Lerners anmutige Wut

Das Buch hat zwar nur 140 Seiten, locker mit Dichtung bedruckt, simultan in Englisch und Deutsch, doch einen reichlichen Monat habe ich nun gebraucht, um eine Kritik zu David Lerner „Die anmutge Kurve eines Marschflugkörpers“ hinzubekommen. Wenn man aber das Buch vom Verlag kostenfrei als Rezensionsexemplar zugeschickt bekommt, möchte man sich ja auch etwas Mühe geben mit dem Interpretieren. Hier nun endlich der Text.

David Lerner

Die anmutige Kurve eines Marschflugkörpers

Übersetzt von Ron Winkler

Poetenladen Leipzig 2008

Bei einer Lesung hat Ron Winkler, Übersetzer und Entdecker David Lerners für das deutschsprachige Publikum, in einer Nebenbemerkung die Gedichte des Kaliforniers als Weltverbesserungs-Suadas bezeichnet. Das klingt despektierlich. Liest man sich aber die in dem Band mit dem bezeichnenden Titel „Die anmutige Kurve eines Marschflugkörpers“ versammelten Verse durch, versteht man schnell diese Etikettierung. Allerdings hat Lerners Lyrik kaum etwas mit dem heute zu einer stehenden Negativ-Floskel gewordenen Gutmenschentum zu tun. Mit Political Corectness hat seine Art von Weltverbesserung gleichermaßen wenig zu tun wie mit neomarxistischer Revolutionsromantik. Eher schimmert da die Hippie-Einstellung durch, mit Sex & Drugs & Rock´n Roll die gesellschaftlichen Verhältnisse zu rocken. Doch Lerner wurde erst 1951 geboren, kam für die Hochphase der Blumenkinder also zu spät, konnte nur noch die verwelkten Blüten vom Asphalt aufsammeln. Das tat er allerdings mit Leidenschaft und Konsequenz. Seine Verse

sind keine party

sie sind keine disco

sie sind verdammt noch mal keine

wundertüten voll

von cleverem sprachgebrauch und sensiblem gedankengut und

eleganten theorien über

wie viele ambiguitäten auf der mündung eines maschinengewehrs

tanzen können .

Doch auch dieser Teil einer Selbstdarstellung, dessen Titel selbst im amerikanischen Originaltext „Mein Kampf“ lautet, scheint nicht ganz hinzuhaun. Zumindest cleveren Sprachgebrauch kann man David Lerner auf keinen Fall absprechen. Obwohl sein Wortschatz eher den Outlaws als intellektuellen Zirkeln zu entstammen scheint, erfindet er ausgesprochen plastische Bilder und ganze Kaskaden ekstatischer Formulierungen. Das ist die eigentliche Stärke von Lerners Dichtung. Die Welt hat er damit offensichtlich nicht verbessert, denn drei Jahre nach seinem frühen Tod wurde George W. Bush zum Präsidenten der USA gewählt (oder ernannt?). Dieser Fakt hätte vermutlich noch einige wortgewaltige Wutausbrüche David Lerners hervorgerufen.

Er starb aber 1997 an einer Überdosis Drogen. Jahre zuvor schon hatte er eine erfolgreiche Journalistenlaufbahn aufgegeben, um sich ganz der Poesie zu widmen. Diese trug er regelmäßig im Cafe Babar in San Francisco vor, weshalb er auch zu den wichtigsten Protagonisten der amerikanischen Spokenword-Literatur zählt. Geld konnte er damit allerdings nicht verdienen, er sank ins Elend ab. Doch gerade diese Übereinstimmung von Lebensstil und literarischem Ausdruck macht die Gedichte unnachahmlich. So inspirierend die eigenwilligen Metaphern sein mögen, man kann keinem Nachwuchsautor empfehlen, sich diese Schreibweise anzueignen. Dann müsste man ihn auch zum Drogenkonsum und beständiger Ignoranz gegenüber materieller Sicherheit auffordern. Lerners Ausbrüche sind keine Attitüde, sondern folgerichtige Fortsetzung des tagtäglichen Kampfes. Darin brachte er es allerdings zu Virtuosität. Deshalb ist das Buch unbedingt ein Gewinn für alle Anhänger von Spokenword-Literatur.

In dem vom Poetenladen Leipzig herausgegebenen Auswahlband stehen die amerikanischen Originaltexte neben den Übersetzungen Winklers. Zwar gehört Lerners Ausdrucksweise nicht gerade zu den höchsten Herausforderungen an die Übersetzungskunst. Doch punktuell ist schon eine Nachdichtung statt der linearen Übertragung nötig, um den ruppigen Sound des Poeten auch im Deutschen nachspürbar zu machen.

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