Mut zum Zweithören

So ist das mit den Weihnachtsgeschenken: Hören wollte ich Lulu – die CD des seltsamen Teams Lou Ree & Metallica schon mal, nach der Lektüre einer vernichtenden Kritik in der ZEIT aber nicht unbedingt besitzen. Nun lag sie unterm imaginären Tannenbaum.

Easy listening lässt schon das Thema nicht erwarten, diese bluttriefende Story einer Teilzeitprostituierten nach Frank Wedekind bzw. Alban Berg. Doch auch die Musiker brachten ja bisher nur gelegentlich Stücke wie Nothing else matters (Metallica) oder Pefect day (Reed) auf den Markt, die zum Wunderkerzenschwenken taugen. Schwerwiegender ist vielleicht noch, dass Lou Reed, der in Kürze 70 wird, nicht mehr singen kann. Auf ZDF Kultur sah ich im Sommer die Übertragung eines französischen Rockfestivals, wo er in Begleitung junger, guter Instrumentalisten alte Songs vor sich hinbrabbelte.

Zwar lässt sich mit zeitgenössischer Studiotechnik einiges zaubern, doch auch das hat Grenzen. Insgesamt wirkt das Opus, die erste der beiden CDs ganz besonders, wie ein neues Lou-Reed-Album, zu dessen Produktion er paar zusätzliche Musiker benötigte. Da die harten Jungs von Metallica gerade im Nebenstudio auf den Pizzaservice warteten, sind sie eben eingesprungen. Also ein knorriges Rezitativ, schon von der Verstechnik her nicht immer mit Rhythmus belastet, auf dem Teppich gitarrendominierten Sounds, der zuweilen ins Kakophonische hinübergleitet. Neben einigen sehr schrägen Passagen sind es aber gerade Hetfield, Ulrich, Trujillo & Hammett, die für einprägsame Melodiebögen sorgen und etwas Versöhnung aufkommen lassen.

Kurz: zu meinen Lieblingsscheiben wird Lulu wohl nicht gehören. Doch es stimmt auch nicht, dass man – wie es in der ZEIT stand – sie kein zweites Mal hören kann. Das tue ich nämlich gerade.

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Der elfte Poet

Vier Monate ist es schon her, als ich die Nr. 11 des Leipziger Literaturmagazins (in Buchform) namens poet zugeschickt bekam. Höchste Zeit nach der kleckerweise gestreckten Lektüre für eine kleine Rezension.
Wieder ist der Band mit den fast 300 Seiten spartenmäßig unterteilt, aber mit Besonderheiten. Weiterlesen

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Amtlich schadensfrei

Das Amt sei beschädigt, lamentieren gegenwärtig die Medien mit Vehemenz. Ja was ist denn kaputt da bei Wulffs in ihrem Berliner Zweitwohnsitz? Das Telefon scheint ja zu telefonieren. Oder hat er sich eines geborgt, als er auf Shakehand-Tour bei befreundeten Diktatoren war, um nicht mehr befreundete Redakteure auf diese Drehung des „Gefällt mir“-Daumens hinzuweisen? Angekratzt hat er damit jedenfalls bei Intellektuellen vorherrschende Abneigung gegen ein bestimmtes Boulevardblatt, mit dem sie nun leider solidarisch sein müssen.

Oder ist im Schloss Bellevue die namensgebende schöne Sicht beschädigt, etwa durch den Bau der A 100? Der Ausblick auf die weitere Amtszeit könnte immerhin getrübt worden sein.

Aber es geht doch nicht um dem Amtssitz, sondern das Amt, das die Person mit jenem Titel ausfüllt, werden Nörgler nun sagen. Wieso denn? An einer unweit gelegenen Immobilie steht doch drangeschrieben „Bundeskanzleramt“. Und wenn Frau Merkel von einer ihrer Spritztouren nach Paris zurückkehrend die Garageneinfahrt zu schwungvoll nimmt, dann hat sie das Amt beschädigt, ist doch ganz eindeutig.

Aber das Amt des Präsidenten steht noch etwas über dem der Kanzlerin, formal gesehen. Ein Hochamt also, da gibt es keine Garageneinfahrten, nur Himmelstore. Welchen symbolischen Schaden hat denn Wulff nun angerichtet? Sein Vorgänger musste zurücktreten, weil er die Wahrheit gesagt hat wegen der Kriegsgründe in Afghanistan. Davon hat der jetzige Amtsleiter doch hervorragend gelernt – bloß nicht zu viel sagen oder zu zeitig. Ein Wahrheitsgelübde kann also nicht zur Hausordnung gehören, die er nun verletzt haben soll.

Oder hat gar das Frollein vom Amt, die von den Medien unisono als attraktiv bezeichnete Reisebegleiterin des Präsidenten, einen Schaden? Davon wurde nichts bekannt.

Möglicherweise irren sich alle mit ihrer hohlen Floskel. Gibt es da überhaupt was zu beschädigen? So stromlinienförmig, luftig, fast unsichtbar wie dieses Amt ist, so unkaputtbar ist es doch auch. Jedes Bauamt kann mehr Schaden anrichten.

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Zeit der Abrechnung

Schaun wir doch mal, was aus den persönlichen Vorhaben für 2011 geworden ist:

1. bleibt zur Wiedervorlage, nur dass jetzt die Version 3.3. aktuell ist

2. naja, was heißt lernen? ungefähr 10 Akkorde kann ich schon

3. grandios gescheitert

4. eine selbsterfüllende Prophezeiung

5. kaum kündige ich an, teilnehmen zu wollen, fällt die Aktion aus. ich sollte wohl solche Drohungen sein lassen

6. kann sein, weiß nicht genau

7. erfüllt

8. nicht gefunden, nicht geschrieben

9. kein Problem

10. zum Glück haben wir keine Waage.

Und 2012?

1, 2, 8 und 10 bleiben als Wiedervorlage bestehen. Eigentlich auch die 9, aber man so klar ist ja nicht, ob alle Koalitionen halten. Bleiben also fünf Vorhaben offen:

1. wieder zwei Bücher veröffentlichen, natürlich andere als 2011

2. alle Leipziger Museen besuchen, in denen ich bisher noch nie war

3. an irgendeiner Ausstellung teilnehmen, notfalls eine eigene machen

4. Artikel in mindestens einer überregionalen Zeitung unterbringen

5. dieses Blog viel häufiger füttern.

So, das dürfte reichen.

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Alternativvorschlag

Stresstest ist also das Wort des Jahres 2011. Ich habe da einen anderen Vorschlag. Eigentlich sind es zwei Wörter, aber das eine ist nur zugehöriger Artikel: die Märkte. Wie nie zuvor trat in diesem Jahr diese heimlich-unheimliche Macht in Erscheinung. Politik wird eigentlich nur noch für die Märkte gemacht. Im Augenblick sollen sie sich vor allem beruhigen, da sie gerade cholerisch im Dreieck springen mit hochrotem Kopf. Lokalisieren oder beim Namen nennen lassen sie sich kaum, Dax oder Dow Jones sind doch nur Decknamen, biometrisch nicht auslesbar. Und solche Gesichter wie Josef Ackermann sind austauschbar, die Märkte aber bleiben. Auch 2012.

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Zeit ohne Alternativen

Noch vor wenigen Jahren konnte der slowenische Pop-Philosoph Slawoj Žižek in seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel Auf verlorenem Posten behaupten, dass der Begriff Kapitalismus aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwunden sei. Die Finanzkrise von 2008 hat dem Schein-Zombie aber eine Mund-zu-Mund-Beatmung verpasst, heute ist er trotz eines erbärmlichen Verwesungsgestanks lebendiger als vor zwanzig Jahren, wo Francis Fukuyama wegen seines Siegesgrinsens das Ende der Geschichte einläuten wollte.

Zeit für Die Zeit, eine Serie Was ist die Alternative zum Kapitalismus? einzuläuten. Es fing so schön an. Im ersten Teil des Zyklus, erschienen in Nr. 46 am 10. November, arbeitete neben einem verzichtbaren Crashkurs zu Sozialutopien von Bibel bis Bolschewismus und weiteren Ausflügen in die Geschichte Wolfgang Uchatius sehr treffend das Grundproblem des gegenwärtigen Kapitalismus heraus – die Reichtumsfalle. Der dem Kapitalprinzip eingeschriebene Zwang zum ewigen Wachstum ist an die Grenzen gestoßen. Wir haben alles! Ja, nicht jeder. Aber prinzipiell. Nun bräuchte man eigentlich nur noch etwas gerechter verteilen und auf weitere Überproduktion verzichten. Doch das wäre ja kein Kapitalismus mehr. Zwar ist der weder im bundesdeutschen Grundgesetz noch in der amerikanischen oder französischen Verfassung festgeschrieben, aber wohl doch eine unumstößliche Basis unterdessen fast der ganzen Welt. Also beschließt die Bundesregierung lieber ein Wachstumssicherungsgesetz als ein Umverteilungsgesetz.

Der ganz intelligenten Zustandsanalyse hätten dann in der nächsten Ausgabe der Hamburger Wochenzeitung die eigentlichen Entwürfe für Alternativen folgen können. Doch darauf warte ich seit drei Wochen vergeblich.

In Nummer 47 ist schon die Überschrift bezeichnend: „Nichts ist kostenlos“ wird da Singapurs greiser Autokrat Lee Kuan Yew zitiert. Der singapurische Kapitalismus mag sich ja durchaus vom europäischen unterscheiden, das tut auch der japanische, aber wo steckt da die Alternative? War Nordkoreas Sozialismus etwa ein brauchbarer Gegenentwurf zu dem der DDR? Als Zugabe doziert schließlich noch der US-Wirtschaftswissenschaftler Niall Ferguson über die Renaissance des Staatskapitalismus. Auch nicht sonderlich originell.

Ein Lichtblick: In Nummer 48 diskutieren sechs Zeit-Redakteure – hinter krypischen Formeln verborgen, aber dennoch nicht anonym – über das utopische oder auch gesellschaftsverändernde Potenzial des Internets. Da werden, abgemildert durch den flapsigen Umgangston, durchaus Gedanken geäußert, die eigentlich nicht mehr so absolut originell sind, aber doch noch nicht zum Standard des politischen Denkens gehören. Beispielsweise zur subversiven Kraft der freiwilligen, unentgeltlichen Bereitstellung von Wissen im Netz oder des Crowdsourcing. Das Palaver schließt mit einem „Hallejuja“. Es kommt vom Ressortleiter Wirtschaft, nicht von der Ressortleiterin Glauben und Zweifeln. Dass zum Schluss des Artikels die Rede um einen Neuen Mensch geht, zeigt schließlich, dass trotz der netten Ansätze auch hier Kapitalismus mehrheitlich als eine mentale Angelegenheit verstanden wird.

Dem wird dann in Ausgabe 49 die Krone aufgesetzt: Die Menschen müssen erst noch lernen, was sie glücklich macht, sagen Verhaltensforscher. Dann ändert sich auch die Gesellschaft. Das ist die lange Unterzeile des Artikels Formel für ein besseres Leben von Uwe Jean Heuser. Na toll, kenn ich das nicht aus der jüngeren Geschichte, an der ich selbst noch teilgenommen habe? Eine Alternative zum Kapitalismus sollte das zwar auch sein, aber eine katastrophal unbrauchbare. Darum wird in den anderen Beiträgen auch gar nicht erst über die Umerziehungsprogramme diverser Diktaturen gesprochen, sondern das Himalaya-Königreich Bhutan als das Gegenentwurf gepriesen. Dort gibt es immerhin einen Minister für Glück. Sollte aber der nächste G 20-Gipfel beschließen, die Weltwirtschaft nach dem Beispiel Bhutans umzukrempeln, werden die Börsen so heftig darauf reagieren wie auf die Slow-food-Bewegung, die sich ja auch dem Wachstumssteigerungsgesetz entgegenstemmt.

So bleibt Die Zeit mit ihrer groß angekündigten Serie seltsam alternativlos. Vielleicht ist es ja doch das falsche Medium für solch ein Thema.

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Bin ich hier vielleicht im falschen Film?

MeinIch: Wieder so eine Ausstellung, wo eine Galerie mit dem Multiplex-Kino verwechselt wird.

AuchmeinIch: Ja und?

MeinIch: Wenn ich in eine Kunstausstellung gehe, will ich nicht Filme gucken. Das kann ich zu Hause im Sessel oder eben vor großer Leinwand, mit Dolby Surround und einem Eimer Popkorn.

AuchmeinIch: Häähh?

MeinIch: Okay, das mit den Popkorn war nicht so gemeint, ist wirklich ekelhaft. Aber mal prinzipell gesagt: Das Medium ist die Botschaft! (Netter Spruch, ist mir grad spontan eingefallen, sollte ich Gebrauchsmusterschutz anmelden.) Falsches Medium am falschen Platz gleich falsches Konsulat in meinem Hinterhirn. Weiterlesen

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Bin ich ein Mensch?

Vor wenigen Tagen habe ich mich in der Community der Wochenzeitung Freitag angemeldet, um da ab zu Blog-Beiträge oder Kommentare scheiben zu können. Wenn man das tut, erscheint dann eine Sicherheitsabfrage, die klarstellen soll, dass da keine gelangweilte Festplatte selbstständig Beiträge verfasst. Dieses Formuar sieht so aus:

Das finde ich relativ genial. Fragen, was 1+1 ergibt! Auf die Antwort kommt bei all den bekannten Fortschritten der Elektronischen Datenverarbeitung (EDV) nur ein Mensch mit richtigem roten Blut in den Adern.

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Aristoteles als Carpaccio

Entgegen aller Prognosen zum Sterben der Printmedien sind doch immmer wieder mal neue Zeitschrften – so richtig altmodisch auf Papier gedruckt – zu finden. Als mich vorige Woche im entsprechenden Ständer bei Edeka zwischen Super-Illu und Computer-Bild ein Blatt namens Philosophie anstrahlte, griff ich jenseits jedes Rationalismus zu und erwarb das Printprodukt. Erare humanum est.

Schon die auf dem Cover angepriesene Themenstrecke Warum haben wir Kinder? hätte mich doch vom Kauf abhalten sollen. Meine Tochter ist gerade 28 geworden, was gibt es für mich da jetzt noch gründlich darüber nachzudenken?

Doch dann wird eben auch mit einem Interview mit Julian Assange geworben sowie einem Gespräch mit Axel Honneth unter der gerade vermarktungsträchtigen Überschrift Das Finanzkapital entmachten. Das sind auch die beiden interessantesten Beiträge des Heftes. Doch sie könnten genau so im Feuilleton von Die Zeit oder auch im Spiegel oder Stern nachzulesen sein.

Die Zeitschrift kommt im Layout eines Journals für gesundes Kochen oder Einkaufen mit der Zielgruppe Mittelschicht daher. Als Gimmick ist ein Heft im Heft als sogenannte Sammelbeilage eingeheftet, ein Auszug aus der Nikomachischen Ethik des Aristoteles Über die Freundschaft. Da Aristoteles seit etwas mehr als siebzig Jahren tot ist, kann man sich eigentlich sein Gesamtwerk, soweit überliefert, irgendwo im Internet herunterladen. Doch 14 Seiten Sammelheft mit Pop-art-Cover machen natürlich mehr her. Vielleicht sollte man trotzdem der nächsten Ausgabe ein Foucaultsches Pendel oder eine LED-Taschenlampe zum Nachspielen  des Höhlengleichnisses beilegen?

Wen wollen die Macher von Philosophie eigentlich erreichen? Hausfrauen, die sich von ihren Spezialblättern unterfordert fühlen? Manager, die in den kurzen Pausen zwischen feindlichen Übernahmen etwas über Freundschaft wissen wollen? Garantiert keine Leute, die zumindest dann und wann sich ohnehin philosophischer Denktraditionen bedienen.

Bezüglich der Überlebenschancen dieses Journals würde ich die Schule des Skeptizismus empfehlen.

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Rechtsweg

Da ja alle großen Medien gerade entdecken, dass man den Rechtsradikalismus ernst nehmen sollte, zeichnet sich beim Betrachten der diversen Fernsehsendungen eine einträgliche Karrieremöglichkeit ab: Zuerst Nazi werden. Sich dann vom Verfassungsschutz als V-Mann, wie die IMs heute genannt werden, anheuern lassen, um für die nichtssagenden Berichte gutes Geld zu bekommen. Dann aussteigen, sich vom Staat einen Umzug bezahlen lassen und anschließend als Kenner der Szene bei Talkshows aufzutreten und als Warner durch die Schulen zu touren. Auch das für üppiges Honorar.

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