Just be! Mach ich doch, aber alle Passworte sind schon vergeben

I.

Wenn wir sagen, ein Gesicht sei dem andern ähnlich, so heißt das, gewisse Züge dieses zweiten Gesichts erscheinen uns in dem ersten, ohne daß das erste aufhört zu sein, was es war. Die Möglichkeiten derart in Erscheinung zu treten sind aber keinem Kriterium unterworfen und daher unbegrenzt. Die Kategorie der Ähnlichkeit, die für das wache Bewußtsein nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung hat, bekommt in der Welt des Haschisch eine uneingeschränkte.

(Kopiert aus: Walter Benjamin. Passagen-Werk)

II.

Berühmt geworden sind Sie mit Ihren „Cowboys“, abfotografierten Bildern aus der Marlboro-Reklame. 2005 brachte ein Motiv aus dieser Serie rund 1,2 Millionen Dollar, damals der höchste Preis, der bei einer Auktion jemals für eine Fotoarbeit gezahlt worden war. Hat Sie das überrascht?

Das Überschreiten der magischen Eine-Million-Dollar-Grenze war damals eine Sensation. Doch über all die Rekordpreise wird sich schon bald niemand mehr aufregen. Wie dick können Auktionskataloge noch werden, wie viel mehr Rummel kann man um Kunst machen? Erst kürzlich wurde ein anderes meiner Cowboy-Motive für rund 2,5 Millionen Dollar versteigert, und das war keine Meldung wert

(Kopiert aus: Ute Thon/Claudia Bodin. Erfolg ist manchmal eine Falle. Gespräch mit Richard Prince. In: art. 10/2007)

III.

Es tut nicht so weh, dass eines der wertvollsten Werke des Leipziger Bildermuseums gerade auf Gastspielreise ist. Jochen Plogsties liefert Ersatz. Für die Anverwandlung des erotischen Zaubers eines unbekannten Meisters des 15. Jahrhunderts hat er allerdings nicht mit der Staffelei im Museum gesessen, wie es heute noch manche Kunststudenten oder Hobbymaler tun, will man französischen Filmen Glauben schenken.

Bei allem Interesse für die Kunst früherer Epochen – und gerade der Blick auf die mittelalterliche Malerei ist nach seinen eigenen Aussagen erst kürzlich erwacht – sind es nicht die Werke selbst, die Plogsties als Vorlage für die Interpretation verwendet. Vielmehr sind es Reproduktionen in Büchern oder auch im Internet. Beim Liebeszauber war es eine Postkarte. Um diese auf die Leinwand von etwa zwei Quadratmetern zu übertragen, hätte heutzutage ein Beamer helfen können. Doch er hat sich ganz traditionell eines Quadratrasters bedient. Dass dieses noch teilweise sichtbar ist und Ausschnitte wie etwa das Gesicht des Mädchens oder den putzigen Hund hervorhebt, als ginge es um eine didaktische Bilderklärung, ist keine Schlampigkeit. Der Prozess ist das eigentliche Thema, weniger der Bildinhalt.

(Kopiert aus: Jens Kassner. Die Kunst des rückwärtigen Dolmetschens. Leipziger Volkszeitung. 02.12.2011)

IV.

Das ist alles nur geklaut, das ist alles gar nicht meine. Das ist alles nur geklaut, doch das weiß ich nur ganz alleine. Das ist alles nur geklaut, nur gezogen, nur gestohlen und geraubt. Entschuldigung, das hab ich mir erlaubt.

(Die Prinzen 1994)

V.

„Yesterday“ is a song originally recorded by The Beatles for their 1965 album Help!. The song remains popular today with more than 1,600 cover versions, one of the most covered songs in the history of recorded music.

(Kopiert aus: en.wikipedia.org/wiki/Yesterday_%28song%29)

VI.

In der Ausstellung „Auslöser. Fotografie-Konzepte in Leipzig – eine Auswahl“ in der Kunsthalle der Sparkasse Leipzig sind Bilder von Georg Brückmann zu sehen. Er komponiert Haushaltsgegenstände und Baumarktmaterial derart, dass Assoziationen zu berühmten Vorlagen entstehen, von Vermeers Perlenohrringmädchen über Capas fallenden Spanienkämpfer bis zum Cover der Beatles-LP „Abbey Road“. Das hat Witz und überrascht. In derselben Ausstellung zeigt Jörn Lies die vergrößerte Reproduktion eines alten Schwarzweißfotos zweier Männer, die spielerisch kämpfen. Ich komme mir verarscht vor. Was ist hier Zutat, Adaption oder wie immer man die eigene künstlerische Leistung auch nennen will?

Um die Ecke hat Falk Messerschmidt Leonardos Abendmahl aus einem Buch so abfotografiert, dass Jesus im Bund der ausgeklappten Doppelseite verschwindet. Hier ergibt das Reproduzieren einen neuen Sinn. Ausgerechnet der Heilsbringer wird zum Missing Link.

Außerdem stellt Björn Siebert banale Flickr-Fundstücke als Highend-Aufnahmen nach. Das hat zumindest Arbeit gemacht. Und manche Bilder sind sogar interessant. Ist Auswählen auch eine Kunst? Vielleicht.

(Kopiert aus: Jens Kassner. Journal)

VII.

1. Stellen Sie die Papierführungen auf die Breite des Kopiermaterials ein.

2. Legen Sie das Original mit der zu kopierenden Seite nach unten auf das

Vorlagenglas. (siehe „Auflegen der Originale“ auf S.28.)

3. Schließen Sie behutsam den Deckel. Legen Sie das Kopiermaterial in den

Stapeleinzug ein. Der Kopiervorgang beginnt automatisch, sobald Sie das Blatt in den Einzelblatteinzug eingelegt haben. Achten Sie daher darauf, daß zu diesem Zeitpunkt der Vorlagendeckel geschlossen ist.

4. Beim Einlegen der Seiten in den Stapeleinzug richten Sie bitte die Blattkanten

bündig aus und schieben den Stapel bis zum Anschlag in den Einzug. Legen Sie keinen Stapel, der höher als 5 mm (1/5 Zoll bzw. bis zu 50 Seiten Kopierpapier der Stärke 80 g/m²) in den Stapeleinzug.

(Kopiert aus: Canon FC 290/FC 120/FC 100. Bedienungsanleitung)

VIII.

Ein Gegenteil von Circle oder Cruising ist das Weiterkommen. Ich bin damit aufgewachsen, dass das Wort Weiterkommen einen guten Klang in beiden Lebensentwürfen hat, die sich in den frühen 70er Jahren antagonistisch gegenüberstanden: im abhauenden und im sich anpassenden.

(Kopiert aus: Diedrich Diederichsen. Eigenblutdoping)

IX.

Certain images, objects, sounds, texts or thoughts would lie within the area of what is appropriation, if they are somewhat more explicit, sometimes strategic, sometimes indulging in borrowing, stealing, appropriating, inheriting, assimilating… being influenced, inspired, dependent, indebted, haunted, possessed, quoting, rewriting, reworking, refashioning… a re-vision, re-evaluation, variation, version, interpretation, imitation, proximation, supplement, increment, improvisation, prequel… pastiche, paraphrase, parody, forgery, homage, mimicry, travesty, shan-zhai, echo, allusion, intertextuality and karaoke.

(Kopiert aus: Michalis Pichler. Statements on Appropriation)

X.

Ist es vorstellbar, dass Clemens Meyer Tellkamps „Turm“ neu bearbeitet, in seine Sprache übersetzt? Oder dass Broder Ernst Jüngers „Stahlgewitter“ empathisch nacherzählt? Mir fällt kein Beispiel ein, wie es in der jüngeren Literatur eine ernst gemeinte „Nacharbeit“ gegeben hätte. Warum tut sich die Literatur mit Remakes so schwer, die in den anderen Kultursparten an der Tagesordnung sind? Umarbeiten zu Theaterstücken oder Drehbüchern kommt noch in Frage. Auch Parodien, wie Wawerzinek sie gerade in einem schönen Band herausgebracht hat. Aber das in Malerei und Musik so selbstverständliche Collagieren erregt in Buchform sogleich einen Skandal.

(Kopiert aus: Jens Kassner. Journal)

XI.

Mother

(Kopiert aus: Helene Hegemann. Axolotl Roadkill. Quellenangabe: Pink Floyd)

XII.

Während die Ikonoklasten das Verhältnis vom Urbild (Prototyp) zum Abbild (Typ) auf die Wesensgleichheit beider (homoousia) reduzierten und sich damit den Zugang zu einem tieferen Verständnis des Bildes als Kunstwerk verschlossen, stellte bereits Johannes Damascenus heraus, daß das Bild (eikon) als „Wesensähnlichkeit“ (homoioma), „Paradigma“ (paradeigma) und „Abdruck“ (ektypoma) von etwas aufzufassen sei.

(Kopiert aus: Konrad Onasch. Die Ikonenmalerei)

XIII.

Mother

(Kopiert aus: John Lennon. Mother)

XIV.

Das Landgericht München I beurteilt die im Streit um den Bestseller „Tannöd“ erhobenen Plagiatsvorwürfe gegen die Autorin Andrea Maria Schenkel, 45, als nicht gerechtfertigt. Nach Einschätzung des Vorsitzenden Richters der 21. Zivilkammer, Thomas Kaess, lässt sich die Behauptung des Journalisten Peter Leuschner, Schenkel habe seine Urheberrechte verletzt, nicht bestätigen.

(Kopiert aus: www.sueddeutsche.de/bayern/justizkrimi-gericht-tannoed-ist-kein-plagiat-1.290639)

XV.

Axolotl Roadkill, Seite 23: „Ich habe Fieber, Koordinantionsschwierigkeiten, ein Promille im überhitzten Blut…”

Im Buch STROBO, welches der Berliner Blogger Airen letztes Jahr veröffentlichte, heißt es auf Seite 106: „Ich habe ein Grad Fieber sowie ein knappes Promill Alkohol im überhitzten Blut.”

Axolotl Roadkill, Seite 36: „Ophelia steht auf dem Klodeckel, um drei Lines Speed auf der Trennwand zur Nachbartoilette zurechtzumachen.”

Wir vergleichen mit Strobo, Seite 146:

„…als sich das als zu kompliziert erweist, klettert Marc auf die Klobrille und macht die Lines an der Grenze zur Nachbartoilette zurecht.”

(Kopiert aus: www.gefuehlskonserve.de/axolotl-roadkill-alles-nur-geklaut-05022010.html)

XVI.

Das Archiv ist die intelligente Form des imaginären Museums. Während André Malraux mit seiner bekannten Prägung bei einer stumpfen Idee des immer präsenten globalen Schatzes stehenblieb, hat Groys im Archiv, dem Inbegriff des modernisierten hochkulturellen Kunst- und Kulturspeichers, die Funktionen eines sich selbst verwertenden Kapitals ausgemacht. Damit wird der Grund dafür benannt, warum das aktuelle Kunstleben nur noch als Mitwirkung der Künstler und Kunstmanager an der rastlosen erweiterten Reproduktion des Archivs intelligibel zu machen ist. Tatsächlich prägt das stets im Hintergrund präsente Archiv der laufenden Kunstproduktion den Zwang auf, unaufhörlich Erweiterungen des Kunstbegriffs vorzunehmen. Deren Ergebnisse werden von den Agenten des Archivs evaluiert und bei ausreichenden Differenzwerten gegenüber dem gespeicherten Material der Sammlung einverleibt.

(Kopiert aus: Peter Sloterdijk. Zorn und Zeit)

XVII.

Das Kunstwerk ist grundsätzlich immer reproduzierbar gewesen. Was Menschen gemacht hatten, das konnte immer von Menschen nachgemacht werden. Solche Nachbildung wurde auch ausgeübt von Schülern zur Übung in der Kunst, von Meistern zur Verbreitung der Werke, endlich von gewinnlüsternen Dritten. Demgegenüber ist die technische Reproduktion des Kunstwerkes etwas Neues, das sich in der Geschichte intermittierend, in weit auseinanderliegenden Schüben, aber mit wachsender Intensität durchsetzt.

(Kopiert aus: Walter Benjamin. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit)

XVIII.

Das Weiterkommen im Sinne Diederichsens scheint angesichts der allgegenwärtigen Skepsis am weiteren Fortschreiten des Fortschritts keine vorrangige Option mehr zu sein. Ein von der Bundesregierung verabschiedetes Wachstumsbeschleunigungsgesetz widerlegt diese depressiv anmutende Diagnose nicht. Etwas anzuhäufen ist kein vorwärts schreiten. Das schon ausgerufene Ende der Geschichte wurde trotzdem vorläufig verschoben, es wartet auf seine Auffrischung. Dem Benjaminschen Engel bläst es zwar noch immer vom Paradiese her ins Gefieder, doch dieser Unort sieht aus wie von Pixar in 3D und Dolby surround entworfen.

In den Künsten haben die Avantgarden gemerkt, dass die Erde rund ist. Die schnellsten Produzenten beißen den langsameren in den Hintern. Äußerst mobile Akteure schaffen es gar, sich selbst den Zeigefinger in die Rosette zu stecken. Doch schnell zu sein ist gar nicht mehr nötig. Bei den wiederholten Umlaufbahnen bleibt so viel liegen, dass man ganz genüsslich in den Halden wühlen kann. In den als Nationalgalerien firmierenden Zentraldeponien ebenso erquicklich wie in den wilden Kippen am Wegesrand. Was dann aus dem Haufen gezerrt wird, kann man ganz einfach als Eigenes ausgeben, ohne die Sloterdijkschen „ausreichenden Differenzwerte“. Oder aber den Goldhelm zur Baskenmütze umarbeiten. Auch das hat Tradition.

Ich verstehe nicht ganz, wie man Cindy Shermans aufwändig inszenierte Rollenspiele in einen Topf werfen kann mit manchen plattest möglichen Abknipsereien, das gleiche Label klebt dann dran, manchmal gar ein höheres Preisschild. Immer findet sich ein Galerist und dann noch ein Kritiker, der das absolut Eigenständige dieser Leistung hervorhebt. Es kommt auf die Aura an, die Benjamin zugleich in Frage stellt und hervorhebt. Mehr noch als die Verortung in einem als Galerie oder Museum gekennzeichneten Raum gehört dazu die Besprechung in einer Zeitschrift oder einem Katalog. Gedruckt. Allein im Internet zu erscheinen, reicht (noch) nicht.

(Kopiert aus: Jens Kassner. Journal)

XIX.

We love to entertain you.

(Kopiert aus: Helene Hegemann. Axolotl Roadkill. Quellenangabe: RTL)

XX.

Rubens adaptierte Tizian.

Picasso adaptierte Rembrandt.

Lichtenstein adaptierte Monet.

Bacon adaptierte Velasquez.

Richter adaptierte Duchamp.

Duchamp adaptierte Duchamp.

(Kopiert aus: Jens Kassner. Journal)

XXI.

Diese enorme Müdigkeit. Aus „Anything goes“ ist „Everything has been“ geworden. In den glitzernden Clubs werden gesampelte Samples neu abgemischt, die Differenz hört im Dunkeln sowieso keiner. Coverversionen rotieren in den Charts. Appropriation Art heißt das nicht mit der zur Zeit noch marktuntauglichen Occupy-Bewegung zu verwechselnde Zauberwort, mit dem auch in den Galerien ein neuer Rahmen ein neues Bild macht.

Ja gut, die Schreiber pochen immer noch auf das Urheberrecht. Auch wenn ich mir dabei selbst ein Bein stelle: Die sind immer etwas langsamer. Als die Renaissance in der Malerei schon manierierte, mühten sich Shakespeare und Cervantes noch mit der Geburtshilfe einer modernen Literatur ab. Wird schon werden! Ich mach da mal einen Anfang.

Epochenwandel. Wie groß das klingt. Wie traurig. Als die Künstler am Ausgang des Mittelalters anfingen, keine Ikonen mehr zu produzieren, keine Urbilder, die einem Schweißtuch des Heilands oder einer Tempera des Apostel Lukas entsprachen, als sie überhaupt erstmals ihre Arbeit vom innerkirchlichen Dienstgebrauch freistellten, ahnten sie zwar das Ungeheuerliche ihres Tuns, von Autonomie der Kunst sprachen Theoretiker erst Jahrhunderte später. Unsere ach so selbstreflexive (sic!) Zeit beschreibt jede Kehre, noch bevor der Blinker wieder abgeschaltet ist.

Da geht wohl etwas zu Ende. Schön war´s mit Geniekult, Manifesten, Gruppenbildung, Ismen, Neuer Musik, Jazz, Rock´n Roll, der Kunst als soziale Plastik, als Konzept, als Dienstleistung, als Provokation, als Künstlerscheiße in Zinndosen. Nicht immer war´s schön. Doch es war. Es war.

„Be good, be bad, just be!“ leuchtet abends Sylvie Fleury von der Fassade der Galerie für zeitgenössische Kunst nahe Claraparks in Leipzig, von dem der Dunst etlicher Grills ebenso herüberweht wie das Geschrei von Amateurfußballern und kleinen Kindern. Just be! Eben. Aber wie kann ich (als Künstler) noch sein ohne nicht schonmal dagewesen zu sein? Weil keiner sich sagen lassen will, das Licht ausgemacht zu haben, leuchtet es weiter.

„Be good, be bad, just be!“ finde ich beim Googeln an erster Stelle als Slogan der Agentur méldesign ohne Quellenangabe des Spruchs. Lass gut sein.

(Kopiert aus: Jens Kassner. Journal)

XXII.

Diese enorme Müdigkeit.

(Kopiert aus dem vorherigen Abschnitt.)

XXiiiiiiiiiiii

Müdigkeit

(Kopiert

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