Farbloser Brief an einen keinesfalls Blauen

Herr Menzel,

da haben Sie also wieder mal (k)einen blauen Brief verschickt. Bisher waren die Adressaten ja normalerweise mehr oder weniger hochrangige Parteipolitiker. Nun ist es die Staatsanwältin Klenke. Die kannte ich bisher nicht, habe aber von ihr ebenso wie Sie vorige Woche ein Schreiben bekommen. So richtig traditionell, oder konservativ, wie sie zu sagen belieben, auf Papier ausgedruckt und per Post zugestellt. Da stand drin, dass Ihre Anzeige gegen mich wegen Beleidigung nicht von öffentlichem Interesse sei und darum fallengelassen wird. Das freut mich eigentlich, denn der Zeitaufwand für ein Gerichtsverfahren ist doch unproduktiv. Andererseits hatte ich mich schon darauf vorbereitet und für einen sehr wahrscheinlichen Freispruch gute Argumente gesammelt.

Frau Klenke habe sich offensichtlich keine Minute lang die Frage gestellt, was meine „Denunziation“ für Sie, das konservative Lager und die Meinungsfreiheit in Deutschland bedeute, schreiben Sie. Ich fange mal beim letztgenannten Fakt an. Für die Meinungsfreiheit in Deutschland bedeutet es, dass man auch weiterhin extreme Rechte wie Sie als solche bezeichnen darf. Zudem darf man sich mit Ihrer Ideologie offensiv auseinandersetzen und sie weiterhin scharf kritisieren. In umgekehrter Logik dürfen auch Sie weiterhin Ihr Gedankengut (gut??) weiterhin unbehelligt verbreiten. Haben Sie den Brief der Staatsanwältin wirklich gründlich gelesen? Es wurde Ihnen noch kein Publikationsverbot erteilt! Vergleichsweise dämlich ist das auch von Ihnen mitvertonte Geschrei, Sarrazin sei wegen seines Pamphlets in Buchform in der Meinungsfreiheit beschnitten worden, da es heftige Kritik gab. Das Buch ist jetzt sogar noch als Paperback erschienen, der Autor wurde damit Millionär und reist nach wie vor auf Lesereisen durch das Land ohne Redeverbot. Sie hingegen haben doch schon einmal als Mitkämpfer von Kubitscheks Konservativ-subversiver Aktion eine Veranstaltung Daniel Cohn-Bendits mit anhaltendem Geplärre „Wo ist Sarrazin?“ zu verhindern gesucht. Von wessen Meinungsfreiheit ist die Rede?

Was der Bescheid der Staatsanwältin für das „konservative Lager“ bedeutet, kann ich nicht einschätzen. Ich lagere dort nie. Da müssen Sie schon selbst mal bei Merkel, Seehofer oder auch Guttenberg nachfragen, wie beleidigt die sich wirklich fühlen. Ach, das sind gar keine Konservativen, sondern verkappte Linke? Im Vergleich zu Viktor Orban sind sie das tatsächlich. Sollten Sie als Hochintellektueller nicht endlich mal darüber sinnieren, was der Unterschied zwischen konservativ und reaktionär ist? Und was reaktionär in der Konsequenz bedeutet? Jetzt bitte keine Wortspielerei á la Aktion und Reaktion! Sie wollen ja auch nicht zulassen, dass „konservativ“ etwas mit Bewahrung der bestehenden Zustände zu tun habe, wie das Wort es suggeriert.

Nun aber zu der „Denunziation“, die Sie auf die Palme, ähh, auf die gutdeutsche Fichte gebracht hat. Ich hätte Sie in die Nähe zu Anders Breivik gerückt. Nähe ist ein äußerst relativer Begriff. Oslo ist von Chemnitz, wo sie wohnen, tatsächlich weit über tausend Kilometer entfernt. Limbach-Oberfrohna liegt gleich nebenan. Dort haben es heute Leute schwer, die wegen bunter Haare oder eines Piercings für Linke gehalten werden. National-befreite Zone nennen das Ihre Gesinnungsgenossen. Dieses Freiheitsverständnis zurückzudrängen, darf nicht dem Staat allein überlassen werden.

„Die Meinungsfreiheit braucht dringend den Schutz des Staates. Sobald eine Häufung von Denunziationen gegen eine Person oder Gruppe auftaucht, ist der Staat gefordert, weil es den Opfern dieser Hetzjagden nicht zugemutet werden kann, unzählige Privatklagen mit enormen Kosten zu führen.“ Ihr Spendenaufruf für die „politischen Prozesse“ gegen mich und andere Kritiker Ihres supernationalistischen Wunschdenkens hat wohl noch nicht genügend eingebracht? Die Stilisierung als Opfer wird langsam peinlich. Zu offensichtlich ist, dass Sie genau diese Rolle dringend benötigen, um als Fels der Unangepasstheit im Ozean des Konformismus dazustehen. Darum auch dieses klandestine Gehabe mit einer öffentlichen Buchvorstellung, von der niemand vorab den Ort wissen darf. Zu dieser Show passt auch die starke Bemerkung, ich wolle Sie „fertigmachen“. Zwar hätte ich nichts dagegen, würden Blaue Narzisse, Sezession und Junge Freiheit geräuschlos verschwinden, doch wenn man mit zwei Blogeinträgen jemanden „fertigmachen“ kann, dann müssten Sie mit Ihren Texten doch das halbe Establishment dieses Landes in die Knie gezwungen haben. Nochmals: Ihre Meinungsfreiheit ist nicht beeinträchtigt, die BN steht meines Wissens nicht einmal unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Zugleich beharre ich auf meiner Freiheit, Äußerungen des rechten Randes zu sezieren und in Frage zu stellen.

Meine Darstellung der BN würde Nachahmer ermuntern, schreiben Sie. Das ist zuviel der Ehre. Jesko Wrede beobachtet das Tun der Blauen Narzisse in seinem Blog schon seit Jahren, da war kein Anstoß von mir nötig. Und warum bezeichnen Sie eigentlich jede Meinungsäußerung, die Ihnen nicht passt, als Denunziation? Mit diesem Begriff müssen doch gerade Sie und Ihre Mitautoren vorsichtig umgehen. Bei der Auseinandersetzung mit politisch anders Aufgestellten  – und das linke Spektrum fängt für Sie ja schon bei CDU/CSU und FDP an – ist es Ihnen doch nicht einmal zu schmutzig, äußerliche Merkmale der Personen zu instrumentalisieren und auch Bezeichnungen wie „fette Qualle“ oder „JU-Maden“ zu benutzen.

Sie meinen, ich würde Ihnen Fremdenhass unterstellen, ohne Belege dafür zu haben. Schon oberflächliche Blicke in die BN reichen, um dafür genügend Anhaltspunkte zu finden. Ein markantes Beispiel ist der Beitrag „Kreuzberg und die Wahl in Berlin“ vom 18. Juli 2011 von Ihnen höchstpersönlich. Ein zunächst unscheinbarer Text, in dem die sonst so gern benutzten Begriffe wie „Überfremdung“ oder „Krieg gegen Deutsche“ überhaupt nicht vorkommen. Da heißt es lediglich:
Vor fast drei Jahren haben wir eine zweiteilige Kreuzberg-Reportage gebracht […]. Aber was nützen schon gründliche Schilderungen und Fakten? Die Realität sieht so aus:
Die Direktkandidaten im Berliner Wahlbezirk 3, Kreuzberg Nordost (Wahl zum Abgeordnetenhaus am 18. September) sind:
– Muharrem Aras (SPD), 38 Jahre, Rechtsanwalt
– Ertan Taskiran (CDU), 40 Jahre, Angestellter
– Figen Izgin (Die Linke), 45 Jahre, Sozialpädagogin
– Dr. Turgut Altug (Grüne), 45 Jahre, Agrarwissenschaftler

Nichts weiter als eine Aufzählung. All diese Personen müssen deutsche Staatsangehörige sein, sonst könnten sie nicht kandidieren. Die türkischen oder anderweitig nicht deutschen Namen allein reichen, dass bei Ihnen die Alarmglocken anschlagen. Es kann sich auch nicht um eine durchaus berechtigte Kritik am Islamismus handeln. Denn ob diese Kandidaten wirklich gläubige Moslems sind, ist gar nicht sicher. Und auch dann wären es noch lange keine Islamisten. Was Sie hier betreiben, ist nichts anderes als die Übersetzung des dumpfen Slogans „Ausländer raus!“ ins Pseudointellektuelle.
Dann gibt es auch noch die Rubrik zur Ausländerkriminalität auf Ihrer Seite, so als wäre Kriminalität entschuldbar, wenn sie von Deutschen verübt wird. Da liest man unter anderem: Der Täter, der mit südländischem Akzent sprach […] Dagegen ist die übliche Vorverurteilungspraxis der Bild-Zeitung geradezu harmlos.
Noch eine Bemerkung zu Ihrer angeblichen Verurteilung jeder Gewalt. Ich weiß durchaus zwischen originären Blogbeiträgen und Fremdkommentaren zu unterscheiden. Doch es geht ja gerade um die Frage, welche Wirkungen ihre Ideologie bei Anderen hervorruft. Ein Fjordman macht sich auch nicht selbst die Finger schmutzig, liefert aber Breivik die Argumente dafür. Und so findet man eben im BN-Blog den mich betreffenden Kommentar eines sich zärtlich Nandibär nennenden Lesers: Man ist ja öfters mal abends in Leipzig unterwegs, vielleicht sollte man sich ganz persönlich für die publizistische Unterstützung bedanken, wenn man ihn mal allein trifft … Und weiter:  Und wer den Kassner abends besoffen aus der Kneipe wanken sieht, biete ihm an, ihn (sic!) über die Straße zu helfen: es muß wie ein Unfall aussehen […] Das ist nichts anderes als ein Mordaufruf. Ebensowenig, wie Sie meiner zweimaligen Aufforderung, Ihre Falschaussagen zu angeblichen anonymen Telefonanrufen zu widerrufen, Folge leisteten, wurde diese Anstiftung zu physischer Gewalt einer Ihrer Anhänger gelöscht oder gegenkommentiert. Was faseln Sie dann andauernd von Ihren Grundrechten, die der Staat zu schützen habe? Was sind Ihnen meine Grundrechte wert, sowohl das auf freie Meinungsäußerung als auch das auf physische Unversehrtheit?
Am Schluss Ihres Briefes drohen Sie an, den Gehorsam gegenüber dem Staat gegebenenfalls aufzukündigen. Wie kann man sich das konkret vorstellen? Dass Sie Ihren Pass abgeben, kann ich nicht glauben. Damit würden Sie ja genau das verlieren, was Ihnen am Heiligsten: die Bestätigung, deutsch zu sein. Also keine Steuern mehr zahlen? Oder aber die Gesetze ignorieren und zur Selbstjustiz greifen, womöglich gleich in den Untergrund gehen?
Noch eine Randbemerkung. Ein Gesellschaftsvertrag wird nicht zwischen jedem einzelnen Individuum und dem Staat abgeschlossen. Der Begriff ist ein Abstraktum, erdacht von Rosseau, einem jeder Aufklärer des 18. Jahrhunderts, die sie so ganz und gar nicht mögen. Die Staatsanwältin wird darum vermutlich so wenig wie ich verstehen, wie Ihre einseitige Kündigung des Vertrages denn aussehen könnte.
Irgendeine Grußformel spare ich mir, jede wäre eine Lüge.
Jens Kassner

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