Aufstehn reicht noch nicht

Nachdem ich Stephane Hessels Empört euch! nach all den Vorschusslorbeeren doch ziemlich enttäuschend fand, habe ich nun das in diesem Zusammenhang häufig erwähnte Manifest Der kommende Aufstand des Unsichtbaren Komitees gelesen.

Der Text hat zumindest etwas, was dem schwächlichen Aufruf des Veteranen fehlt – den Mut zur Radikalität. Im ersten Teil der Schrift wird der gegenwärtige Zustand der Welt schonungslos seziert. Auch wenn die konkreten Bezüge fast alle aus Frankreich stammen, wird doch ziemlich überzeugend dargelegt, dass ein bisschen reformerisches Rumdoktern an den Problemen nicht mehr helfen kann. Diese Analyse des Spätkapitalismus ist inhaltlich und sprachlich brilliant, die berechtigte Wut nimmt man dem Autorenkollektiv durchaus ab.

Doch dann kommt der schwierigere Teil – die Frage nach dem Wie weiter? Und da findet sich schließlich nur eine Ansammlung altbekannter, aber noch nie funktionsfähig gewesener anarchistischer Rezepte: Kommunen bilden ohne jede Hierarchie und Struktur sowie undifferenziertes Zerstören des bestehenden Apparates. Dass damit ein gesellschaftliches Zusammenleben zunächst nicht möglich ist, wird den Autoren immerhin klar. Doch geradezu infantil wirkt dann der Ratschlag, zu landwirtschaftlich-handwerklicher Autarkie zurückzukehren. Nicht nur, dass die heutige stark angewachsene Weltbevölkerung damit nicht mehr ernährt werden könnte, ist ein Widerspruch in sich. Offensichtlich haben es die Schreiber nie selbst ausprobiert, was es bedeuten würde, sich auch nur die nötigsten Grundnahrungsmittel selbst anzubauen. Dieses Bemühen würde im gravierenden Widerspruch zum vorher geäußerten Aufruf, sich dem Zwang zur Arbeit zu verweigern, stehen.

Aus dem klandestinen Selbstverständnis des sich bezeichnenderweise Unsichtbares Komitee nennenden Kollektivs erwächst auch ein tiefes Misstrauen gegen das Internet und andere digitale Medien. Das passt mit der reaktionären Zurück-zur-Natur-Ideologie zusammen, die schon zu Zeiten Rosseaus nicht mehr funktionieren konnte. Der Point of no return ist schon lange überschritten. Gerade aus der Offenheit und Schwarmintelligenz des Netzes erwachsen gewisse Hoffnungen, das knallharte Gesetz der Kapitalvermehrung zu unterwandern. Dagegen mit Spaten und Wanderklampfe anzugehen, ist bescheuert.

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Eine Antwort auf Aufstehn reicht noch nicht

  1. Micha sagt:

    Wieder mal ein sehr interessanter Beitrag – danke dafür!

    Dass es kein „Zurück zur Natur“ geben kann, hat übrigens gerade Rousseau selbst von Anfang an gesehen. (Das bekannte vermeintliche Zitat ist in seinen Schriften nicht nachzuweisen.) Aus dieser Einsicht resultiert natürlich dann ein gewisser Pessimismus, denn es wird fraglich, ob sich die Gesellschaft überhaupt grundsätzlich verändern lässt, ohne dabei die Zivilisation aufzugeben.

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