Höhen wie Tiefen

Warum ich nun ausgerechnet an einem frühsommerlich bewettertem Osterfeiertagswochenende über das Thema Hochkultur sinniere, mag mal mein persönliches Problem bleiben. Immerhein soll das Datum ja mit einer Auferstehung zu tun haben, also etwas nach oben weisendem.

Jedenfalls bemühe ich mich schon seit Wochen (nicht am Stück, aber immer wieder mal), diesen seltsamen Terminus zu umkreisen. Wo schaut man heutzutage nach, will man einen Begriff näher fassen – natürlich in der Wikipedia (seltsam, dass es noch keine Analogie zu „googeln“ gibt, aber „wikipedieren“ klingt wohl zu sperrig). Dort muss man zunächst mal die alten Hochkulturen ausschließen (sollte man das wirklich?). Und dann erfährt man, dass Hochkultur ein Gegenbegriff ist. Interessant, also nichts Positives oder für sich allein Stehendes. Genau mit dieser Abgrenzung zum Anderen fangen aber schon die existenziellen Probleme an. Eine Tief- oder Flachkultur mag es zwar tatsächlich geben, aber nicht als eingeführten Terminus. Also werden Alltagskultur, Massenkultur, Volkskultur und Populärkultur als Gegegenstücke angeführt. Schon das vertiefende Auseinandernehmen dieser vier Wörtchen ist eine Aufgabe für je ein Seminarreferat. Leider kriege ich aber schon seit 21 Jahren kein Stipendium mehr (so nannte sich früher mal das Bafög, musste aber nicht rückgezahlt werden). Darum werde ich heut nicht mit der Aufgabe fertig. Sowie scheint sie Sonne da draußen viel zu verlockend. So richtig populär, volkstümlich und massentauglich, aber nicht alltäglich – ha, da habe ich schon mal einen Unterschied ausmachen können! Doch sie scheint auch hoch. Verwirrend.

Eigentlich hat mich ja aber die Debatte um die Inthronisierung des neuen Leipziger Kulturdezerneneten zu der ganzen verzwickten Nachdenkerei veranlasst. Und da ist nun immer wieder mal der angebliche Gegensatz Hochkultur vs. Freie Szene zu vernehmen. Also sind kommunale Institutionen high, alle „freien“ low? Will heißen: Wird in der Muko eine Strauß-Operette zelebriert, ist es Hochkultur. Spielt im Werk II Laibach, ist das alltäglich, massentauglich, volkstümlich und populistisch.

Ach diese Sonne. Ich lasse das Grübeln für heute sein. Fortsetzung folgt garantiert.

(Hier ist eine: http://www.jens-kassner.de/kulturpolitik/tiefergelegt/ und hier die andere: http://www.jens-kassner.de/neues/wieder-high/)

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14 Antworten auf Höhen wie Tiefen

  1. udo-neiße sagt:

    ich würde sagen, es gibt vier niveaus in der kultur, die sich aber nicht in der höhe sondern in der fläche unterscheiden: hochkultur, gewaber, underground, richtiger underground.
    was höhen- und tiefenwirkungen angeht, können alle vier brillieren oder auch bitter versagen. was publikumzahlen angeht ebenfalls, jedoch mit auffälligen vorteilen bei „gewaber“…

  2. xover sagt:

    Ist es nicht paradoxerweise so, dass der Begriff „freie Szene“ eigentlich das Gebiet der Hochkultur bezeichnet, in der die Kunst oder was der Kurator/Kritiker/Kulturfunktionär dafür hält sich frei von existenziellen Geldsorgen und ohne damit verbundenes Schielenmüssen auf Publikumszahlen in Szene setzen kann? Seltsamer Gedanke, der…

  3. admin sagt:

    @udo-neiße: Interessante These. Seltsamerweise kann ich mir unter dem unscharf erscheinenden Begriff Gewaber am meisten vorstellen, was gemeint ist. Bei den drei anderen muss wohl noch etwas feinjustiert werden. Als Abschluss der Debatte kann ich das also noch nicht anerkennen.

    @xover: Schön wäre es ja – frei von existenziellen Geldsorgen! Aber in der Freien Szene tätig zu sein bedeutet eben häufig leider, auch weitgehend frei von Einkommen zu sein. Ob da das bedingungslose Grundeinkommen, über das gerade heftig diskutiert wird, tatsächlich die Lösung ist, weiß ich nicht so richtig. Klingt aber verlockend.

  4. xover sagt:

    Paradoxien haben es in sich…was ich meinte, ist dies: das, was in LE als „Hochkultur“ gelabelt ist, verdient eigentlich den Ausdruck „freie Szene“. Dieser Begriff ist für das, was in LE als „Freie Szene“ gelabelt ist, ein Euphemismus. Der Kampf der Kulturen beginnt mit Begriffen und findet sich in diesen wieder.
    PS: Meine Definition: Der Begriff „Hochkultur“ ist ein ideologischer Kampfbegriff des Bürgertums aus denjenigen vergangenen Zeiten, als es darum ging, die Kunst aus klerikaler Deutungsmacht zu emanzipieren, um sie anschließend in den Dienst der eigenen Sache zu stellen. Daran hat sich bis heute nichts geändert, nur dass der Begriff „Hochkultur“ zu einer reaktionären Worthülse verkommen ist, mit der sich auf Spatzen trefflich schießen lässt. Die „Academixer“ hatten zu DDR-Zeiten ein Motto „Kultur ist keine Kunst“. An dieser Wahrheit hat sich bis heute nichts geändert, d.h. im Klartext: man kann Kunst als „Hochkultur“ verkaufen, ohne dass sie´s ist. Ein früher Trick des Marketing, als es dieses noch garnicht gab…

  5. udo-neiße sagt:

    ja, richtig. niveau nr.3 „underground“ benötigt noch ein merkmal, wenngleich das abwesende adjektiv im kontext zu „richtigem underground“ durchaus ein sprechendes ist…

  6. admin sagt:

    @udo-neiße: kleine gehässige Nebenfrage: Wo würdest du denn dein eigenes künstlerisches Schaffen einordnen? Liege ich richtig, dass es sich um Kategorie 4 handelt?

  7. xover sagt:

    Ich gehe mal ein auf dem im Folgeartiel erwähnten Wiki-Satz: Historisch gesehen ist Hochkultur stets die Kultur der führenden Gesellschaftsschicht gewesen, also des Adels.“
    Das stimmt so nicht!
    „Hochkultur“ heißt Deutungsmacht derjenigen, die den Begriff erfunden haben. Also das Bürgertum. Dies hat denn auch rückwirkend definiert, was unter diesem Begriff zu verstehen ist.
    So wird ein Schuh draus!
    Vor der (Um-)Definition des Kulturbegriffs durch das Bürgertum hatte der Kulturbegriff einen anderen inneren Sinn, nämlich von „cultivare“ kommend ein Verfeinern der Sitten meinend. Damit ein Moralbegriff, der auch auf die Kunst angewendet wurde. Kultur war somit kein ideologischer bzw. Welt deutender Begriff ,wie wir ihn heute verwenden.
    …ma sag´n…

  8. udo-neiße sagt:

    zu kommentar 6: gewaber mit herausstehenden blüten und dornen

  9. udo-neiße sagt:

    – finde begriffsklärungen von xover sehr interessant

    – als publikum mag ich einfach ergreifende Bücher, Schriften, Bilder, Fotos, Musiken, die ich gerade mit dem gesamten körper aufnehme und viel später erst ins gedankengefängnis klemme, versuche tür auf zu lassen…

    – zu welcher sparte, einkommensklasse, kaste das dann gehört is mir ziemlich (mit tendenz zu völlig) wurscht

  10. xover sagt:

    @udo-neiße: Danke für die Blumen!
    Aus der Sicht des Nutzers (Publikum) wird die Betrachtung von „Hochkultur“ noch spannender. Denn hier gibt es auch im Bereich des Populären so etwas wie das Hohe, das Anspruchsvolle. Ich denke hier nur an die „Klassiker“ des Pop und an die intellektuellen „Bewahrer“ und Deuter dieses Bereiches, die auch an scheinbar abwegigen Stellen das Schild „Hochkultur“ aufstellen. Um nur mal einen Namen zu nennen: Diederich Diederichsen. Weitere spannende Auseinandersetzungen und Positionierungen zu diesem Thema auf der angegebenen Homepage. Wochenende heißt ja auch: Zeit zum Lesen…

  11. admin sagt:

    Mit dieser Deutung kann ich mich gut anfreunden, „hoch“ eben im Sinne von Qualität, nicht wegen der Zuordnung zu einer Untersparte oder gar der institutionellen Verortung. Leider wird es in der (Förder-)Politik so aber nicht verstanden.
    Nochmal zum Bürgerlichen etc.: Wahrscheinlich ist der Kulturbegriff im heutigen Sinne erst mit dem Aufstieg des Bürgertums verbreitet worden und damit eben auch „Hochkultur“. Was mich aber brennend interessiert, ist, ob die maßgeblichen Kulturpolitiker in Stadt, Land, Bund dieser Frage Kultur + Machtausübung eigentlich bewusst sind, oder ob sich diese Mechanismen schon so eingeschliffen haben, dass es aus dem Bauch heraus funktioniert

  12. xover sagt:

    Ich frag mal: die „maßgeblichen“ – wer sind die? Wenn es Namensvorschläge gibt, frage ich gern mal nach…
    Das mit der Qualität ist nun auch wieder nicht so recht das, was ich meinte: denn wenn der Hörer/Seher/Nutzer die Qualität festlegt, wie kommt dann dieses Urteil auf die (kulturelle) Ebene, dass sich auch andere daran orientieren können/wollen/müssen? Und was, wenn die „Macht“ vom Publikum ausgeht, ist dann diese noch wert? Wer macht das Kulturelle zur Macht?
    Je näher man kommt, umso fraglicher wird det Janze (bin gerade in Berlin, deswegen muss ein wenig Dialekt erlaubt sein).

  13. admin sagt:

    Na zunächst mal alle in entsprechenden Positionen vom Kulturstaatsminister bis zu den Kulturdezerneneten der großen Städte (kleinere haben so was ja nicht, auch Chemnitz leistet sich kein Kulturdezernat).
    Ich bin gerade dabei, zum Thema einen etwas längeren Aufsatz zu schreiben, dauert aber wegen anderer Tagesgeschäfte noch etwas mit der veröffentlichung.

  14. xover sagt:

    na, da bin ich ja gespannt, den aufsatz bald zu lesen. morgen legt leipzigs kultur trauerflor an – so oder so…

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