Letzte Runde Karussell

Bisher glaubte ich, es sei der Tiefpunkt in der Karriere alternder Schlager- und Pop-Sternchen, bei der Eröffnung von Baumärkten und Gebrauchtwagenhandlungen singen zu dürfen. Doch heute sah ich ein Plakat für eine Wahlkampfveranstaltung der FDP in Leipzig, zu der die Euro-Blondine Koch-Merin, Guido Dauerwelle und Genschman auflaufen. Und die Gruppe Karussell. Vor fünfundzwanzig Jahren fand ich die mal richtig gut, manche Songs halte ich sogar heute noch für geeignet, am Lagerfeuer auf der Wanderklampfe intoniert zu werden. Aber zu einer Wahlsause der sogenannten Liberalen? Vielleicht spielen sie „Ehrlich will ich bleiben“, ohne dazu zu sagen, dass der Text von Kurt Demmler stammt, der sich vor einigen Wochen in Untersuchungshaft erhängt hat.

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Gesund (?) geschrumpft

Nun habe ich endlich mal das neue örtliche Telefonbuch bei der Post abgeholt. Die Überraschung kam, als ich zu Hause dann das bisherige Exemplar entsorgen wollte. Das ist fast doppelt so dick wie das aktuelle! Was ist da los? Dafür bin ich doch nicht nach Leipzig gezogen! Eine Konstante ist allerdings, dass auf dem Buchrücken ein Bestattungshaus Werbung macht. Wie tröstlich.

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Sehr nett

Bei einer kürzlich erfolgten familiären Feierlichkeit lag eine CD auf dem Gabentisch, auf der „yusuf roadsinger“ steht. Es hat sich ja schon rumgesprochen, dass der in den Siebzigern unter dem Namen Cat Stevens ausgesprochen erfolgreiche Steven Demetre Georgiou seit vielen Jahren unter Yusuf Islam firmiert und als solcher auch schon eine Comeback-Scheibe veröffentlicht hat. Für die zweite seiner neuen privaten Zeitrechnung hat er den in Mitteleuropa und Nordamerika gerade nicht sehr werbeträchtigen Nachnamen wieder abgelegt. Weiterlesen

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Kompensation versprühen

Unter der Schlagzeile Graffiti-Tiger brüllt im Stasi-Keller schreibt die LVZ heute über eine Aktion, bei der 20 Jugendliche im Hof der „Runden Ecke“, also der früheren Leipziger Stasi-Zentrale, auf genormte Tafeln sprayen durften. Demokratie versprühen nennt sich das Ganze. Das Thema ist also auch vorgeschrieben. Dem beigefügten Foto nach ist die Demokratie offenbar etwas ziemlich Amorphes, Verschwommenes. Das kommt hin. Auch dem ersten Satz des Artikels kann ich zustimmen: Das wäre der Stasi zu bunt geworden. Richtig, in der DDR wurde das Graffiti-Problem auf brachiale Weise gelöst, indem es keine Farbspraydosen zu kaufen gab.

Alles Weitere ist die blanke Farce. Während jede Street Art immer stärker kriminalisiert wird, sollen ein paar Vorzeige-Kids die Toleranzfähigkeit des Staates illustrieren. Mussten die vorher ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, oder ist das in Zeiten der flächendeckenden Videoüberwachung und Vorratsdatenspeicherung gar nicht mehr nötig? Ich hoffe nur, dass diese Typen sich den respect ihrer Crews dauerhaft verspielt haben.

Nun weiß ich aber zumindest, was der dem designierten Leipziger Kulturbürgermeister zugeschriebene Spruch, die Freie Szene sei ein Kompensationsraum für Problemgruppen, eventuell bedeuten könnte. Blöd nur, dass die veranstaltende Birthler-Behörde (noch) nicht zur Freien Szene gehört.

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Des Zentralgestirns Wirkmächtigkeit

Manchmal schaffen es auch sogenannte Selbstständige, an einem regulären Sonntag einfach so auf der Wiese zu liegen. In unserem Falle das Neue Rathaus der Heldenstadt im Blickfeld, trotzdem ziemlich ruhig, abgesehen von schimpfenden Raben, die auf Restbestände vom Grillgut warten. So rumhängend denke ich Sonne tanken oder Batterien aufladen und schon ist es vorbei mit der seelischen Ruhe. Wie sind wir (oder ich, um niemand in Sippenhaft zu nehmen) doch in der Technikabhängigkeit gesunken, wenn einem nur solche Metaphern einfallen. Was haben gestresst-prekäre Intellektuelle vor Erfindung von Eisenbahn, Glühbirne, Ottomotor in solchen Fällen gedacht? Da muss ich mal Andreas Eichler fragen, derzeitiger Vorsitzender des Sächsischen Schriftstellervereins. Ihn kenne ich zwar seit zwanzig Jahren recht gut, aber etwas verdutzt habe ich vor einem Jahr trotzdem geguckt, als er bei einer Podiumsdiskussion auf meine Frage, welche Bücher der letzten Jahre ihn beeindruckt hätten, antwortete: „Ich lese keine Gegenwartsliteratur, nur 18. Jahrhundert.“ So geht es auch, da hat man immer ein Herder-Zitat zur Hand, sogar zum Ozon-Loch. Dann verwundert es auch nicht, dass ich in diesem unwichtigen Posting keinen Link zum Sächsischen Schriftstellerverein setzen konnte. Der hat naturgemäß keine Internetseite.

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Hirnspülung

In den letzten Wochen und Monaten habe ich – manche Beiträge des Blogs spiegeln es wieder – ziemlich viel Zeit und Nerven investiert, um für Chemnitz den kleinen Hoffnungsfunken Experimentelles Karree am Leben zu erhalten. Das ist nun erledigt. Weiterlesen

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Reisen bildet

Da lebe ich nun schon als mehr drei Jahren in Leipzig und kriege erst jetzt mit, dass an jeder Straßenbahn ein Häppchen Heimatkunde dransteht – Stadtteile oder auch Promis, die nicht mehr unter uns weilen. Einen Tag an der Zentralhaltestelle zu sitzen, erspart also den Kauf des ziemlich teuren Leipzig-Lexikons. Das ist doch mal eine Maßnahme kultureller Bildung ohne soziale Schranken!

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Sonntag in den Leipziger Bergen

Zwar konnten wir auch in diesem Jahr nicht am Prix de tacot, bekannter als Nato-Seifenkistenrennen auf dem Fockeberg, aktiv teilnehmen, da sich unser Technischer Direktor nach Kairo abgesetzt hat. Schön wars trotzdem, nicht nur wegen des Sonnenscheins. Nun müssen wir zusehen, wo wir für nächstes Jahr begabte Mechaniker herkriegen, die unsere Kiste zusammenbauen. Hier nur ein paar Bilder von den rund 150, die ich gemacht habe. Weiterlesen

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Die Fratze der Anarchie …

… wurde gestern deutlich sichtbar beim „Experimentellen Bürgersteig“ in Chemnitz. Da wurden Weiterlesen

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Freidrehende Liberale

In Zeiten des Wahlkampfes erklimmt die Kreativität Lichtmasten und Absperrgitter. Aus dem Einheitsbrei der Plakate mit Kandidatengesichtern und sinnigen Sprüchen wie Besser für Leipzig oder Zusammen für Leipzig heben sich die Werbeposter der FDP ab. Außer dass man dem Wahnsinn der autogerechten Stadt mit dem Slogan Parkplätze statt Knöllchen huldigt, steht da auch Mittelstand statt VEB. Das VEB ist dabei zaghaft durchgestrichen. Zunächst ist klar, dass die Freiheitlichen nicht auf eine junge Wählerschaft abzielen. Denen müsste man die Abkürzung ja erst einmal erklären. Aber auch altgediente Anhänger und Funktionäre der LDPD FDP müssten doch langsam mitgekriegt haben, dass da vor fast zwei Jahrzehnten eine Institution mit dem schönen Namen Treuhand (von manchen Beobachtern in die Rubrik Staatskriminalität eingeordnet) sehr nachhaltig die sogenannten Volkseigenen Betriebe verhökert hat, sicherlich auch zum Vorteil vieler FDPler. Nun hat aber vor kurzem tatsächlich eine Gegenbewegung eingesetzt. Plötzlich werden von New York bis Rüsselsheim Banken und Großkonzerne verstaatlicht, also in Volkeigentum überführt (zumindest bis zu erfolgreichen Sanierung seitens des Volkes). Nicht etwa von Kommunisten, Anarchisten oder abweichlerischen Sozis. Nee, von ganz soliden Stockkonservativen. Will die FDP nun mit dem Plakat sagen, dass sie sich gegen die neuerdings ziemlich enteignungsfreudige CDU stellt? Dem widersprechen bekannt gewordene Koalitionswünsche. Das Plakat übersteigt eindeutig meinen intellektuellen Horizont. Macht nichts. In die Versuchung, FDP zu wählen, bin ich ohnehin noch nie gekommen.

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