Ein Bild bleibt unvollendet

„Ich male!“ soll die Retrospektive zum Werk Arno Rinks heißen, die im nächsten Jahr im MdbK stattfinden wird. Sehr originell hört sich das nicht an. Doch vor dem Hintergrund der Biografie nicht allein Arno Rinks, sondern einer ganzen Leipziger Künstlergeneration klingt da ein gewisser Trotz heraus, die Titelwahl erscheint als Akt der Selbstbehauptung.

Arno Rink, Selbst, 1983, Öl auf Holz, 82,5 x 60 cm, Bildrechte: Galerie Schwind

Arno Rink, Selbst, 1983, Öl auf Holz, 82,5 x 60 cm, Bildrechte: Galerie Schwind

Als der aus einer thüringischen Kleinstadt und einem künstlerisch nicht sehr aufgeschlossenem Elternhaus stammende Rink 1962 im zweiten Anlauf einen Studienplatz an der Leipziger HGB bekam, war dies keinesfalls eine Malereischule. Einen eigenen Fachbereich gab es noch nicht, Malerei war der Grafik zugeordnet. Mit Horst Sakulowski war Rink in seinem Jahrgang einer von zwei Studenten. Doch mit Leuten wie Tübke, Mattheuer und Heisig, die gleich nach dem Studium zu Lehrern wurden, entwickelte sich eine stille Revolution. Deren Sprengkraft wurde bei der Bezirkskunstausstellung 1969 sichtbar. Kollegen aus der tradierten Metropole der Malerei Dresden schäumten. Später, mit zunehmendem Erfolg, gab es auch interne Querelen. So fühlte sich die dem späten 19. Jahrhundert an der Akademie etablierte Fotografie-Abteilung benachteiligt.

Arno Rink, von 1972 bis 2005 selbst Lehrer an der Hochschule, aber tat das, was er gelernt hatte und was er wollte. Er malte. Die frühen Bilder aus der Studentenzeit sind noch sparsam, Landschaften werden auf das Wesentliche reduziert. Mitte der Sechziger kommt die Montagetechnik zum Durchbruch. Die Bildkompositionen verkomplizieren sich, Ebenen werden übereinandergeschichtet, die Gesetze der Schwerkraft sind kein Dogma mehr. Auch wenn viele Namen der Klassischen Moderne in der DDR bestenfalls in Reproduktionen verfügbar waren, lassen sich Einflüsse herauslesen. Vor allem aber waren es die mexikanischen Muralisten um Diego Rivera, die nicht allein in ihrer Sympathie für freiheitlich-kommunistische Utopien Vorbilder für Arno Rink waren. Manche Eigenarten seiner Ausdrucksweise wie die „Posterisierung“ von Farbflächen mögen der Vorliebe für diese angewandte Sparte der Bildkunst sein.

Rinks Malerei ist eigenständig. Er pflegte nicht den impressionistischen Duktus Heisigs, nicht das Expressive Ebersbachs, war bei aller Liebe für historische Kunst nicht so altmeisterlich wie Tübke, aber auch nicht so sparsam wie Mattheuer. Gemein mit vielen Kollegen hat er aber die Neigung zu einer erzählerischen Vielschichtigkeit, einer Mannigfaltigkeit der möglichen Interpretationen und der Nähe zur Literatur.

Erste Reisen in die BRD und nach Italien, aber auch nach Indien, brachten in den 1970er Jahren eine Erweiterung des Horizontes, aber keine Umwälzung im künstlerischen Wollen. „Die Mauer hat mich vor Beuys geschützt“, hat Rink mal gesagt und wurde dafür angefeindet. „Aber es war tatsächlich was dran, dass wir in Ruhe Dinge pflegen konnten, die in der Traditionslinie von Cranach, Dürer, Grünewald und Beckmann lagen. Also keine amerikanische Moderne. Damit waren wir nicht unglücklich.“ Gemalt – auch gegenständlich und narrativ – wurde in westlichen Ländern ebenso. Doch im Fokus des öffentlichen Interesses standen andere Sparten. Nicht so in der DDR. Gemälde von Rink wie das unter der Erschütterung des Pinochet-Putsches entstandene „Canto Libre“ mit der als Hoffnungsschimmer aufscheinenden Ikone Che Guevaras gehörten zu den am meisten und auch kontrovers diskutierten der Leistungsschauen der DDR-Kunst in Dresden.

In den Achtzigern geriet nicht allein die ostdeutsche Gesellschaft, sondern auch der Maler Arno Rink zunehmend in die Krise. Künstlerisch zeigte sich das in einer Verknappung der Formen und Vereinfachung der Palette. Erdige Töne mit heftigerer Pinselarbeit gewannen an Raum. An die privaten Auswirkungen erinnert sich seine Frau, die Kunsthistorikerin Christine Rink: „Zuhause legte er den Schutzpanzer, den er sich für die Hochschule zugelegt hatte ab, und war so, speziell in den späten 80ern, oft hilflos, schutzbedürftig, aber auch in hohem Maße aggressiv und wenig umgänglich.“ Im Widerspruch dazu scheint zu stehen, dass er 1987 Heisig als Rektor der HGB ablöste. Doch diese Funktion kann auch als seine Rettung angesehen werden.

Als einziger Rektor einer ostdeutschen Kunsthochschule wurde er nach 1990 wieder in das Amt gewählt. Die Schar der Berater aus westlicher Richtung war groß. Manchen Vorschlägen zur „Modernisierung“ gab er nach, vieles Gewachsene wie die Druckwerkstätten konnte er bewahren. Als er 1993 sagte, er wolle die HGB „nach Europa“ bringen, wurde er von den Anwesenden aber schlicht ausgelacht. Dann geschah das Wunder. Um die Jahrtausendwende machten einige junge Künstler und Künstlerinnen, viele davon Rink-Schüler, unter dem Etikett Neue Leipziger Schule international Karriere – mit gegenständlicher Malerei! Auch er selbst fand nach vielen Jahren des Zweifelns zu seinen alten Stärken zurück.

So bedeutend Rink als Maler ist, so war er es über Jahrzehnte ebenso als Lehrer. Die Zahl der Schüler ist kaum zu überschauen, viele von ihnen haben heute internationales Ansehen. Das Auffällige dabei ist, dass alle ihre eigene Sprache gefunden haben. Keine Klone seiner selbst heranzuziehen zeichnet einen guten Dozenten aus.

Arno Rink lebte intensiv. Viel Arbeit, viel Alkohol und Nikotin. Er zeichnete zwar aus dem Gedächtnis, nie direkt nach der Natur, genoss dennoch den Anblick schöner nackter Frauen im Atelier. Letztlich erlag er dem Krebs nach langer Krankheit. Alfred Weidinger, der neue Direktor des MdbK, fand in Arno Rink einen Gesprächspartner, die kommende Ausstellung mit seinen Bildern ist das erste eigene Großprojekt in Leipzig. Noch bis zum vorigen Wochenende hat Rink gearbeitet. Gemalt natürlich.

Was neben einem vielfältigen und starken Werk von Arno Rink bleibt ist die Tatsache, dass viele Leipziger Künstler, darunter ganz junge, wie selbstverständlich sagen: Ich male!

Der Text erschien mit redaktioneller Überarbeitung zuerst in der LVZ vom 7. September 2017

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