Der elfte Poet

Vier Monate ist es schon her, als ich die Nr. 11 des Leipziger Literaturmagazins (in Buchform) namens poet zugeschickt bekam. Höchste Zeit nach der kleckerweise gestreckten Lektüre für eine kleine Rezension.
Wieder ist der Band mit den fast 300 Seiten spartenmäßig unterteilt, aber mit Besonderheiten. Eine davon sind die Reportagen in Produktions- und Distributionsstätten von Literatur, die andere sind kommentierte Gedichte.
Zuerst gibt es aber ganz traditionell Lyrik ohne Beipackzettel. Ich bin bekennender Lyrastheniker (das Wort habe ich gerade erfunden zur Brandmarkung von Leuten, die zwar Literatur mögen, aber mit heutiger Dichtkunst Probleme haben), der Genuss dieses Teils hat deshalb immer etwas masochistisches an sich. Dabei sind hier nicht nur die ganz jungen Poeten versammelt, sondern auch Leute wie Franz Hodjak (Jahrgang 1944), Manfred Enzensperger (Jahrgang 1952) oder Uwe Kolbe (Jahrgang 1957). Und, ein kleines Wunder, Dirk von Petersdorf steuert gereimte Gedichte mit ganz altmodischen vierzeiligen Strophen bei, ebenso Jörg Bernig. Es darf als Zeichen meiner Antiquiertheit gedeutet werden, dass gerade diese mir am besten gefallen. Doch auch manche anderen sind, zumindest beim Zweitlesen, nicht so sperrig wie manche sonstige Anthologieware, zeichnen Bilder in der Imagination. Und es gibt Formulierungen, die hängen bleiben: „im schmucklosen Innern des Regens“ (Thilo Krause) oder „wandsafeabdeckungen“ (Enzensperger). Es besteht Hoffnung, das ich in einigen Nachhilfestunden noch dahinterkomme.
Genau diese Nachhilfe geben Micahel Braun und Michael Buselmeier in ihren Kommentaren zu ausgewählten Gedichten. Das ist tatsächlich ein sanftes Schubsen und Ermahnen, doch besser hinzusehen. Was mich aber wundert, ist, dass sie überhaupt nichts zu kritisieren haben. Alles gut und toll. Vielleicht wählen sie ihre Exempel schon nach diesem Raster aus.
Über dem nächsten Abschnitt steht nicht Prosa, sondern absichtsvoll Geschichten. Markus Orth erzählt im ersten Text auch tatsächlich zumindest den Anfang solch einer Strory, die sich ziemlich gewalttätig entwickelt. Bei den nächsten Autoren kann man die Stringenz des folgerichtigen Erzählens dann nicht immer finden, eher sind es Skizzen oder Umkreisungen. Klasse ist die Darstellung einer jungen Frau im aussichtslosen Kampf um finanzielle Stabilität von Heike Geißler in ihrer lakonischen Sprache. Und, herrlich absurd, sind die Beschreibungen von Wesen wie Der Karpatische Stülpner oder Der Pigmentlöwe in Michael Stavarič Bestiarium.
Die Gespräche des folgenden Buchteils, Autoren befragen Autoren, drehen sich um die Zeit. Nicht irgendwelche Zeit, sondern die zum Schreiben, wie die Arbeit bei Dichtern sich nennt. So unterschiedlich wie die Schreibweisen sind erwartungsgemäß die Antworten.
Schließlich gibt es noch drei Reportagen, die in stipendiengeförderte Autorenhäuser, in eine Münchner Lyrikbibliothek sowie mehrere Kneipen bzw. Clubs führen, in denen es auch Lesungen oder ähnliches gibt, darunter das Plagwitzer Helheim.
Diese beiden Abschnitte holen die hehre Literatur von den Höhen der Erhabenheit ein kleines bisschen herunter, machen Werke und Schöpfer als normale Mitmenschen erkennbar.
Nicht zu vergessen: Der poet 11 hat Illustrationen. Auf dem Titel wird die Neuerung fast marktschreierisch angepriesen. Schön, das kann ruhig so bleiben.

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