Wenn der Postman zweimal aufklärt

Zu den Büchern, die ich mir ausgerechnet ins Diakonissenkrankenhaus mitgenommen hatte, gehört Neil Postmans „Die zweite Aufklärung“. Es ist bereits vor zehn Jahren geschrieben worden, verkaufsfördernd oder -hemmend kann die Kurzbesprechnung also nicht wirken. Aber das ist sowieso nie Absicht dieser werbefreien Seite.

Der amerikanische Medienkritiker Postman, der vor allem mit „Wir amüsieren uns zu Tode“ bekannt wurde, untertitelt sein letztes Buch (er starb 2003) „Vom 18. ins 21. Jahrhundert“. Als Hauptfeind stellt er diesmal nicht direkt die modernen Medien hin, sondern die französischen Theoretiker der postmodernen Dekonstruktion, insbesondere Derrida. Diesen zu sprachlicher, ästhetischer und gesellschaftlicher Beliebigkeit neigenden Gedankenkonstrukten stellt er die Aufklärung des 18. Jahrhunderts gegenüber, neben französischen und englischen vor allem natürlich auch amerikanische Autoren wie Jefferson oder Paine. Wichtig ist ihm dabei die Unterscheidung zwischen Philosophen und „philosophes“. Die ersten stellen Systeme auf, die zweiten Programme. Selbstverständlich sind ihm die auf praktische Wirksamkeit orientierten philosophes lieber. Eine andere Unterscheidung ist die zwischen Information und Wissen. Gerade über die Informationsüberflutung regt sich Postman auf, welche die Schnipsel unhergeleitet und unverwertbar belässt. Das Wort „weil“ scheint es in der Grammatik der Fernseh- und Radiojournalisten nicht zu geben. Man präsentiert uns eine Welt voller „Unds“, nicht „Weils“. (S. 120) Als immer noch gültigen Gegenentwurf stellt er Diderots Enzyklopädie dar, wo jeder Artikel, auch zu politikfernen Dingen, ein Leitartikel gewesen sei. Vielleicht könnte Postman der Wikipedia etwas abgewinnen, wegen des emanzipatorischen Ansatzes und der teils heftigen Debatten um manche Inhalte. Doch die konnte er noch nicht kennen. Überhaupt pfegt er eine Technikfeindlichkeit, die über das Ziel hinausschießt. Stolz zu verkünden, nie ein Email-Konto haben zu wollen, ist genauso albern wie diese Leute, die mit leuchtenden Augen berichten, keinen Fernseher zu haben.

Ernst zu nehmen ist allerdings Postmans dringlicher Appell, Philosophie und Erziehung wieder an den drängenden gesellschaftlichen Problemen auszurichten und Skeptizismus an die Stalle des anything goes zu setzen. In diesem Sinne gibt er – in einer Zeit, wo „kulturelle Bildung“ zum beliebten Schlagwort geworden ist – einige überlegenswerte Vorschläge.

Neil Postman
Die zweite Aufklärung. Vom 18. ins 21. Jahrhundert.
Berliner Taschenbuch Verlag 2001
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4 Antworten auf Wenn der Postman zweimal aufklärt

  1. lesefaul-neisse sagt:

    falls jetzt jemand dieses ganze buch nicht lesen will, also nicht auf erwähnte überlegenswerte vorschläge trifft, würdest du dennoch ein bis zwei davon nennen? drei?

  2. admin sagt:

    Ich probier es zunächst mal mit nur einem Hinweis:
    Trau nie einem Rezensenten, sondern mach dir mit einer ausreichenden Portion Skepsis einen eigenen Eindruck vom betreffenden Werk!

  3. lesefaul-neisse sagt:

    klingt unkooperativ, wenn nicht gar böse…

  4. admin sagt:

    So bin ich eben. Doch ein kleiner Hinweis: Postman plädiert beispielsweise dafür, dass bei der Schulbildung das Erlernen und die Ermutigung zum Fragestellen in den Mittelpunkt rücken soll. Auch Journalisten sollen verstärkt nach dem Sinn ihres Tuns fragen. Als Beispiel führt er an, dass in den Abendnachrichten eine Meldung verbreitet wird, dass bei einem Feuergefecht zwischen Palästinensern und Israelis drei Personen getötet wurden. Warum begründet der Redakteur nicht, weshalb diese Meldung ausgesucht wurde, obwohl am gleichen Tag bei dutzenden militärischen Aktionen in der ganzen Welt etliche Menschen starben?

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