Verunsicherung

Gerade wird in den offiziellen Medien wie auch den sogenannten sozialen heftig über eine Fassadengestaltung an der Berliner Alice-Salomon-Hochschule gestritten. Dort ist das Gedicht Avenidas von Eugen Gomringer, einem anerkannten Webgberiter der Konkreten Poesie, aufgetragen. Dem Asta der Schule fehlt es offenbar an wirklichen gesellschaftlichen Themen, an denen man sich in dieser ach so ruhigen Zeit reiben könnte. Also fordert er eine Beseitigung des Gedichtes wegen angeblichem Sexismus.

Anstoß erregt die letzte Zeile un admirador. Da gibt es also jemanden, der Promenaden, Blumen und Frauen bewundert. So ein Schwein! Das Gedicht ist in den 1950er Jahren entstanden. Es hat einen gewissen Zeitgeist, so wie auch die Lyrik Brechts, Heines, Schillers oder Walter von der Vogelweides. Für den Asta wie auch manche Kommentatorinnen im Netz ist klar, dass der Bewunderung die Belästigung oder gar Vergewaltigung logisch folgen muss. Das Gedicht wird für unpassend empfunden, aber nicht aus ästhetischen Gründen, sondern rein moralischen. Also entscheidet der Senat der Hochschule, dass es übermalt werden müsse.

Argumentiert wird vor allem damit, dass es sich eben um Öffentlichkeit handele. Der Text ist schon vor Jahrzehnten in einem Buch veröffentlicht (sic!) worden. Und hat damit zweifellos mehr Menschen erreicht als in dieser Berliner Nebenstraße.

Ich bezeichne die Entfernung ungeniert als Verbot. Das Gedicht ist fortan gebrandmarkt. Wird es von einer Wand verbannt, muss es mit den gleichen nicht-ästhetischen Begründungen auch aus den Bibliotheken entfernt werden. Das wäre die Logik der Begründung. Wer von einem Bewunderer weiblicher Schönheit schreibt, muss als Sexist bezeichnet werden. Das ist mir selbst schon passiert, aber ich bin ja kein Gomringer, sondern völlig unbedeutend. Also juckt mich das nicht.

Was mich aber gewaltig stört, ist das Prinzip. Da kreischt eine kleine Gruppierung von Hypermoralisten auf, die Hochschulleitung lässt sich davon in die Ecke treiben und kuscht, die Medien des Landes nehmen das Thema auf. Die Hexenjagd beginnt. Die Verlegerin Daniela Seel weist auf Goethe hin: was mich bei all der lyrik(geschichts)exegese wundert: warum noch niemand (hab jedenfalls nix dazu gelesen bisher) die in meinen augen unübersehbare linie zum „heidenröslein“ zieht, das schon lange als ein text über vergewaltigung und sexuelle belästigung gelesen wird. gomringer ruft das mit seiner reduzierten symbolik für mich eindeutig auf.  Mit heutiger Lyrik habe ich zwar gewisse Probleme, aber Goethe meine ich noch interpretieren zu können. So verstehe ich das Heidenröslein eigentlich als Verurteilung sexueller Gewalt und der Rechtfertigung von Gegenwehr. ich glaube nicht, dass gomringer diesen link bewusst gemacht hat, aber aus heutiger sicht scheint es super offensichtlich. (und eben super problematisch.) Was nun, ist es ein Aufruf zur Vergewaltigung oder zur Verurteilung? Lyrikkenner werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr. Frau Seel, deren verlegerische Tätigkeit ich durchaus bewundere, redet hier in Widersprüchen.

Ob an einer zweitrangigen Hochschule irgendein Wandbild übertüncht wird, ist mir eigentlich Wurscht. Es geht ums Prinzip. Das nennt sich Political Correctness und existiert nach der maßgeblichen Meinung ihrer heftigsten Vertreter nur in der Fantasie rechter Spinner. Genau diesen Idioten leisten sie mit solchen Aktionen unbezahlbare Zuarbeit.Ein gefundenes Fressen.

Ich meine es ernst, wenn ich sage, dass die Entfernung des Wandbildes einem Verbot gleichkommt. Der Text ist unsäglich geworden. Und es werden Tore aufgestoßen. So wie die Superrechten den Diskurs in Richtung „Volkstod“ oder „Umvolkung“ hin öffnen möchten, wird hier das Wort „Bewunderer“ auf die Schwarze Liste gesetzt, weil es angeblich gleichbedeutend mit Antänzer und Vergewaltiger ist. Wird nun die Weltliteratur bereinigt? Wo ein Mann Frauen bewundert, geht es offenbar um Vergewaltigung. Ich sehe riesige Bücherberge brennen.

Es gibt hierzulande keine offizielle Zensur. Aber eine wirkmächtige inoffizielle. Gerade für die Freiheit der Kunst ist sie verhängnisvoll.

Dieser Beitrag wurde unter kritik, kulturpolitik, politik veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten auf Verunsicherung

  1. g.h. sagt:

    Political correctness ist toxisch, da kommt keine Maskulinität ran.

    https://pbs.twimg.com/media/DDvAxwrXsAAkS74.jpg

    Kein Wunder, der Krempel kommt ja auch aus Ami-Land. Nur selten kam Gutes von dort …

    GvH

  2. admin sagt:

    Plumper Antiamerikanismus ist nicht mein Ding. bei allem Abstand zur Politik nicht allein der jetzigen Regierung gibt es so viele US-amerikanische Schriftsteller, Musiker oder Bildkünstler, die ich mag. Doch, es ist einiges Gutes von dort gekommen.

  3. g.h. sagt:

    < Plumper Antiamerikanismus ist nicht mein Ding.
    Ich weiß.

    < bei allem Abstand zur Politik nicht allein der jetzigen Regierung gibt es so
    < viele US-amerikanische Schriftsteller, Musiker oder Bildkünstler, die ich mag.
    Ja, stimmt auch.

    < Doch, es ist einiges Gutes von dort gekommen.
    Ja, ist.

    In der Kunst (Musik, Bild, Bücher) stimme ich Dir sofort zu, Jens.
    In der Politik (und P.C. ist genau das) – niemals.

    GvH

Schreibe einen Kommentar zu g.h. Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.