Öde an die Feinde

Zuerst die gute Nachricht: Kunst kann immer noch heftige Emotionen freisetzen. Zumindest, wenn sie im öffentlichen Raum platziert wird. Markus Lüpertz´ Beethoven-Skulptur, die vor wenigen Wochen vor dem Leipziger Bildermuseum platziert wurde (finanziert aus privaten Quellen) wird zum Aufreger. Die LVZ hat schon mehrere Leserbriefe, durchweg ablehnend, dazu abgedruckt. Gestern nun wurde ein Offener Brief publik, unterschrieben von einigen mehr oder weniger bekannten ortsansässigen Künstlern und Schriftstellern, von denen ich manche bezüglich ihrer eigenen Arbeit durchaus schätze.

Die Beethoven-Platik von Markus Lüpertz vor dem MdbK Leipzig.

Die Beethoven-Platik von Markus Lüpertz vor dem MdbK Leipzig.

In dem Brief heißt es: „Nachdem es einem Herrn Balkenhol erlaubt worden ist, auf dem erhabenen Sockel Max Klingers seine Zutat zu Richard Wagner zu postieren, ist uns nun in der Katharinenstraße eine bunte Bronze vor Augen gesetzt, die – nach Meinung des Verfertigers Lüpertz – Ludwig van Beethoven angemessen sei.“ Ich weiß nicht, wer der eigentliche Verfasser des Briefes ist, doch der Satz spricht Bände über das geistige Niveau. Und für alle, die da unterschrieben haben, vielleicht aus einem nicht gründlich durchdachten Impuls heraus, ist es eine Peinlichkeit.

Einem Herrn Balkenhol – der Vorname Stephan ist eigentlich weithin bekannt oder recherchierbar – sei es „erlaubt worden“, seine „Zutat“ zu postieren (warum nicht gleich kompostieren?). Von wem erlaubt? In welchem Obrigkeitsstaat leben wir denn, werte Herren Kunstkenner? Und Klingers Sockel sei „erhaben“. Was dieser Begriff meint, lässt sich ebenso nachlesen. Auf das Fragment trifft er garantiert nicht zu. Klinger ist in Leipzig in Ermangelung anderer halbwegs bedeutender Künstler der Zeit vor 1945 zum Säulenheiligen geworden, da darf keiner dranpissen. Dass Klinger in einer Periode, wo Expressionismus und abstrakte Kunst aufkamen, eine Menge Kitsch produziert hat, wird dann schnell verdrängt.

Man kann die Lüpertz-Plastik gut kritisieren. Ich bin davon auch nicht begeistert. Doch gerade ein Vergleich mit Balkenhols Wagner könnte für sachliche Kritik nützlich sein. In der für ihn seit langem typischen reduzierten Holzschnitt-Manier hat er den tatsächlich recht klein gewachsenen Komponisten ziemlich realistisch dargestellt. Er hat in seiner Geburtsstadt Leipzig nur einige Jahre verbracht, darunter prägende. Sein gewaltiger Schatten aber fällt woanders hin. Das ist ein intelligenter Gedanke Balkenhols, präzise umgesetzt. Und zumindest im Schatten viel erhabener als Klingers schwülstige Erotik am Sockel.

Die Plastik von Lüpertz wirkt hingegen wie eine Karikatur auf Beethoven. Auch das ist legitim. Nicht nur Genies, selbst Götter dürfen verspottet werden. Je suis Charlie. Doch nach eigenen Aussagen wollte Lüpertz das nicht. Also ist das Werk nicht gelungen.

So weit, so schlecht. Aber nun dagegen Sturm zu laufen, ist doch ausgesprochen antiquiert. Die Plastik wurde privat finanziert, belastet nicht die öffentliche Hand. Man kann sie ignorieren, selbst wenn man häufig das Museum besucht. Was von vielen Protestlern gar nicht anzunehmen ist.

Wenn da ein anderer Leipziger Künstler und Galerist von „Abendlandsretter, Abteilung Kunst“ spricht, hat er völlig recht. Ich möchte keinem der Unterzeichner des Brandbriefes unterstellen, politische Anhänger von Legida und AfD zu sein. Doch der Duktus ist genau der gleiche, wie die Reden bei deren „Spaziergängen“. Es kommt nicht auf Meinungsaustausch an, lediglich Ressentiments werden bedient. Das wird ganz deutlich an den vorhersehbaren Kommentaren unter dem Artikel auf LVZ-online, der den Brief dokumentiert (leider schon gelöscht). Das abgedroschene Spießer-Klischee „Kunst kommt von Können“ ist da noch die harmloseste Variante. Andere Sauercrowds fordern in rudimentärem Deutsch ein Einschmelzen oder andere radikale Maßnahmen. Das wird man ja wohl mal tun dürfen, gelle? Tatsächlich bedient der Offene Brief genau jene seit einem reichlichen Jahr hervorsprudelnde Mentalität ungehemmter Aggression gegen alles, was gerade nicht in den Kram passt. Die Unterzeichner müssten eigentlich viel klüger sein als der Straßenmob, machen sich aber mit ihm gemein. Dennoch kultivieren sie ein Bild der Kunst, dass im vorvorigen Jahrhundert angesiedelt ist. Das Genie, der Könner steht über der Masse. Nur ihm steht es zu, Kunst zu schaffen und auch zu beurteilen. Lüpertz ist im gewissen Sinne Nachfolger von Joseph Beuys an der Düsseldorfer Akademie. Dieser hatte den Dilettantismus zur Kunstform erhoben. Noch eher, vor genau einem Jahrhundert, starteten Dada, Malewitsch und Duchamp ihre Revolutionen. Im Brief der Leipziger Empörer heißt es aber: „Dem Dilettantismus wird gestattet, Genies auf das ihm zugängliche Mittelmaß herabzusetzen.“ Willkommen bei den Präraffaeliten.

Schließlich ist dann noch von „der würdigen Stadt Leipzig, einer Stadt der Hochkultur“ die Rede. Hochkultur ist ein Begriff, bei dem ich das Würgen bekomme.

Warum tut sich ein Klub alter Männer (Frauen sind nicht dabei) das an, ihr eigenes Werk in Relationen zu befördern, die nur schädlich sein können?

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9 Antworten auf Öde an die Feinde

  1. Lieber Jens Kassner, danke für Deinen gelungenen Beitrag!

  2. Besonders gut gefällt mir der Lüpertz auch nicht. Aber irgendwie auch erfrischend anders. Die Kritik der lokalen Kulturschaffenden ist jedenfalls lediglich als die immer wieder zu beobachtende Krähwinkelei einzuordnen, als Neidheulerei weil wieder mal ein auswärtiger Kunstfürst den immer schon verkannten Lokalkünstlern vorgezogen wurde…..

  3. Raimund Stecker sagt:

    Lassen Sie uns doch einmal öffentlich diskutieren – gemeinsam, der Kulturdezernent, der Museumsdirektor, Befürworter und Gegner. Gerne komme ich dazu. Lassen Sie uns doch dann einmal fragen, was ein Denkmal heute kann, was eine öffentliche Skulptur? Was ist 2016 ein Porträt, was ein Sinnbild? Wie sah Beethoven aus? Höre ich sein Porträt, wenn ich seine Musik vernehme? Sehe ich seine Musik, wenn ich das Werk von Lüpertz höre? Welchen Beethoven setzte Klinger ins Bild, welchen Lüpertz? Und noch einmal: wie sah Beethoven aus? Schlug sich sein Komponistengenie in seinem Gesicht nieder? Sag er gut aus und fand so Anerkenner? Bestimmte die Musik sein Aussehen oder war sein Gesicht einer Maske gleich die Fassade, hinter der seine Musik geboren wurde……………? All‘ diesen Fragen gibt der „Beethoven“ Lüpertz‘ Antworten. Und das soll dilettantisch sein? Hier scheint mir sich rezeptive Begrenztheit hinter produktiver Unverstandenheit despektierlich zu verschanzen – aber bitte mehr dazu in einer öffentlichen Diskussion!!!

  4. Lieber Gregor, da hast Du recht. Kann das nur unterschreiben.

  5. Lüpertz ist ein genialer Maler. Deshalb ein so schlechter Bildhauer. Seine Skulpturen basieren auf der theoretischen Prämisse, so glaube ich, das “ Alles“ ,für ihn, Kunst ist.
    Er kann machen was er will, denn als ehemaliger Lehrer der Kunstakademie Düsseldorf ist ihm natürlich auch alles erlaubt. Die ihn kritisieren sind Spiesser oder haben sowie so keine Ahnung.
    Vielleicht sollte man ehrlich sagen, oder zugeben, das Marcus Lüpertz als Bildhauer einfach nur schlecht ist. Man kann eben nicht alles können. Er sollte bei seiner Staffelei bleiben. Denn die beherrscht er.

  6. Gischke sagt:

    Sehr geehrter Herr Kassner,

    für Ihren sorgfältig recherchierten Beitrag danke ich Ihnen. Auch mir ist die Schmähkritik an Stephan Balkenhol sehr unangenehm aufgefallen. Gut, dass Sie diese Peinlichkeit für die Leser der LVZ zutreffend eingeordnet haben.

    P. Gischke
    Wagner Denkmal e.V. Leipzig

  7. Pingback: kommentar zu 2,5 artikeln | Jens Kassner

  8. Lothar sagt:

    Ich habe Lüpertz vor 35 Jahren mit 15 scharf verurteilt, weil ich seine Kunst nicht begriffen habe. Heute ein unerfüllter Wunsch ein paar Jahre eine so wunderbare Skulptur besitzen zu können, um sie täglich ansehen zu dürfen. Leipzig darf stolz darauf sein, diese große Kunst zu haben. Der Glaspalast im Hintergrund ist Ödnis pur.

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