hinterlasse einen Kommentar

Ja sie lebt noch (ein bisschen)

Kaum etwas bewegt die Chemnitzer derzeit mehr als der taz-Artikel Cui bono, Chemnitz? von Michael Gückel und die Reaktionen darauf. Etwas übertrieben fand ich aber die Einblendung unter den Kommentaren bei taz-online: Vorwurf der Leichenschändung. So ist das mit der eingeschobenen Werbung, da ergeben sich häufig nette Assoziationen.

Passender sind zum Thema zwei andere Medienfundstücke. In der ZEIT 52/2011 äußert die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig zu den Wünschen für das neue Jahr allen Ernstes: Das Etikett „Industriestadt“ ist heute kein Makel mehr, sondern ein Gütesiegel. Weiter: Und eine wichtige Botschaft für junge Leute lautet: Hier kann man inzwischen eine internationale Karriere starten, ohne seine Wurzeln dafür aufzugeben.

Wegen ihres Idealzieles, das Sächsische Manchester wieder aufleben zu lassen, sollte Frau Ludwig nochmal bei Friedrich Engels bezüglich der Nebenwirkungen nachlesen. Und wegen der Wurzeln war im Stadtstreicher, dem Chemnitzer Stadtjournal, ausgerechnet in der Jubiläumsausgabe zum Zwanzigsten eine düstere Karikatur mit vielen Grabsteinen zu sehen, auf denen unter anderen steht: Splash, Cube, ZV-Bunker, Konzerte im Kraftwerk …  So bleibt den jungen Karrieristen nicht viel anderes übrig, als nach der Schicht an der Stanze entweder in der Stadthalle zu volkstümlichen Weisen zu schunkeln oder mitzufiebern, dass der CFC die mühsam errungene Drittklassigkeit halten kann.

Veröffentlicht unter chemnitz | Hinterlasse einen Kommentar

Ein verlorenes Land namens BRD

Bie 2001 gab es einen ganzen Packen Bücher aus dem Verbrecher Verlag für wenig Geld. Auch wenn ich von den 10 Bänden erst die Hälfte geschafft habe, will ich nach und nach die Eindrücke vor dem gänzlichen Verblassen einfangen. Also ganz von vorn. Noch am Algarve-Strand – das passt – habe ich My private BRD von Ambros Waibel gelesen.

Eine Kindheit und Jugend im München der siebziger Jahre wird seziert. Das ist an sich nichts aufregendes, und  tatsächlich passiert bei Waibel nicht viel Spektakuläres. Sich mit Hilfe eines befreundeten Arztes vor der Wehrpflicht drücken wollen, dann aber doch gehen, ist ja nicht so außergewöhnlich. Doch der Autor findet einen angenehm selbstironischen Ton zur Schilderung dieses kleinbürgerlichen Milieus zwischen Nachbarschaft, Schule und Vereinen, das immer ein wenig auf der Kippe steht. Der Vater sondert sich ab, der Bruder schlägt eine linksradikale Karriere ein, und über sich selbst sagt Waibel: Meine einzigen Schwächen sind Feigheit, mangelndes Selbstbewußtsein und Größenwahn. Das Leben eckt immer wieder an, ohne wirkliche Schmerzen zu bereiten.

Eigentlich müsste es aus östlicher Perspektive eine fremde Welt sein, diese private BRD. Doch vieles kommt einem so sehr vertraut vor, nicht erst jetzt, da man auch die diversen Warenmarken aus eigener Anschauung kennt. Und was fremd erscheint, ist vermutlich wegen der Patina auch für viele Münchener schon etwas seltsam.

Veröffentlicht unter kritik, literatur | Hinterlasse einen Kommentar