Vor- und Rückwurf

Die Begriffe Nazi und Faschist erleben gerade eine Konjunktur, die noch vor Kurzem schwer vorzustellen war. Russland stellt die ukrainische Regierung als faschistische Junta dar, während im eigenen Land Rechtsradikale immer stärker werden. An den Fronten der Ostukraine kämpfen auf beiden Seiten echte Neofaschisten.

Doch auch hier sind mit den X-Gida-Demos solche Bezeichnungen wieder hoch im Kurs. Läuft Legida auf dem Augustusplatz auf, hört man von der Gegenseite „Nazis raus!“. Und die Leginellen rufen das Gleiche, meinen damit aber nicht die NPDler oder Hools in den eigenen Reihen, sondern ihre Gegner.

Konsens ist, abgesehen von straffen Neo-Nationalsozialisten wie dem NSU-Trio, dass Nazi und Fascho immer noch stigmatisierende Schimpfworte sind. Doch schon im Alltagsgebrauch hat sich eine Verharmlosung breitgemacht. Der zu laute Nachbar wird ebenso als Nazi beschimpft wie der Falschparker oder der rücksichtslose Fahrradfahrer.

Diese gedankenlose Pluralisierung wird begleitet von seriösen, aber nicht hilfreichen Begriffsverwirrungen. Bezeichnend dafür ist Hamed Abdel-Samads Buch „Der islamische Faschismus“. Regime in arabischen Ländern oder Gruppen wie den IS zu brandmarken, ist durchaus nötig. Doch der Begriff Faschismus wird historisch für Diktaturen des 20. Jahrhunderts gebraucht, welche Interessen der großen Kapitals umsetzten. Saudi-Arabien oder Katar aber sind nur dem oberflächlichen Schein nach in der Moderne angekommen, der IS will dies trotz gezielter Nutzung der digitalen Medien gar nicht.

In der Annahme, dass sogenannte Neue Rechte, also die sich intellektuell gebende Sparte der Rechtsradikalen, sich ernsthaft mit solchen Begriffen auseinandersetzen sollten, bestellte ich mir bei der Blauen Narzisse die Publikation „Nazi-Vorwurf“ mit dem Untertitel „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“ Mit den Jungs von BN habe ich mich ja schon mehrfach beschäftigt, bin auch von ihnen angezeigt worden. Ob sie etwas verwirrt waren, dass ich da direkt mit vollem Namen und Adresse etwas bei ihnen bestelle, weiß ich nicht. Jedenfalls kriege sich seitdem ungefragt Mails mit Werbung für neue Hervorbringungen. Das mag ein Automatismus sein, sollte meine Bestellung als verständnisvolles Entgegenkommen verstanden worden sein, ist das natürlich ein grober Irrtum ihrerseits.

Anfang März traf das babyblaue Heft ein. Und da bemerkte ich den Irrtum meinerseits. Ich hatte tatsächlich erwartet, dass diese straffrechten Vordenker sich mit der Geschichte des Begriffs Nazi auseinandersetzen, vielleicht die tatsächlich vorhandenen Unterschiede zwischen NS-Deutschland, Mussolinis Italien und anderen Regimen in Spanien, Portugal und südosteuropäischen Ländern herausarbeiten, um für sich selbst eine Einordnung jenseits von Klischees zu finden.

Stattdessen ist die Hälfte der hundert Seiten persönlichen Auslassungen von drei Hauptautoren der BN vorbehalten, um darzustellen, wie sie zu Nazis Patrioten wurden. Nichts Aufregendes, keine sonderlich traumatischen Kindheiten oder andere entschuldigende Umstände. Bei dem einen Autor kenne ich die Eltern – sehr sympathische Leute. Und auch seine Schwester steht eher auf einem anderen politischen Standpunkt. Simpel psychologisierende Erklärungsversuche müssen da also fehl gehen.

Offene Neigungen zum deutschen Nationalsozialismus lassen sich, zumindest aus den Beiträgen dieses Heftes, nicht herauslesen. Stattdessen eine Berufung auf die Romantik des frühen 19. Jahrhunderts, was ja schon im Namen Blaue Narzisse anklingt. Und auf die Burschenschaften als vermeintliche Pioniere des deutschen Nationalstaates. Das revolutionäre erste Parlament in der Paulskirche spielt hingegen keine Rolle. Dieses Romantisieren beruht auf der Vorstellung Nazi = böse, Patriot = gut. Abgesehen davon, dass das historische Anliegen der Patrioten des frühen 19. Jahrhunderts lange erfüllt ist – die nationalstaatliche Einigung –, kann man bei genauerer Betrachtung bei diesen Helden Keime dessen finden, was auch heutige Rechtsradikale durchweg auszeichnet – der Haß auf alles Fremde. Der Dresdener Autor Michael Bittner schrieb in seinem Artikel „Stunde der Patridioten“ in Bezug auf die Völkerschlacht: „Eine ganze Legion von Schriftstellern überschwemmte, bezahlt mit Geld aus England, die deutschen Länder mit Pamphleten und patriotischen Gedichten. Vorneweg der Dresdner Theodor Körner, ein so talentarmer wie lebensmüder junger Dummkopf, der viele so schöne Verse dichtete wie die in seinem Lied von der Rache:

[…]

Sühnt Blut mit Blut! – Was Waffen trägt, schlagt nieder!

s ist alles Schurkenbrut!

Denkt unsres Schwurs, denkt der verrat’nen Brüder

Und sauft euch satt in Blut!

[…]

Gott ist mit uns! – Der Hölle Nebel weichen,

Hinauf, du Stern, hinauf!

Wir türmen dir die Hügel ihrer Leichen

Zur Pyramide auf!

Dann brennt sie an, – und streut es in die Lüfte,

Was nicht die Flamme fraß,

Damit kein Grab das deutsche Land vergifte

Mit überrhein’schem Aas!

Mit Liedern wie diesem auf den Lippen zogen die deutschen Studenten gegen den Erbfeind in die Schlacht, dort starben und töteten sie für ihre Herrscher. Als sich die gefeierten Befreier nachher doch nur als Untertanen wiederfanden, da war der Katzenjammer groß. So kommt es immer, wenn Menschen sich zu Patridioten machen lassen.“

Die BN-Autoren machen sich nun nicht erst die Mühe, herauszuarbeiten, worin denn die Steigerungsform dieses ohnehin schon dumpfen Hasses im NS-Regime bestanden haben könnte. Sie umgehen solch ein Thema einfach. Während das bei Felix Menzel, Johannes Schüller und Carlo Clemens cleveres Kalkül sein kann, wird im Beitrag von André Rebenow bloße Unbedarftheit sichtbar. Er hat sich das deutsche Volkslied, oder was er darunter versteht, zum Thema gewählt. Nicht die wirklichen anonymen, häufig von fahrenden Handwerkern geschaffenen Volkslieder mit ihren sozialkritischen oder drastisch erotischen Inhalten sind es, sondern Schöpfungen Joseph von Eichendorffs, Clemens Brentanos oder Novalis´, und er fragt naiv: „Warum pflegt man dieses Kulturgut nicht mehr?“ Die Frage ist schon mal Blödsinn, denn dieses Erbe wird durchaus gepflegt, vor allem aber scheint Rebenow nicht mitbekommen zu haben, dass es in den Siebzigern bis Achtzigern in Ost und West eine richtige Renaissance des echten Volksliedes gab, die in Nachschwingungen immer noch spürbar ist. Bei ihm liest sich das so: „In den 70er-Jahren und danach konnte man noch einmal ein Anwachsen des Schaffens von Liedermachern beobachten. Diese waren meistens links angehaucht wie Hannes Wader (DKP-Mitglied). Wolf Biermann mag als DDR-Kritiker eine Ausnahme gewesen sein.“ Das einzig Wahre daran ist, dass tatsächlich damals wie heute viele Liedermacher links waren und sind, aber auch die Folk-Bands und Sänger. Rebenow sollte einfach mal am ersten Juliwochenende nach Rudolstadt fahren und dies bei seinen BN-Kumpels als Weiterbildungsmaßnahme abrechnen. Was aber hat das nun eigentlich mit dem Nazi-Vorwurf zu tun? Nicht viel. Der Autor glaubt wohl in seiner rudimentären Welterfahrung, dass heute jeder, der Volkslieder singt, als Nazi diffamiert wird. Wie doof.

Mit dem vorletzten Artikel stellt sich diese Frage dann endlich nicht mehr. Gereon Breuer, skandalumflorter Ex-Funktionär von Pro Köln, kommt endlich zur Sache. Schon die Überschrift seines Artikels heißt „Hitler war links“. Schon vor einigen Jahren versuchte die damalige Obervertriebene Erika Steinbach, mit einem Twitter-Posting eine neue Karriere als Comedian zu starten. Der Name Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei sage ja schon aus, dass Hitler und seine Kumpels eigentlich Marxisten waren. Etwas anders gelagert ist Breuers Argumentation, aber ebenso ungewollt humorvoll. Für ihn gibt es ausschließlich linke Parteien, rechte könne es gar nicht geben. „Parteien sind schließlich die Folge der Selbstermächtigung des Dritten Standes während der Französischen Revolution, die sich eindeutig gegen rechts, nämlich gegen den französischen König und den Adel richtete.“ Dass die Attribute links und rechts im politischen Sinne erst mit jener Revolution und der Sitzanordnung im ersten französischen Parlament entstanden sind, weiß Breuer ebenso wenig wie die Tatsache, dass es schon vorher Parteien gab. Oder was waren die Torries und Whigs in England bzw. die Guelfen und Ghibellinen in Italien? In Elsässerschem Sinne war laut Breuer der Sturz des deutschen Kaisers 1918 von den USA gesteuert. Auch das ist eine ganz neue historische Erkenntnis mit Humor-Faktor. Der Stauffenberg-Putsch für ihn der letzte Versuch in Deutschland, die Adelsmacht wiederherzustellen. „Wenn es nun per se keine rechten Parteien geben kann, dann ist der Nazi-Vorwurf ebenso unberechtigt. Schließlich verstanden sich die Nazis eindeutig als Gegner der Rechten.“ Intensiver muss man sich mit diesem Hanswurst Gereon Breuer wohl nicht beschäftigen.

Interessant wird es dann endlich im letzten Beitrag des Heftchens. Philip Stein hat ihn mit „Statt einer Distanzierungsorgie“ überschrieben. Der Text ist vor den Pegida-Demos geschrieben worden. Stein kritisiert sowohl Identitäre Bewegung (die jetzt offenbar ganz in der Versenkung verschwunden ist) als auch AFD dafür, dass sie sich zu stark vom Schmuddel-Image des Rechts-Seins abgrenzen wollen. „Denn wer sich distanziert, der verortet sich nicht selbst, sondern wird zum Opfer in einem berechenbaren Kreislauf.“ Stein beruft sich auf einen Fragebogen der Friedrich-Ebert-Stiftung, der überall kostenfrei ausliege, den er nun angeblich zitiert und auch gleich Antworten hinzufügt: „Sind sie stolz auf die Leistungen Ihrer Vorfahren. Sind Sie stolz auf Deutschland? Bei ja, verdächtig. Bei nein, es fehlen nur noch acht richtige Antworten.“ Die FES führt ja tatsächlich alle zwei Jahre Erhebungen zu rechtsextremen Einstellungen durch. Nur finden sich dort nicht die von Stein vorgegebenen plumpen Fragen, exakte Quellenangaben sind in Publikationen der BN ohnehin nicht üblich. Wen will er hier verarschen? Seine eigenen Kumpane sind doch eh der Meinung, dass ein echter Rebell der Jetztzeit sich dazu bekennt, rechts(radikal) zu sein. Und die wenigen Anderen, die Schriften der Blauen Narzisse lesen, so wie ich, sind intelligent genug, sich nicht auf den Täuschungsversuch einzulassen. Stein gerät dann noch in Widerspruch zu Breuer, indem er von Parteigründungen von rechts spricht. Die kann es doch gar nicht geben! Für ihn schon. Was Philip Stein dann aber als Agenda für nichtdistanzierende rechte Bewegungen oder Parteien notiert, klingt sehr bekannt, findet sich vor allem in Programmen traditionell eher links eingeordneter Organisationen: „Die deutsche Rechte muß dabei vor allem damit beginnen, Gebiete zurückzuerobern, die ihr ursprünglich gehörten. Besonders die Themen Naturschutz, Ernährung, Umwelt, Kunst und Musik sowie Globalisierungs- und Wirtschaftskritik müssen wieder Themen werden, die von den Rechten maßgeblich besetzt werden.“ Mit solch einer Programmatik läuft man tatsächlich nicht Gefahr, als Nazi bezeichnet zu werden. Wozu dann distanzieren oder auch nicht?

Zum eigentlichen Thema gibt das ganze Heft also keinerlei Argumente. Auf dem Rücktitel, auch im Text selbst, findet man ein Zitat von Harald Martenstein, einem Autor der sogenannten Lügenpresse: „Immer wenn ich Nazivergleiche lese, denke ich: Da sind jemandem die Argumente ausgegangen.“ Darauf berufen sich Menzel & Co gern. Martenstein ist Kolumnist, die Zuspitzung ist sein Job. Er hat völlig Recht bezüglich des verharmlosenden Alltagsgebrauchs. Wer am Sonntag früh um acht Löcher in die Wand bohrt ist entgegen der Meinung seiner Nachbarn kein Nazi, höchstens ein Arschloch. Und auch Christian Kracht ist keiner. Wirkliche Rechtsradikale, dazu gehören die Autoren von Blaue Narzisse, Sezession und pi-news, darf man aber ruhig so bezeichnen. Da helfen keine verbalen Verrenkungen ihrerseits.

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2 Antworten auf Vor- und Rückwurf

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