Eine endlich erlaubte Frage

Am 14. September veröffentlichte das Renk-Magazin eine „Öffentliche Stellungnahme“ zu der einen Monat zuvor begonnenen Kontroverse zwischen den Schriftstellern Max Czollek und Maxim Biller. 278 Intellektuelle unterschrieben die Stellungnahme. Wer sie initiiert und verfasst hat, wer angefragt wurde wegen einer Unterschrift, weiß ich nicht. Manche der Unterzeichner kenne ich persönlich, andere schätze ich als Autorinnen und Autoren. Ich hätte nicht unterschrieben.

Es begann mit einem Twitter-Beitrag Czolleks, in der er sich über innerjüdische Diskriminierung beschwert. Biller schrieb daraufhin in seiner Zeit-Kolumne über eine persönliche Begegnung mit Czollek vor Jahren, in dem er ihm gesagt habe, dass ein Mensch mit einem jüdischen Großvater nicht als Jude gelten könne. Seitdem ist die Auseinandersetzung Thema fast aller überregionalen deutschsprachigen Medien und mit der „Stellungnahme“ noch lange nicht beendet. Darin heißt es: „Wir sind zutiefst bestürzt über die Niveau- und Respektlosigkeit einer Diskussion, in deren Kommentarspalten auch nichtjüdische, mehrheitsdeutsche Stimmen einem Menschen, dessen Großvater die Shoah überlebt hat, seine jüdische Identität absprechen. Wir erkennen das urplötzliche Interesse und die ungehemmte Schadenfreude von konservativen Medien an einem innerjüdischen Konflikt, in dem immer häufiger unliebsamen Stimmen das Jüdischsein abgesprochen wird, als das, was es ist: ein Vorwand, um einen engagierten Befürworter einer pluralistischen Gesellschaft zu diskreditieren.“

Auf einer Seite steht der extrem arrogante und zynische Biller, der schon fundierte Literaturkritik an seinen Romanen als antisemitisch bezeichnet, und der offensichtlich eine tiefsitzende Abneigung gegen Linke hat. Er betrachtet sich selbst als den einzigen jüdischen Schriftsteller deutscher Sprache außer Robert Menasse. Da Menasse Österreicher ist, muss der eitle Fatzke wohl der einzige deutsch-jüdische Autor sein. Auf der anderen Seite der eloquente, weltoffene, humorbegabte Czollek, politisch im linken Spektrum angesiedelt. Emotional wäre die Entscheidung für mich also ganz klar gewesen. Warum aber hätte ich nicht unterschrieben?

Seit Jahren beschäftige ich mich mit der sogenannten Identitätspolitik, mit Rassismus und Antisemitismus. Dabei bin ich in den sogenannten Sozialen Medien schon mehrfach geblockt worden, weil ich einfach nur gefragt habe, was der jeweilige User unter den Begriffen Jude oder jüdisch genau versteht. Dazu gehört Jutta Ditfurth, obwohl ich bei ihrem Account nie etwas kommentiert habe. Schon die Frage gilt bei dogmatischen linken Identitären als antisemitisch. Nun aber hat die Jüdische Allgemeine am 28. August eine ganze Seite mit mehreren Artikeln überschrieben: „Wer ist jüdisch?“ Ist das Blatt plötzlich antisemitisch eingestellt? Es kommen verschiedene, widersprüchliche Meinungen. Autoritäten wie Rabbiner Arie Folger betonen aber die Gültigkeit der zweitausend Jahre alten Halacha: Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat oder konvertiert. Czollek mit seinem jüdischen Großvater ist damit eindeutig raus. Das hat auch Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, bestätigt. Die Gültigkeit des während der römischen Besatzung entstandenen Gesetzes, als viele Mischlinge gezeugt wurden und kein Vaterschaftsnachweis möglich war, hat auch bei allem Anachronismus offiziell im 21. Jahrhundert Bestand.

Auf Twitter habe ich Czollek gefragt, warum es ihm, der offenbar säkular ist und kaum an jüdischen Traditionen teilnimmt, so wichtig ist, als Jude zu gelten. Keine Antwort von ihm, nur von seiner Tante Leah Carola Czollek. Die Zugehörigkeit zum Judentum schaffe ein gutes Gefühl. Als ich antwortete, dass ich mit Tümelei wenig anfangen kann, wurde ich sofort geblockt. Auch eine Antwort.

Deborah Antmann schreibt am 10. September im Missy Magazine über ihr offiziell nicht gültiges Jüdischsein, dass ihr erzwungenes Herausgeworfensein aus jüdischer Tradition darin bestand, mit Schweineschinken konfrontiert zu werden. Das war es? Dann haben vegetarische und vegane Jüdinnen und Juden gar kein Problem. Ob das mit koscherer Küche überhaupt vereinbar ist, weiß ich nicht.

Ich habe mir etwa 20 mehr oder weniger umfangreiche Beiträge zu dieser Auseinandersetzung der letzten zwei Monate durchgelesen. Dabei wird deutlich (was ich schon lange wissen wollte): Judentum wird primär durch die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinde definiert. Kann es dann überhaupt säkulare Juden geben? Bei matrilinearer Abstammung ist das offenbar möglich, man wird ja ungefragt hineingeboren. Das Beklemmende an dieser Diskussion ist aber, dass die Befürworter einer liberalen Definition quasi die Sichtweise der faschistischen und mörderischen Nürnberger Gesetze übernehmen.

Vorstellungen zur Frage, was Max Czollek und andere Menschen, die per Halacha nicht als Juden gelten, dazu treibt, trotzdem auf dieser Identität zu bestehen, schreib ich hier lieber nicht nieder. Nur so viel: Mir ist unverständlich, warum Identität gerade in Ostdeutschland, wo die große Mehrheit keiner Religionsgemeinschaft angehört, unbedingt mit Religion verknüpft sein soll. Das habe ich schon vor einem Jahr in meiner Rezension von Czolleks Buch „Gegenwartsbewältigung“ ausgedrückt.

Was geht mich diese ganze Debatte eigentlich an? Tatsächlich gibt es in diversen Äußerungen die Haltung, Nichtjuden sollten sich da grundsätzlich raushalten. Das ist zunächst ein Widerspruch in sich. Czollek wie andere patrilineare „Faschingsjuden“ (Biller) sind damit aus der Debatte genauso ausgeschlossen wie sämtliche Gojim. Die autoritäre Orthodoxie hat also gesiegt und verhängt Redeverbote. Das ist verfasssungswidrig.

Dennoch könnte ich ja sagen, dass mich das alles nicht berührt. Als Privatperson kann ich das. Aber ich habe einen Job, der sich Journalist nennt. Nach Jahrzehnten der Freiberuflichkeit seit paar Monaten sogar mit Arbeitsvertrag. Dabei bin ich immer wieder mit Veranstaltungen jüdischen Lebens beschäftigt. So auch in dieser Woche bei den Tagen der jüdischen Kultur in Chemnitz. Da ist es dann unmöglich, die Frage „Wer ist Jude“ zu ignorieren. Fast alle heutigen Angehörigen der Jüdischen Gemeinde Chemnitz sind sogenannte Kontingentflüchtlinge aus Staaten der früheren Sowjetunion. Bis 2005 wurde dabei die von Stalin eingeführte Bestimmung der „Nationalität“ im Personalausweis anerkannt, wenn dort stand „Jüdisch“. Diese war aber patrilinear, widerspricht also der Halacha. Darf ich also als Journalist fragen, wie viele Angehörige der Jüdischen Gemeinde Chemnitz nach Meinung von Schuster und Folger tatsächlich Juden sind, wie viele nicht? Das darf ich nicht nur, ich muss im Sinne des Objektivitätsgebotes für seriösen Journalismus danach fragen. Dass ich das nun darf, ohne als antisemitisch zu gelten, dafür muss ich dem Unsympath Biller dankbar sein. Der nette Czollek und seine Fans haben dazu leider nichts beigetragen.

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