Kein Spaziergang

Am Wochenende rief ich Freunde an, wo sie gegen Legida demonstrieren wollen. 17 Uhr am Waldplatz. Hmm, drei Stunden da rumstehn, bei angekündigtem Regen. Eine andere Bekannte sagt uns, sie wolle ab 17.45 ab der Nikolaikirche loslaufen. Da gehen wir auch hin, holen unterwegs noch eine Freundin ab. Vor der Kirche, wo das Friedensgebet gerade zu Ende geht, ballen sich Menschen bis weit in die Grimmasche Straße hinein. Unsere Bekannte finden wir nicht. Ein Mann mit Rollkoffer versucht sich durchzudrängen. „Entschuldigung, bin gerade angekommen, habe hier ein Hotelzimmer.“ Herzlich willkommen. Kurz nach sechs geht es los, an der Thomaskirchhof kommt der Zug aber zum Stocken. Schaltet die Ampel am Dittrichring nicht auf Grün? Keine Ahnung, wie viele Leute dabei sind. Vom Ring bis in die Grimmasche Straße wartet eine nicht überschaubare Menge, dass es weitergeht.

Bei unserer Freundin klingelt das Handy. Ein Verwandter aus Norddeutschland hat in den Nachrichten gesehen, dass in Leipzig einige Tausend gegen Legida demonstrieren. „Ich bin auch dabei.“ „Schön, aber pass auf dich auf!“

Eine Frau mit rotem Fahrrad hat sich offensichtlich verirrt. Sie fragt einen Demonstranten mit südlichem Aussehen, ob er denn wirklich für die Islamisierung sei. „Nein, natürlich nicht. Aber dafür gehn wir ja auch nicht auf die Straße, sondern gegen Fremdenfeindlichkeit.“ Die Dame schwenkt ab.

Endlich geht es weiter. Aber statt wie angekündigt durch die Gottschedstraße, wird die Demo über den Ring Richtung Neues Rathaus umgelenkt. Wie viele andere Leute kürzen wir Richtung Friedrich-Ebert-Straße ab. Am Westplatz geht erst einmal nichts mehr, zumindest für die Demonstranten. Paar Straßenbahnen schieben sich noch durch. In der Friedrich-Ebert-Straße nimmt die Verdichtung zu. Hundert Meter vor dem Waldplatz ist wirklich Schluss. Und hinter uns sind noch Tausende. Einige Latinos fangen an, mit Gitarren, Ukulele und Rasseln Musik zu Machen. „Guantanema“. Dann „La Bamba“. Der Refrain wandelt sich in „No Legida“. Alle rundum singen mit oder klatschen. Kein Regen, fast angenehme Temperatur. Es ist kurz vor acht. Irgendwo vorn am Platz reden Leute über Mikrofon, hier kommen nur Fetzen an. An der Geräuschkulisse ist zu erkennen, dass am Waldplatz nun wohl die Legida-Demonstranten vorbeikommen. Ein Mädchen mit dem Ortsschild Machern in der Hand sitzt auf den Schultern ihres Freundes und berichtet: „Ja, da laufen so fünf, sechs Leute. Und zwei Polizeiautos. Und ein Krankenwagen.“ Gelächter. Keiner weiß, was denn nun wirklich der Stand ist, aber so langsam löst sich die Kundgebung auf. Auch wir gehen.

Zurück zu Hause, versuchen wir im Internet nachzusehen, was berichtet wird. Keine Verbindung. Auf dem Tablett klappt es dann doch. Laut Polizei sollen es 4.800 bei den Legidas gewesen sein, 30.000 Gegendemonstranten. In den Nachrichten auf MDR kommen dann auch diese Zahlen.

Schön und gut, das bestätigt irgendwie die Euphorie, die auf dem Platz herrschte. Doch dann die Meldung, dass es in Dresden bei Pegida diesmal 25.000 waren, kaum 5000 Gegendemonstranten.  Warum kriegen die behäbigen Residenzstädter ihren Arsch nicht hoch? Ich bin stolz, in Leipzig zu leben.

Heute habe ich auf der Facebook-Seite von Legida nachgesehen, was denn Organisatoren und Anhänger schreiben. Zunächst mal Selbstbestätigung, dass es am nächsten Montag zweifellos mehr sein werden. Dann Anzweifeln der offiziellen Angaben zu den Gegendemonstranten („Da wurden alle Schaulustigen mitgezählt.“) Und weiter Schimpfen auf die gewaltbereite Antifa, die Flaschen geworfen und Autos angezündet hat. Antifa sind für sie alle, die nicht ihrer Meinung sind. Ob sie merken, dass sie selbst sich damit als Faschisten outen? Soweit kann wohl keiner von ihnen denken. Und schließlich kehrt die Behauptung wieder, die Veranstalter Hoyer schon vorige Woche verbreitet hat: Die Gegendemonstranten sind bezahlt oder abgeordnet. Da ich als Selbstständiger keine Befehle bekommen kann, müsste ich als Geld erhalten haben. Nötig hätte ich es eigentlich, doch wurde mir nichts angeboten.

Legida hat für nächsten Montag wieder eine Demo angemeldet. Zeit habe ich dafür nicht gerade, werde aber da sein. Schön wäre, wenn jeder Gegendemonstrant noch eine weitere Person mitbringen könnte.

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