Totale Macke

E wird Zeit für einen Grundsatzartikel zum Thema Totalitarismus. Ja – jene Gesellschaftsform, in der Alles, auch das Privateste, einer herrschenden Idee unterworfen wird. Die tobt gegenwärtig in reinster Ausprägung. Es ist einfach unmöglich, sich dem Fußball als allumfassender Leitkultur zu entziehen. Egal, welchen Fernsehsender man wählt – Fußball. Sogar der Kultursender arte überträgt ungekürzt Spiele früherer WMs. Das Gleiche setzt sich in den Printmedien fort. Auch eine Wochenzeitung wie Freitag, ansonsten als linksalternativ bekannt, stellt besorgt die Frage der Woche, ob die deutsche Elf richtig zusammengesetzt sei. Die Werbung muss logischerweise auch völlig gleichgeschaltet daherkommen. Soll ein BH verkauft werden, sind eben Bälle drin, Bier wird bei kastenweisem Genuss zum besten Fitmacher, Autos sind in erster Linie dafür da, dass Spielerfrauen ihre Kinder zum Training kutschieren. Auch der totale Medienverzicht hilft nicht. Kollegen, Freunde, Bekannte reden nur über eines, auch wenn sie ansonsten die Fähigkeit zum kritischen Denken durchaus schon bewiesen haben. Und als ich gestern in der Villa des Deutschen Literaturinstitus stolperte, um da etwas Werbung für ein Literaturfestival abzuladen, kam ich ins abgedunkelte Foyer, wo auf einem Riesenbildschirm das Eröffnungsspiel der WM lief. Klar, die Jungliteraten müssen ja irgendwoher einen Einblick ins reale Leben kriegen.

Der staatlich subventionierte Fußball-Terror geht gewaltig auf den Sack, und doch scheint er im Unterschied zu anderen Totalitarismen nur selten Widerstandsaktionen zu erzeugen. Das ist erstaunlich. Es gibt doch mindestens drei Gründe, für einigermaßen vernunftbegabte Menschen, hier zum Guerillero zu werden:

1. Das ist Turbokapitalismus in Reinstkultur. Die Profitraten sind gigantisch, Hedgefonds sind gemeinnützige Vereine im Vergleich zum Profifußball. Wo sonst werden Menschen für derart gigantische Summen verkauft? Ganz zu schweigen von der Vermarktung jeglichen Tinnefs rund um diesen ganzen Scheiß.

2. Der Nationalismus feiert fröhliche Auferstehung. Für Deuutschlaaaand!!! laufen solche Super-Germanen wie Cacau, Boateng, Aogo oder Gomez auf den Platz. Macht nichts. Diese sogenannten Nationalmannschaften sind der tribbelnde Beweis dafür, dass sich die Nationalstaaten in fortgeschrittener Auflösung befinden.

3. Das Macho-Gehabe ist extremistisch. Ist irgend wer grölend durch die Straßen gelaufen, als die Fußball-Frauen zum wiederholten Male den WM-Titel in die Bundesrepublik Deutschland geholt haben? Und wehe, einer unserer Jungs da in Südafrika wird als schwul geoutet! Das wär ja katastrophal.

Ich glaube, es ist Zeit, wenigstens Buttersäure in den Fan-Meilen zu verspritzen. Genau so riechen die Idioten da zwar sowieso, aber es wird noch nicht ganz deutlich.

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4 Antworten auf Totale Macke

  1. udo-neisse sagt:

    aber 24h am tag kritisch denken, hab ich auch keine lust, zugegeben england-usa war nicht dolle, argentinien spielte aber durchaus einen feinen ball… bald spielen sich der kleine philip lahm und der kleine marco marin (gebürtiger bosnier) in unsere herzen!… lese gerade ulrike herrmann über den selbstbetrug der mittelschicht… ziemlich kritisch

  2. admin sagt:

    meines Wissens gibt es diverse Möglichkeiten, sich vom kritischen Denken zu entspannen: Musik hören oder machen, Bücher lesen, Sex haben (ersatzweise Pornos gucken), spazieren, Baden gehen, Bachfest auf dem Augustusplatz ansehn (Public Viewing!), essen, saufen …..
    Warum so einfallslos?

  3. soccer-neisse sagt:

    porno beim public dingsbums, einfallsreich???
    nee, fußball ist manchmal einfach schön…

  4. admin sagt:

    Sicherlich ist in Neusorge die Auswahl an Alternativen wirklich eingeschränkt, vermutlich ist sogar die nächste Videothek erst in Görlitz zu finden. Einen Vorteil könnte das allerdings haben: die Zahl der Tröten-Virtuosen ist wohl auch kleiner und die meisten sind ab 22 Uhr so besoffen, dass sie gar nichts mehr blasen können. In der Großstadt ist das leider anders, d.h. trotz Sommerwetter bei geschlossenem Fenster schlafen müssen.

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