Offener Brief an Kerstin Decker

Sehr geehrte Frau Decker,

wegen eines Kurzurlaubes kann ich erst jetzt auf Ihren Artikel reagieren. Um das Fazit vorwegzunehmen: Ich bin entsetzt! Bisher hielt ich den Tagesspiegel für ein liberales Medium. Doch offensichtlich will man Gaucks Forderung, sich nach rechts hin zu öffnen, nachkommen.

Schon der Teaser „Leipziger Bilderstreit“ ist falsch. Es geht nicht um Krauses Bilder, sondern seine politischen Äußerungen. Auch der erste Satz „Auf der diesjährigen Leipziger Jahresausstellung fehlen zwei Bilder.“ ist sachlich nicht korrekt. Es fehlen auch die Werke von drei Künstlerinnen und Künstlern, die ihre Arbeiten wegen Krauses Nominierung zurückgezogen haben.

Dann aber wird es neben Ihren handwerklichen Fehlern interessant: „Natürlich, er hatte über Facebook mitgeteilt, dass er die AfD „für ein begrüßenswertes Korrektiv im maroden Politikbetrieb“ halte. Aber seit wann zählt ein subjektives Statement zur Lage der Nation zu den ethischen Grundsätzen?“ Mit Krauses intensiv gepflegtem FB-Account haben Sie sich offenbar nicht persönlich beschäftigt. Dass er die Beschimpfung von deutschen Fußballern dunkler Hautfarbe als „Neger“ und „Bimbos“ befürwortet, ist Ihnen entgangen. Und die Verhöhnung von Opfern des NS-Regimes, wenn Krause sich als „entartet“ bezeichnet, ist für Sie eine Kleinigkeit. Auch dass er die gerade vor Gericht stehende Gruppe „Revolution Chemnitz“ verharmlost hat, wissen Sie nicht. Er ist eben nur ein „normaler“ AfD-Wähler. Stimmt schon. Genau so sind AfD-Wähler: rechtsradikal.

Das Geschwurbel geht weiter. Wofür das Ausrufezeichen als Signet der diesjährigen LIA stehe? „Für einen Sieg der Freiheit und der Kunst!, triumphieren die einen, das sind vor allem linke Künstler und solche, die glauben, dass Kunst grundsätzlich links ist.“ Welche Leipziger Künstler bezeichnen Sie denn als links? Und kennen Sie irgendeinen Menschen, der ernsthaft behauptet, Kunst sei grundsätzlich links? Sie haben sich offenbar schon tief in die rechtsradikale Denkweise hineinversetzt: Was nicht rechts(radikal) ist, muss links-grün versifft sein.

Nach unverbindlichem Heimat-Gelaber wird es richtig spannend, wenn dann Hans-Joachim Maaz ins Spiel gebracht wird, der auf dem von Red Bull-Inhaber Mateschitz gegründetem Sender Servus TV eine ganze Sendereihe hat. Er sei der „Psychoanalytiker des Teilvolkes Ost“, schreiben Sie. Ich bin ein Jahr älter als Sie, Frau Decker, und stamme aus der heute tiefbraunen Oberlausitz. Dennoch werde ich mich bei diesem Nazi-Versteher nicht aufs Sofa legen, obwohl ich von Krause, seinen Fans und Frau Sehmsdorf permanent als psychisch krank bezeichnet werde (auch für Moritz Frei hat Friedericke Sehmsdorf nach kurzem Blick auf seine Website psychische Störungen diagnostiziert).

Das Podiumsgespräch, das übrigens nicht am vorigen Dienstag stattgefunden hätte (nur mal so nebenbei), wurde von Krause abgesagt. Weil sein Therapeut Maaz keine offizielle Einladung erhalten habe. Ich war euch eingeladen, völlig informell durch einen kurzen Telefonanruf. Und ich habe zugesagt. Ein „Tribunal“ gegen Krause hätte es werden sollen. Aha. Thema war eigentlich das Dilemma der Jahresausstellung. Das wäre also, wenn schon, ein Tribunal gegen den Vorstand des Vereins gewesen. Aber die Opferrolle passt Maaz und Krause eben besser.

Was Sie mit den folgenden Äußerungen zu Moritz Frei ausdrücken wollen, wissen Sie wohl selbst nicht. Ist eben ein Narzisst, wie die „schöne Frau“ Sehmsdorf schon festgestellt hat.

Wenig später dann die übliche Behauptung, die Distanzierung von Teilen der Leipziger Kunstszene sei so wie in der DDR. Original AfD-Sprech. Weiter oben behaupten Sie, sich an die Ausbürgerung von DDR-Intellektuellen vor 40 Jahren gut erinnern zu können. Jetzt aber beweisen Sie, dass Sie vom rigiden System des Kunstbetriebes der DDR (in dem es fast keine Privatgalerien gab) null Ahnung haben. Was stimmt denn nun?

„Die neuen Wächter im Land sagen: Man darf den Rechten keine Bühne bieten.“ Wer sind diese neuen Wächter ganz genau? Ist Ihnen bewusst, Frau Decker, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik darauf gründet, so etwas wie das Nationalsozialistische Regime nie wieder Wirklichkeit werden darf? Zu den „neuen Wächtern“ zähle ich mich, obwohl ich 1961 geboren wurde und erst seit 1990 Bürger der BRD bin. Ja: Ich möchte nicht, dass Rechtsradikale wie Krause hier die Oberhand bekommen. Haben Sie sich z.B. mit den kulturpolitischen Vorstellungen der AfD Sachsen beschäftigt? Ich habe es und sage: No pasaran!

Dann kommt der schlimmste Absatz Ihres Artikels:

„Ich habe nicht gedacht, dass ich so etwas noch mal erlebe“, sagt Hans-Joachim Maaz, und er wüsste nichts, überhaupt nichts, das falscher wäre. Reden zu unterbinden, wo geredet werden müsse, sei auch ein terroristischer Akt.“

Kein Widerspruch Ihrerseits. Wem wurde das Reden unterbunden? Maatz? Krause? Beide lassen sich auf diversen Medien intensiv aus. Die Podiumsdiskussion haben die beiden platzen lassen. Aber es sei ein „terroristischer Akt“, das Reden zu unterbinden, sagen zwei Rechtsradikale (und ich weiß im Unterschied zu Ihnen zwischen Faschisten und Konservativen zu unterscheiden, Frau Decker) in einer Zeit, wo ein Regierungspräsident von einem Rechten ermordet wird, wo eine Gruppe Freital ebenso wie Revolution Chemnitz vor Gericht stehen und hunderte per Haftbefehl gesuchte Neonazis untergetaucht sind. Für diese von Ihnen unwidersprochen gelassene Behauptung verlange ich eine Erklärung. Ich fühle mich persönlich angesprochen. Ich widerspreche Krause und seinen Fans fast täglich auf FB, werde dafür als Psychopath bezeichnet. Wer unterbindet das Reden? Wer ist hier der Terrorist? Nochmals: Ich verlange von Ihnen eine Erklärung für diese ungeheuerliche Aussage!

Von wem die folgende Idee stammt, begründen Sie nicht einmal: „Wie glücklich könnten wir sein, gäbe es keine Nationen, keine Vater- und Mutterländer mehr, nur noch Menschen!“ Von Krause bestimmt nicht, der ist „Patriot“ und Rassist.

Ach ja, dann wird noch einmal der Bogen zur Kunst gespannt, der Gedankenbogen muss ja stimmig sein in so einem Qualitätsmedium wie dem Tagesspiegel. Auch wenn es überhaupt nicht um Kunst geht. „Die 26. Leipziger Jahresausstellung in der alten Plagwitzer Baumwollspinnerei ist vor allem ein großes, spielerisches, tieflotendes Bekenntnis zur gegenständlichen Malerei geworden.“ Das ist so falsch wie der erste Satz des Artikels. Waren Sie überhaupt da vor Ort? Oder haben Sie den Katalog als Daumenkino durchgeblättert? Diese Schlusssentenz ist jedenfalls in kunstkritischer Betrachtungsweise großer Humbug.

Ohne freundliche Grüße

Jens Kassner

Dieser Beitrag wurde unter kulturpolitik, kunst, leipzig veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.