Mit kleinen Tippfehlern

Es geht bei dieser Tippgemeinschaft nicht um das kollektive wöchentliche Wetten auf bestimmte Zahlen. Obwohl auch hier Nieten, Volltreffer und solche knapp daneben dabei sind. Es handelt sich um das  gemeinsame Einwirken auf Tastaturen zwecks Erstellung literarischer Endprodukte, welches laut Vorwort zuweilen nachts im Computerraum des Deutschen Literaturinstituts Leipzig stattfindet. Häufiger wird es wohl im nahen Clarapark per Laptop passieren oder eben im eigenen WG-Kämmerlein der Südvorstadt.

Zunächst zur Statistik. Die diesjährige Anthologie der Studierenden am DLL hat ein Verhältnis von 29 mal Prosa zu 11 mal Lyrik. Das ist keine signifikante Verschiebung gegenüber 2008 (28 zu 8). Auffällig ist aber, dass sich sechs Texte zumindest dem äußeren Erscheinungsbild nach unter die Rubrik Dramatik einordnen lassen. Das gab es im Vorjahr nicht. Außerdem finden sich zwei Essays. Gut, 2008 kann man ganze neun Texte des Anhangs so bezeichnen, doch sie beschäftigen sich durchweg mit Poetologie, also dem Ergründen von Schreibantrieben und -weisen.

Die Zahlen sagen noch nichts über die Inhalte aus. Bei den Gedichten fällt eine Spreizung auf. Hatte bis vor kurzem noch ein „wahres“ Gedicht dem Leser die Stirnruzeln unwillkürlich in Fragezeichen zu formen, so darf es jetzt auch mal ganz klassische Moderne sein wie bei Christian Schulteisz, mehr oder weniger originelle Wortspiele wie bei Tobias Amslinger oder auch konkrete Poesie wie bei Julia Dathe. Diese wirkt allerdings ziemlich abgestanden. Doch auch das Hochgeschraubte ist nicht ausgestorben. Petra Marie Kraxner steht dafür ebenso wie Florian Adamski („Sinnvehikel, vollbesetztes von den Schmerzen, / bring mich übern Berg.“ – Gehts noch?). Gänzlich deplatziert in solch einer Leistungsschau ist aber der dürre Witz vom Niveau einer durchschnittlichen Abiballzeitung von Urban Comploj. Gibt es da keinen Lektor, der auch einen Rotstift besitzt?

Auch bei der Prosa sind Triften wahrnehmbar. Die hohe Zeit larmoyanter Darmspiegelungen ist offenbar vorüber, Relikte bestätigen die Regel, so etwa bei Anna-Elisabeth Mayer, aufgepeppt durch zusammenhanglose geschichtsphilosophische Zitate.

Ziemlich viel Tod gibt es. Nicht im kriminalistischen Sinne, manche Menschen sterben im Unterschied zur Wahrnehmung fast aller Fernsehsender ja auch ohne Fremdeinwirkung. Und andere sehen dabei zu, leiden oder auch nicht, drücken sich jedenfalls aus. Das liegt vielleicht, ebenso wie die zu simple Knastbesuch-Geschichte von Maja Ludwig, an dem vom Forensiker You-Il Kang im Vorwort geschilderten Bemühen, dem Autorennachwuchs an Orten komprimierten Elends und Todes das wahre Leben zu zeigen.

Auch das surreale Moment hat zugenommen. Zumeist in einem gekonnten, dem Zweck des Erzählens untergeordnetem und auch amüsanten Sinn. Ganz brilliant in dieser Art ist Andreas Stichmann. Auch die böse, fast schon kinderfeindliche Geschichte Benjamin Lauterbachs hat es in sich. Daneben gibt es nette, wenn auch nicht umwerfende, Storys, so etwa der Road-Movie eines bayrischen Autorengespanns auf Lesereise von Tobias Hipp. Mir fällt auf, dass auch wieder Erzählweisen ganz  Old Style zugelassen sind. Das ist dann gut, wenn man was zu erzählen hat. Herausragend in diesem Sinne ist die mit knallharter Erotik gewürzte Geschichte von Kristina Schilke. Wirklich große Klasse. Wenn man aber nicht auf den Punkt kommt, wie Peter Menard oder Anke Bastrop hilft das Fabulieren á la  Hemingway oder Grass nicht viel. Wirklich unangenehm wird es bei Mirko Wenig, wo man hofft, der denunzierende Tonfall in der Beschreibung eines Verlierertypen möge sich als Ironie erweisen, was aber nicht passiert.

Unter den Texten, die ich als Dramatik eingeordnet habe, fällt der Monolog einer werdenden Mutter wider Willen auf, den March Höld unter dem Titel „Treffer, da fliegn die Federn“ veröffentlicht hat. Trotz des mir schwer verständlichen Dialekts ist das ganz stark. Schon in der Tippgemeinschaft 2008 war mir die junge Österreicherin mit Lyrik der besonderen Art aufgefallen. Auch wenn sich der Name der Autorin nicht so ganz leicht merken lässt, jetzt sitzt er bei mir. Sollte mal ein Buch von ihr erscheinen, ich werde es kaufen.

Dann sind da noch die zwei Essays. Das von Franz Friedrich, „Urbane Irritationen“, reizt mich zwar zum Widerspruch, aber es ist intelligent gemacht. Und das Konstrukt einer „Generation Jonathan Meese“ von Oliver Kluck ist wohl eher die Persiflage eines Essays, aber ebenso gut geschrieben. Schön dass es solche Texte jetzt auch in der Tippgemeinschaft gibt.

Noch besser wäre, wenn im nächsten Jahr die Redakteure den Mut haben, all zu schwache Versuche rauszuwerfen.

Ein Satz muss aber noch zur Buchgestaltung gesagt werden. Die liegt von Jahr zu Jahr in anderen Händen, ist darum abwechslungsreich und immer sehr professionell, obwohl es wohl vorrangig Studenten der HGB sind, die da beauftragt werden. In diesem Jahr zeichnen Andreas Dürer und Maurice Göldner verantwortlich. Letztgenannter hat wohl, wenn ich es richtig verstehe, sogar die Schrift selbst entworfen, die hiermit ihre Praxistauglichkeit bewiesen hat.

Tippgemeinschaft 2009.

Jahresanthologie der Studierenden des Deutschen Literaturinstituts Leipzig.

im Vertrieb der Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke,

Leipzig 2009

ISBN 978-3-937799-39-1

www.dll-tippgemeinschaft.de

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2 Antworten auf Mit kleinen Tippfehlern

  1. Jan sagt:

    „…Forensiker You-Il Kang…“
    ist kein Forensiker, weil eine Frau und davon abgesehen Schriftstellerin.
    Zugegebenermaßen bin ich mit koreanischen Namen auch nicht vertraut…

    Grüße, Jan

  2. admin sagt:

    Danke für die Korrekturen!

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