Ich hab das Volk gesehn

Den ganzen Nachmittag lang werden Autos an der Leplaystraße weggeschafft. Fast könnte man vermuten, die Legida-Demos seien von der Abschlepp-Branche eingefädelt worden. Doch im Unterschied zum vorigen Mittwoch gibt es diesmal hier keine Absperrung hin zur Innenstadt.

Ein anderer Unterschied ist privater Natur. Ich habe die Seiten gewechselt. Während halb sechs meine Frau mit Freunden zum Johannisplatz aufbricht, gehe ich Richtung Moritzbastei. Direkt an der MB steht eine Kette von Polizisten. Ich sage, dass ich zum Augustusplatz will. „An der Legida-Demo teilnehmen?“ fragt ein Polizist. „Ja.“ Warum schaut er mich so skeptisch an? Sehe ich etwa aus wie ein Autonomer? Ich zeige den Presseausweis und werde durchgelassen, frage aber noch, was ich hätte zeigen müssen, wenn ich wirklich Legida-Anhänger wäre. „Nichts weiter.“ In dem Moment kommt ein Paar im Rentenalter. Sie werden problemlos durchgelassen. „Aber nur als Zuschauer“ sagt der Mann noch wie zur Entschuldigung.

Am Gewandhaus steht die nächste Postenkette, in der Mitte des Augustusplatzes, wo ansonsten die Straßenbahn hält, noch eine. Das Passieren ist einfach. Ein schönen Abend wünscht mir der Polizist an der letzten Sperre, ich wünsche ihm das Gleiche.

Es ist kurz vor sechs. Von den reichlich hundert Leuten auf dem Platz sind wohl ein Viertel Medienvertreter. Das Häuflein Leginellen steht verloren am Rande herum. Der Zuwachs schleppt sich dahin. Auch halb sieben sind es kaum doppelt so viele. Die Leute kommen einzeln oder in kleinen Grüppchen, nicht wie vorigen Mittwoch in großen Pulks und eskortiert.

Kurz vor sieben geht jemand ans Mikro: „Zum Aufwärmen: Da hinten bei der Polizei steht Juliane Nagel. Schicken wir ihr einen Gruß!“ Buh-Rufe. Einer grölt laut „Fotze!“

Um sieben ist der Platz zwischen den Milchtöpfen bis kurz vor den mittigen Brunnen gefüllt. Doch die Legida-Fans stehen sehr locker. Ich kann hindurchgehen, ohne wen anzurempeln. Die meisten machen den Eindruck des normalen Bürgers von nebenan. Ein Hutträger läuft mit einer Kerze in der Hand umher. Fernsehteams werden nicht behindert, finden aber kaum Gesprächspartner. Auf der kleinen Brunnenkuppel haben ein Mann und eine junge Frau von Russia Today ihre Kamera aufgebaut. Auch drei Asiaten bewegen sich mit einer Videoausrüstung durch die die Leute.

Dann geht es los. Für den Veranstalter betont Silvio Rösler: „Es geht um die drei Themen Islam-Asyl-Ausländer. Es bringt gar nichts mehr, in dieser Debatte weichgespült daherzureden.“ Klartext sei nötig, nicht nur in den Internetforen.

Als erster Sprecher wird ein Manfred aus Mansfeld angekündigt. Der thüringische Provinzler berichtet eindringlich von den Zuständen in westdeutschen Städten wie Duisburg oder Dinslaken, als hätte er sie selbst kennengelernt. Noch bekommt er Zustimmung und Beifall. Doch mehrfach anzukündigen, nun zum Ende zu kommen, ist nicht sein einziger Fehler. Zuerst gibt er Imamen an Moscheen in Deutschland Ratschläge, wie die Integration besser gelingen könne. Dann fordert er ein Wohnungsbauprogramm der Bundesregierung in Nachbarländern Syriens sowie auf dem Balkan. Und schließlich mahnt er noch, offen auf die Medien zuzugehen, da man sie brauche, um die Anliegen durchzusetzen. Der naive Manni bekommt kaum Schlussbeifall, sogar einige Pfiffe.

Friedrich Fröbel wird als nächster angekündigt. Redner ist hier nicht ganz der treffende Begriff. Er brüllt los und schwadroniert über Liechtenstein als „letzte deutsche Monarchie“ und nennt sie als Musterbeispiel für die direkte Demokratie.

„Liebe Hools“ ruft er. Tatsächlich haben sich nach Beginn der Kundgebung am Rand Grüppchen dunkel Gekleideter zusammengefunden. Auf manchen Hoodies steht Pit Bull oder Yakuza. Er lobt seine lieben Hools, die Legida-Demonstranten auch heute wieder gegen die Antifa zu schützen. Zuvor hat er behauptet, dass die Kinder in deutschen Schulen auf das niedrigste gemeinsame Niveau herab gedrückt werden. Nun steigert er sich und bezeichnet die Gegendemonstranten, zu denen bekanntlich viele Studenten verschiedenster Fachrichtungen gehören, als schizophren und vom System krank gemacht. Anders seine Fans auf dem Platz, welche der Verdummung entgangen und darum zu mündigen Bürgern gereift sind. Mit endgültig überschnappender Stimme fordert die Goebbels-Schnauze seine lieben Hools noch zur Manneszucht auf. Tosender Applaus der Mündigen. Hätte er jetzt noch gefragt: „Wollt ihr den totalen Krieg?“, hätte die Konservative Revolution unmittelbar begonnen.

Diese ist allerdings Spezialthema des nächsten Redners. Götz Kubitschek, der schon vorige Woche da war, gibt das intellektuelle Kampfblatt der Neuen Rechten namens „Sezession“ heraus. Den Zuhörern sagt er aber nicht, dass er Zeitschriftenverleger ist so wie Verschwörungstheoretiker Jürgen Elsässer, der vorige Woche ebenfalls redete. Sonst würden vielleicht die Sprechchöre „Lügenpresse“ sofort einsetzen. Einige der etwas helleren Mündigen könnten vielleicht aber ins Grübeln kommen, wie das in diesem System der staatsgelenkten Medien sein kann, dass ein Journalist ihre Parolen vertritt, ohne verboten zu werden oder gar im Knast zu sitzen.

Ich gehe, bin durchgefroren. Kubitscheks Erguss wird wohl auf der Internetseite von Sezession wie schon vorige Woche nachlesbar sein. Dort hatte ich dreimal versucht einen Kommentar zu posten und Herrn Kubitschek darauf hinzuweisen, dass es keine 20.000 waren, vor denen er salbadert hat, sondern höchstens 5.000. Vergeblich, keiner der Kommentare wurde freigeschaltet. So sieht die Meinungsfreiheit der Rechten aus. Dafür wurden mehr als 100 Kommentare genehmigt, in denen Kubitschek für die Genialität seiner Worte gelobt wird.

Vom Platz komme ich ohne Probleme, wieder auf dem gleichen Weg. Vor der MB gehen erste Gegendemonstranten auch bereits nach Hause. Ich lasse Wasser für ein heißes Bad ein, schalte unterdessen den Computer an. In L-Iz und LVZ-online wird ungewöhnlich übereinstimmend von 1.500 Legida-Demonstranten gesprochen. Das stimmt genau mit meiner Schätzung überein. Dann google ich noch schnell, wie die direkte Demokratie in Liechtenstein aussieht. Wirklich überzeugend. Ob sich einer der Begeisterten vom Augustusplatz auch diese Mühe macht?

Ich hab das Volk gesehen und mir ist dabei übel geworden.

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Eine Antwort auf Ich hab das Volk gesehn

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