Schreibt es jetzt mit!

Oh Archivare des Für- und Gegenwärtigen, verplempert nicht den Moment – JETZT! – (ohne erst dreifach durchschlagende Anträge auszufertigen): dabeisein, mitschreiben, bewahren, aufheben, einsortieren. Diese Gelegenheit kommt nicht so schnell wieder, nicht in den nächsten, sagenwirmal, 200 Jahren.

Da passiert grad was von epochalem Umwälzpotenzial. Doch vergesst nicht: Besser alles auf Papier ausgedruckt (säurefrei) aufheben. Oder noch sicherer: Mikrofilm! Wer weiß schon, ob übermorgen diese Dschehpeggs, Docks und Pedeeffs noch irgendwer irgendwie dechiffrieren kann. Analog noch niemals log.

Zwar, die Zeichen der Zeit schaffens nicht in die Abendnachrichten (eure große Chance, Archivare), doch sie sind leuchtend an die Wand des allumfassenden Netzes geschrieben. Schreibt sie ab! Ein Element des Verbrechens zündelt lautstark im Funk. 51 Undercover-Kommisare pamphleten in gleiche Richtung (schon aufgefallen?: haben alle was mit Kriminal zu tun). Und 51 Clubchaoten posten zurück. Warum eigentlich 51? Klar: 23 x 2 (Erinnert sich wer an den Film „23“?) ist schon mal 46, dann nur noch fünf zuzählen, weils halt ne schöne Zahl ist, römisch wie ein V für Victoria.

Was läuft? Es geht vergeistigt ums Eigentümliche. Wer hats erfunden? Die Schweizer, die auch, Und die anderen Zampanistas der großen europäischen Drehung ins Bürgerliche. Annes Statusmeldung (wisst ihr noch, damals 1710?), von Walter, dem großen Mausmaler, ins Gehtkaumnochweiter perfektioniert. Heber des Urs, wahre Kraftprotze.

Und nun? Aufpassen: der einzigartige Augenblick! Da bröselt was wie Styropor, das aussah wie Granit. Bosse von Warner, Universal, Sony stehn frierend vor der Stempelstelle, Herr Lehmann bringt ihnen nen heißen Tee vorbei. Mit Schuss. Weil nämlich geklaut wird, und kein Tatortler kann das Verbrechen aufklären. Viel gemeiner sind aber noch die blöden Bands, die gar nicht erst bei den Plattenpressern auf Knien rutschen, sondern sich gleich selbst den Netz-Bauchladen umbinden. Wo soll das bloß hinführen? Und Autoren, die keinen Verlag mehr ums Vorlegen (von Honorar) bitten, weil das eh keiner mehr macht. Und Softwaresofties, die ihre Programmierungen verschenken, auf dass andere dran weiter rumhacken.

Von Gutenberg zu Guttenberg. Hatte das Geklapper der beweglichen Lettern ungeahnte Folgen: Reformation, Bauernkrieg und son Zeugs- so hat heute die Tastenkombi Strg+C die gleiche Sprengkraft. Gegen den Klau helfen Kopierschutz und Gesetze. Ein bisschen. Was hilft gegen die Verschenker? Nichts. Wo soll das bloß hinführen? Das ist doch kein schöner Kapitalismus mehr, wenn nicht alles Ware wird, was Ware sein kann und soll. Gut, noch wird keiner von Songs satt und kann keiner in Romanen dauerhaft wohnen. Aber da grummelt was im Untergrund. Das böse Attribut „open“ soll schon vor handfesten Dingen gesichtet worden sein, solche, die man sich richtig reinhaun kann.

Archivare, haltet den Moment fest. JETZT! Da geht was. Notiert es mit letzter Tinte auf Papier, mottenresistent und lichtbeständig. Verpennt es nicht!

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Haben sie nicht recht?

Die vier Autoren des Buches Der Kulturinfarkt mussten in den vergangenen zwei Wochen in diversen Medien schon viel Kritik einstecken, unter anderem mit dem Hinweis auf die bescheidenen Ausgaben für Kultur in Deutschland im Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Bereichen. Gegen den Widerspruch des Deutschen Kulturrates erließen die Autoren sogar eine gerichtliche Verfügung. Nun gibt es auch noch einen offenen Brief diverser Promis aus der Szene. Viel Aufregung also. Doch sind die Befunde von Haselbach, Klein, Knüsel und Opitz wirklich so haltlos, ihre Vorschläge so abwegig? Weiterlesen

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Alles ausradiert, außer ich

Ein vor zwei Wochen eingetroffenes Päckchen mit französischem Absender enthielt ein kleines, aber dickes Buch, exakt so aussehend wie die Reclam-Bände bis vor wenigen Wochen. Doch statt des bekannten Verlagsnamens steht >>greatest hits<<. Der Einzige und sein Eigentum nennt sich das Werk. Doch statt Max Stirner steht da Michalis Pichler als Autor. Beim Aufschlagen denke ich, dass mir da jemand in Überschätzung meiner Beziehungen zu Konkreter Poesie ein Rezensionsexemplar für ebensolche Dichtkunst zukommen lasen will. Denn auf den Seiten stehen immer nur wenige Worte, scheinbar willkürlich über die Fläche gestreut. Anhand des noch im Päckchen liegenden Zettels wird mir dann klar, woher ich den Autorennamen kenne. Pichlers Statements zur Appropriation habe ich in meinem Essay zu eben jener Kunstrichtung benutzt. Darum wohl diese Zusendung, Google Alert machts möglich.

Das Buch sieht nicht nur aus wie ein Reclam-Band, sondern beruht auch auf einem solchen, eben die Ausgabe von Stirners „Bibel des Egoismus“. Unter Beibehaltung des originalen Layouts hat Pichler über mehr als 400 Seiten den gesamten Text gelöscht, mit Ausnahme der Überschriften und der Personalpronomen erste Person. So steht auf wenigen Seiten gar nichts, häufiger aber verstreut Ich, mich, meine und so weiter. So kommt die „Konkrete Poesie“ also zustande, die sehr überzeugend die Ich-Bezogenheit des Autors demonstriert. Und eine gewisser poetischer Effekt kommt tatsächlich zustande, wenn da etwa auf einer Seite steht Meiner meine Ich Mich Ich. Zugleich ist es eben ein Beispiel für die sinnvollere Anwendung von Appropriation Art, vielleicht mehr der bildenden Kunst zuzuordnen als der Literatur, falls das überhaupt wichtig ist.

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Buchmessenachwäsche

Da lag etwas in der Luft bei dieser Buchmesse 2012. Der Frühling, klar. Das meine ich aber nicht. Umbrüche, kaum sichtbar, doch spürbar, geisterten durch die Hallen. Dass erstmals seit Jahren kein Besucherrekord vermeldet werden konnte, muss kein Symptom dafür sein. Immerhin gab es doch andere Bestmarken wie die höchste Zahl an Ausstellern oder eine weitere nennenswerte Steigerung der Veranstaltungen bei „Leipzig liest“.

Das Wort sei kein Wert mehr, klagt mir ein befreundeter Verleger aus der westsächsischen Provinz mit bangem Blick auf seine kleinen Gedicht- und Aphorismenbände. Wenige Stände weiter freut sich ein anderer Bekannter, dass sein bildlastigen Bände gut laufen. Meinhard Michael schließlich, Journalist für den MDR, sieht nicht nur im scheinbaren Rückzug des gedruckten Wortes eine Gefahr für die Kultur, auch im Hörbuch und der Flut von Ratgeber- und Kochbüchern, Krimis, Bestsellern.

Tatsächlich findet man Marx und Žižek als Comic, van Gogh als Bildgeschichte, Aufzeichnungen aus Jerusalem als Graphic novel. Der Iconic turn ist in voller Drehung. Und man findet die Schwemme an Produkten, die mit anspruchsvoller Literatur nicht viel zu tun haben. Vom Event-Charakter der Darbietung ganz zu schweigen, da sind die vielen Cosplay-Kids nur der auffälligste Ausdruck.

Man muss wohl zwei Dinge unterscheiden, auch wenn das zeitlich und räumlich schwer fällt. Die eigentliche Messe ist ein ganz und gar kommerzielles Unternehmen, da zählen nur Umsatzzahlen. Ein Freund, den zufällig in der Glashalle traf, fragte, warum er denn eigentlich als Buchinteressent Eintritt bezahlen müsse. Ganz einfach. Beim Geschäft zwischen Herstellern und Händlern ist der Endverbraucher zunächst Störfaktor, dafür muss er Strafe entrichten. Da der Weg vom Schreiber zum Leser dank Internet aber kürzer geworden ist, sieht die Branche eine Gefahr.

Die andere Sache hingegen ist „Leipzig liest“, teils in den Messebetrieb integriert, vor allem aber flächendeckend in Stadt und Umland. 2500 Veranstaltungen sollen es diesmal gewesen sein, was sich im Programmheft wegen der im Vorjahr eingeführten Gebühr für Einträge nicht ganz widerspiegelt. Und der Andrang ist gewaltig, gerade auch bei Literatur, die nicht ganz so leicht konsumierbar ist. Fast schon surreal fand ich das Erlebnis, gegen Mitternacht in einer zur temporären Lyrikbuchhandlung umfunktionierten Galerie an der Karl-Heine-Straße etwa 30 Leute (mehr passen nicht rein) zu sehen, die Gedichte hören. An eine Verramschung oder gar ein Absterben der Literatur, die über Kochrezepte, Thriller und Esoterik hinausgeht, kann ich nicht glauben.

Ein anderer Umbruch besteht in der Digitalisierung. Zunehmende Anpreisung von E-Books sind ein Zeichen dafür, aufwändigere Gestaltungen der gedruckten Gegenstücke ein anderer. Ein indirektes sind Buttons, mit denen manche Autoren rumliefen. Bei Peter Wawerzinek habe ich ihn zuerst am Revers gesehen: „JA zum Urheberrecht!“ Ob dieser Rebell eigentlich weiß, dass das Urheberrecht in der jetzigen Form ein Produkt des Disney-Imperiums ist und keineswegs im Interesse der Künstler?

Veränderungen liegen in der Luft. Aber gefährdet ist mehr der Profit einiger Großkonzerne, als die Qualität der Literatur. Sofern man zumindest Worte nicht per se für wertvoller hält als visuelle Elemente und das gedruckte Wort für wertvoller als das digitale. Und die Distribution von Wissen und Kultur wird sich noch radikaler umwälzen. Da helfen kein Acta und keine roten Buttons.

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Aus meinem Tagebuch der Moderne VII

Das war eine langwierige Angelegenheit. Mehr als ein halbes Jahr habe ich an der „Lektüre“ von Oswald Spenglers „Der Untergang des Abendlandes“ gekaut. Grund für das Unterfangen war mein anhaltender Versuch der Annäherung an den Begriff der Moderne. In dieser Beziehung hat sich der Kraftakt kaum gelohnt, aber auch in keiner anderen in nennenswertem Ausmaß.

Spengler war von der fixen Idee befangen, Weiterlesen

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Schwarte und Betrieb

Es scheint einen Schwellenwert zu geben, möglicherweise nach einer noch nicht bekannten wissenschaftlichen Formel erfassbar, nach dessen Überwindung ein Künstler fast alles machen kann, wass er will, und es wird von der Großkritik für gut befunden, mindestens so gut wie die vorherigen Werke. Diese waren offenbar gut, sonst hätte die Schwelle nicht überschritten werden können. Houellebecqs Elementarteilchen, außer Gedichten das einzige, was ich von ihm bisher gelesen hatte, fand ich tatsächlich spannend. Nun also Karte und Gebiet, ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt.

Ein unglaublich schnelles Überschreiten des Schwellenwertes dichtet der Dichter seinem Protagonisten Jed Martin an, ein Künstler. Eine Ausstellung mit abfotografierten Michelinkarten macht ihn schlagartig bekannt. Einen weitere Ausstellung in einer Pariser Vorortgalerie nach sieben Jahren Pause, diesmal mit realistischen Gemälden, und er ist Multimillionär. Laut Auszug aus eine auf dem Buckrücktitel abgedruckten FAZ-Rezension sei dies ein höchst unterhaltsamer Gesellschaftsroman des Kunstbetriebes. Unterhaltsam? Na ja, zumindest lässt es sich ohnegroße Anstrengung lesen. Aber über den Kunstbetrieb scheint Houellebecq wesentlich weniger recherchiert zu haben als für Elementarteilchen über Swingerclubs. Selbst die Großverdiener der Branche dürften staunen über die Leichtigkeit, mit der dieser Martin da Karriere macht.

Die Idee, dass Houellebecq selbst als Figur im Roman auftaucht, zunächst als Ekel, dann als Vorwortautor für den Kunstkatalog, schließlich als fein mit einem Lasermesser zerstückelte Leiche, ist originell. Aber es geht gewaltig auf den Keks, wenn er in jedem zweiten Absatz über sich selbst schreibt Der Autor von …., als hätte er solch penetrante Werbung noch nötig. Etwa fantalieslos erscheint außerdem der letzte Teil des Buches, der quasi projektiv in die nähere Zukunft reicht. Schon jetzt, kaum zwei Jahre nach der französischen Erstausgabe, ist da offenbar die Realität auf anderen Pfaden unterwegs.

Apropos Pfad. Solch einer wird ja auch durch den Titel Karte und Gebiet gelegt, und im ersten Abschnitt wird mit Martins Fotografien und parallelen Ausflügen in die Provinz auch sichtbar, was das Anliegen des Autors sein könnte – das Abbild, selbst in wissenschaftlicher Nüchternheit und zusätzlicher Verfremdung – ist besser als das Abgebildete. Im weiteren Verlauf des Plots, der im Ganzen eigentlich stimmig ist, wird dieses Thema schlicht fallen gelassen wie Olga, Martins zeitweilige russische Geliebte. Ab und an kommt noch eine Ahnung auf, immer dann, wenn von den authentischen Werten bestimmter Regionen die Rede ist. Doch Houellebecq lässt letztlich keine Zweifel daran, dass dieses ersehnte Echte nur noch ein Fake sein kann.

Aber ist man erst mal über die Schwelle, kann man dem Werk auch einen beliebigen Titel geben. Irgendwer wird den Sinn schon herausfinden.

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Neues in Chemnitz?

Der Zug fährt auf Bahnsteig 5 ein. Die 1, wo bisher die Verbindungen Richtung Leipzig ein- und ausliefen, gibt es nicht mehr. Da erstreckt sich ein Loch mit geneigter Sohle. Von der Wand des Querbahnsteiges fehlt ein großes Stück, nur das Stahlgerippe steht noch, verstärkt durch vorgestellte Stützen, kalter Wind pfeift durch. Hier soll bald die Straßenbahn in den Bahnhof einfahren, damit man direkt vom Zug in sie umsteigen kann, und weiter dann nach Stollberg, Mittweida, Limbach-Oberfrohna. Chemnitzer Modell nennt sich das. Woanders heißt es S-Bahn. Oder Elektritschka.

Zum Museum am Theaterplatz ist es nicht weit. Hier läuft die Ausstellung über die Perdwischniki. Grund meines Besuches in Chemnitz, dem ersten seit drei Monaten. Generalin Mössinger zieht vermutlich mehr Leute in die Stadt als irgendeine Tourismusbehörde. Aber bald muss sie wohl in Rente gehen, wer folgt dann?

Nach zwei Stunden Ausstellung gehe ich ins Zentrum. Vorbei an der umgebauten früheren Industrieverwaltung, auch als Rawema-Haus bekannt. Noch so ein Meisterstück von Claus Kellnberger. Das frühere Arkaden-Dach ist eine Etage höher gerutscht, so wie bei der benachbarten ehemaligen Post. So hat es keinen Sinn mehr, ist nur noch Deko. Der kalte Regen klatscht auf meinen nicht mehr allzu behaarten Kopf. Die Architektur des Traktes, der sich zum neugestalteten Johannisplatz anschließt, ist auch nicht gerade erwärmend. Hauptsache preisgünstig zu haben.

Aufwärmen kann ich mich im Tietz. In die Stadtbibliothek geh ich immer noch gern, auch wenn mein Benutzerausweis lange abgelaufen ist. Offene Strukturen mit genügend Sitzplätzen, wirklich einladend. Die Cafeteria neben der Bibliothek hat wieder geschlossen. Der Asiate, der sie nach einiger Pause übernommen hatte, konnte wohl nicht lange durchhalten. Ein Café mit etwa zwölf Tischen im kulturellen Hotspot der Stadt  zu betreiben, ist in Chemnitz offenbar ein echtes Problem.

Ich gehe weiter, mal sehen, was mit dem Ex-Exka geworden ist. Tatsächlich hat die GGG ihren Teil saniert. Am anderen Flügel ist nur ein Haus frisch in Gelb. „Für Vereine“ steht an den leeren Räumen im Erdgeschoss, oder „Für Durchstarter“. Im großen Erdgeschossraum am Bernsbachplatz ist ein Fahrradladen eingezogen. Die Selbsthilfewerkstatt für Radfahrer ist Geschichte. Ein einsames Schild erinnert noch an die Poetenwerkstatt. Ganz prosaisch heißt es heute, dass man für 2,92 Euro pro Quadratmeter mieten kann. Hinter einigen Wohnungen der Obergeschosse brennt Licht.

Zurück zum Bahnhof. An der Straße der Nationen wirbt immer noch ein Laden für Thor Steinar-Klamotten, direkt neben dem Asia-Imbiss. Ich mache noch einen Schwenk zum Brühl. Die Tristesse liegt nicht am Schmuddelwetter. Soll hier wirklich bald der (gordische)  Knoten platzen? Zumindest einen Neuzugang gibt es. Doch schon nach wenigen Tagen musste der Laden seinen Namen wegen der Proteste von „Brevik“ zu „Tönsberg“ abändern. So empfängt man hier Existenzgründer! Dabei ist es doch ausgesprochen mutig, auf kaum 300 Meter Entfernung den zweiten Nazi-Laden zu gründen.

Ich latsche zum zugigen, aufgebohrten Bahnhof. Gibt es Neues in Chemnitz? Ja, schon.

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Just be! Mach ich doch, aber alle Passworte sind schon vergeben

I.

Wenn wir sagen, ein Gesicht sei dem andern ähnlich, so heißt das, gewisse Züge dieses zweiten Gesichts erscheinen uns in dem ersten, ohne daß das erste aufhört zu sein, was es war. Die Möglichkeiten derart in Erscheinung zu treten sind aber keinem Kriterium unterworfen und daher unbegrenzt. Die Kategorie der Ähnlichkeit, die für das wache Bewußtsein nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung hat, bekommt in der Welt des Haschisch eine uneingeschränkte.

(Kopiert aus: Walter Benjamin. Passagen-Werk)

II.

Berühmt geworden sind Sie mit Ihren „Cowboys“, abfotografierten Bildern aus der Marlboro-Reklame. 2005 brachte ein Motiv aus dieser Serie rund 1,2 Millionen Dollar, damals der höchste Preis, der bei einer Auktion jemals für eine Fotoarbeit gezahlt worden war. Hat Sie das überrascht? Weiterlesen

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Durchblick

Zum ersten Mal in einem Brillenladen. Bisher war ich stolz auf meine gute Sehschärfe, damit ist Schluss. Der zweistöckige Brillenladen ist ganz aus Glas und Spiegel, eingefasst mit dünnen Metallrahmen. Überall hängen hunderte Modelle zur Auswahl. Da immer drei hintereinander auf einem Halter stecken, scheint man dreifach zu sehen. Alle Beschäftigten des Ladens haben Brillen auf, wirklich alle. Eine der netten Brillenträgerinnen sucht was passendes für mich aus. Nun ist es soweit: Brille uff! Ich fühle mich gleich viel intelligenter erscheinend.

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Art-Hooligans bleiben Problemfall

Leipzig. Die Gewaltbereitschaft der sogenannten Art-Hooligans bleibt nach Aussage des Leipziger Polizeichefs Herbert Wajzek trotz der Bemühungen verschiedener gesellschaftlicher Kräfte ein ernst zu nehmendes Problem. Angesichts des angekündigten Transfers Theo Rauchs von der Galerie Eigenfahrt zur Galerie AMDN für eine hohe siebenstellige Ablösesumme rechnet er sogar mit einer weiteren Eskalation in den kommenden Wochen. „Der Krisengipfel zwischen den beteiligten Galerien und Fanbeauftragten verlief zwar in konstruktiver Atmosphäre“, so Wajzek, „doch Ultras beider Lager haben bereits angekündigt, sich nicht an die Vereinbarungen zu halten.“

Im Januar war es nach dem Winter-Rundgang, bei dem alle Galerien und sonstigen Kunsteinrichtungen auf dem Gelände der früheren Baumwollspinnerei in Plagwitz gleichzeitig neue Ausstellungen eröffneten, zu schweren Ausschreitungen gekommen. Insgesamt 47 Fahrzeuge von Anhängern jeweils gegnerischer Blöcke waren mit unlöslicher Nitrofarbe teils abstrakt, vor allem im expressiven Dripping-Stil, aber teils auch mit enormer krimineller Energie in schwer enträtselbaren und detailreichen Figurationen bemalt worden. Der Kleinbus eines aus Holland angereisten Sammlers wurde von den Hooligans mit Äthanol geflutet, in dem ein echtes Hai-Baby schwamm. Auf der Frontscheibe stand „Damian kriegts du nie!“ geschrieben.

Judy Libke, Kunstdirektor der Galerie Eigenfahrt, will die Vorfälle nicht überbewertet wissen, obwohl er vom Verband deutscher Kunsthändler schon von der vorigen Art Basel kurzfristig ausgeschlossen worden war: „Viele der gar nicht mal so dilettantisch umgestalteten Autos konnten die Eigentümer unterdessen für beträchtliche Summen in den USA verkaufen. Da gibt es einen großen Markt für das Phänomen, das in Übersee schon länger besteht als bei uns.“ Auch von fremdenfeindlichen Hintergründen hält er nichts. „Fast alle Galerien haben Ausländer unter Vertrag. Und schwarze Bilder hat doch jeder schon mal gemalt. Das hat mit Rassismus nicht im Entferntesten zu tun.“

Polizeichef Wajzek hält nicht viel von solchen Beschwichtigungen. Zwar gebe es noch keine gerichtlich verwertbaren Beweise, doch sei die Annahme, dass es auch Körperverletzungen in nicht zu unterschätzendem Umfang in der Fanszene gebe, sehr wahrscheinlich. Fast jedes dritte Tatoo in Leipzig weise aufgrund seiner Ikonografie darauf hin, dass es den Hautträgern von verfeindeten Hools wider Willen zugefügt worden sei. Namhafte Kunsthistoriker, die als Gutachter hinzugezogen wurden, hätten dies bestätigt. „Leider stößt man bei den Ermittlungen unter den Fans auf eine Mauer des Schweigens. Und das trotz der enormen Schmerzen, die eine Tätowierung nach Motiven Martin Äders auf dem Oberarm verursacht.“ Jedenfalls wird die Polizei am letzten Aprilwochenende, wenn in der Spinnerei der nächste Rundgang ausgetragen wird, mit mehreren Hundertschaften präsent sein. Die Kosten hat wieder einmal der normale Bürger, der mit Kunst überhaupt nichts im Sinn hat, zu tragen. Und wie immer schweigt der Leipziger Kulturbürgermeister Michael Waber zu dem heftig umstrittenen Geschehen. Ein Skandal!

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