Seltsame Koalitionen

Wie kann man jemanden im politischen Koordinatensystem verorten, der die unbedingte Unterstützung einer Regierung einfordert, die aus einer Koalition von Rechtskonservativen, Rechtsradikalen und religiösen Eiferern besteht? Der zudem eine religiöse Minderheit in Schutz nimmt, deren Ideologie mit den Pius-Brüdern vergleichbar ist? Und der politisch-moralische Wertungen an die Zugehörigkeit zu einer wie auch immer definierten Ethnie knüpft? Nach heutigen europäischen Gepflogenheiten würde man dann sagen, dass solch ein Mensch offenbar zum rechten Rand gehört. Anders sieht die Sache offenbar aus, wenn es sich beim Streitobjekt um Israel handelt.

Sie halten Sarrazin für einen Rassisten (was ich auch tue). Sie halten jemanden für bescheuert, der Deutsche so definiert, dass es alle direkten Abkömmlinge Armin des Cheruskers seien. Und sie glauben nicht an Gebietsansprüche von Volksgruppen, die irgendwo vor hundert, fünfhundert, tausend oder auch zweitausend Jahren gelebt haben. Doch sie werden genau dann zu entschiedenen oder gar verbissenen Verteidigern ähnlicher Einstellungen, wenn es sich eben um Menschen handelt, die sich selbst als Juden verstehen oder von Amts wegen als solche bezeichnet werden.

Bei der Debatte um Antisemitismus, die Anfang Januar hochkochte, als das kalifornische Simon Wiesenthal Center seine diesjährige Schwarze Liste veröffentlichte, waren es gerade Leute, die sich selbst als Linke verstehen, welche so oben wie beschrieben argumentierten. Die Verteidigung dieser Liste, bzw. der Platzierung des Freitag-Herausgebers Jakob Augstein auf Platz 9, lief dann immer wieder auf das Gleiche hinaus: Selbstverständlich dürfe man israelische Politik kritisieren, aber, ganz großes Aber: Nur nach den Regeln, die wir selbst aufstellen! Ansonsten ist es zweifelsfrei Antisemitismus. Dass diese Regeln bei den verschiedenen Exorzisten unterschiedlich ausfallen, spielt dann erst einmal keine große Rolle. Im Endeffekt ist sowieso das Ziel, dass man sich der Kritik ganz enthält, zumindest wenn man im Personaldokument den Vermerk „deutsch“ stehen hat. Da reicht es schon, wenn ein politischer Journalist sich mehrfach mit der Nahostfrage beschäftigt, um eine Obsession zu diagnostizieren. Und einfach nur von Israel darf man auch nicht sprechen, weil man damit nicht etwa die Regierung meine, sondern zwangsläufig alle Juden weltweit (nicht etwa alle Israelis, zu denen ja auch Araber gehören).

Wie durchsichtig die Behauptung einer eingeschränkt erlaubten Israel-Kritik ist, zeigt ein Blick auf die Liste des SWC. Außer Mursi oder Achmadinedschad, an deren Antisemitismus kein vernünftig denkender Mensch Zweifel haben kann, findet sich da auf dem Treppchenplatz 3 der brasilianische Cartoonist Carlos Latuff. Er hat nach den militärischen Auseinandersetzungen zwischen Hamas und israelischer Armee im November eine Karikatur veröffentlicht, die Netanjahu zeigt, wie er eine Palästinenserpuppe zu Wahlkampfzwecken auswringt. Nimmt man nun die Argumentationsweise der Antisemitismusjäger ernst, auch der „linken“ hierzulande, ist Netanjahu die Verkörperung aller Juden, sprich „des Juden“. Und da ist man dann exakt bei dem Klischee, das eigentlich gebrandmarkt werden soll, aber für eigene Zwecke eifrig bedient wird.

Jeder Nationalismus und Rassismus konstruiert homogene Menschengruppen mit kollektiven Eigenschaften, so auch der Antisemitismus. Eigenartigerweise bedienen sich aber die berufsmäßigen Anti-Antisemiten genau des gleichen Schemas. Während Augstein in den Spiegel-Kolumnen, an denen sich die Debatte entzündet hat, nicht von „den Juden“ oder „den Israelis“ spricht, tun dies seine Kritiker immer wieder. „Wir Deutschen“ dürfen dann die israelische Regierung, was für sie deckungsgleich mit „den Juden“ ist, aus bekannten Gründen der jüngeren Geschichte nicht kritisieren. Ein Gedankenexperiment: Russland hat unter Hitler-Deutschland vergleichbar viele Kriegsopfer gehabt, wie die vom Rassenwahn der Nazis in den Vernichtungslagern Umgebrachten. Darf das eine Begründung dafür sein, Putins Menschenrechtspolitik und den Tschetschenienkrieg nicht zu kritisieren?

Bezüglich Israel kommt dann als Argument hinzu, Antizionismus sei das Gleiche wie Antisemitismus und gleichermaßen verwerflich. Zionismus hat sicherlich historisch wie gegenwärtig verschiedene Facetten, trägt doch in seinem Kern immer die Überzeugung, dass es ein „auserwähltes Volk“ gibt, kann also für anti-nationalistische Begründungen schwerlich taugen.

Zur Unterstützung ihrer Verurteilung jeglichen Anscheins von Antisemitismus haben die Exorzisten eine breites Repertoire an Tricks entwickelt. Lässt sich beim besten Willen anhand vorliegender Fakten noch kein „sauberer“ Antisemitismus nachweisen, so handelt es sich um „latenten“. Den richtig zum Ausbruch zu bringen, wird man schon noch schaffen. Und wenn jemand zur Kritik israelischer Politik Publizisten aus Israel selbst oder amerikanische Juden zitiert, handelt es sich bei denen selbstverständlich um jüdische Antisemiten, welche den typischen Selbsthass zelebrieren. Diese Argumentation ist besonders typisch für völkisches Denken, bezeichnen doch exakt auf die gleiche Manier die deutschen Rechten alle, die sich einer Renaissance des deutschen Nationalismus verweigern, als Propagandisten des Selbsthasses. Ein frühes, aber bezeichnendes Dokument dafür ist Klaus Rainer Röhls Aufsatz „Morgenthau und Antifa. Über den Selbsthaß der Deutschen“ von 1994.

Ein weiteres, immer wieder beliebtes, Argument ist, israelische Politik deshalb verteidigen zu müssen, da es sich um den einzigen demokratischen Staat im vorderen Orient handele. Auch da darf man Fragezeichen setzen. Zum einen ist es eine neokolonialistische Brille, „unsere“ Demokratie als das einzig richtige Muster für die ganze Welt anzusehen. Zum anderen trägt gerade die Darstellung Israels als Außenposten des Westens in Feindesland dazu bei, den in der arabischen Welt ohnehin vorhandenen Hass auf die besserwisserischen Paten im Norden nicht gerade zu reduzieren. Abgesehen davon, dass man aber auch das Nachbarland Libanon als demokratisch strukturierte Republik ansehen darf, auch die nahe Türkei (und der Irak vor zehn Jahren in die Demokratie gebombt wurde), ist die israelische Demokratie Israels im Vergleich zu jener in vielen europäischen Ländern, die zu Recht von den gleichen Linken als eingeschränkt bezeichnet wird, noch viel fragiler. Israel hat keine Verfassung. Großbritannien auch nicht, die BRD nur in Form eines vorläufigen Grundgesetzes. Doch da die Selbstdefinition Israels als „jüdischem Staat“ ethnokratisch angelegt ist, wiegt dieses Manko schwerer. Arabische Einwohner innerhalb der Grenzen von 1966 haben formell gleiche Rechte, aber nur soweit sie den „jüdischen“ Charakter des Staates akzeptieren. Was wäre, wenn man analog die BRD als „Staat der Deutschen“ bezeichnet und dabei Inhaber eines deutschen Passes, die aber nicht „reinrassig“ sind, ausgrenzt, zugleich alle angeblich Blutsverwandten einbürgert? Israels Hauptproblem als formal demokratischer Staat ist die andauernde Besatzung des Westjordanlandes. Eine denkbare Einstaatenlösung mit gleichberechtigten Volksgruppen ist nicht mehr möglich – dann könnten Araber zur Mehrheit in dem als jüdisch definierten Staat werden. Eine Vermischung – eigentlich immer die beste Lösung zur Beilegung ethnischer Konflikte – wird dadurch erschwert, dass es in Israel keine Zivilehe gibt, und die Rabbis keine Goims mit Juden verheiraten möchten. Der Zweistaatenlösung steht aber nicht nur die Verweigerung von Verhandlungen durch die jetzige Regierung entgegen, sondern auch die fortgesetzte und sogar forcierte Besiedlung. Mittelfristig werden diese Siedlungen ebenso wie die sogar nach israelischen Recht illegalen Outpost geräumt werden müssen. Dass dies nicht ohne Widerstand ablaufen wird, hat sich schon an der vergleichsweise bescheidenen Räumung israelischer Siedlungen im Gazastreifen gezeigt. Auf welcher Seite werden dann die linken Verteidiger des jüdischen Volkes stehen, wenn Juden auf Juden schießen? Ich befürchte, auf Seiten der überwiegend ultraorthodoxen Siedler, da ja nur diese ein Israel in den Grenzen von 200 vor Christi verteidigen.

Was kann der Grund sein, dass manche Linke sich zu Verteidigern einer aggressiven, nationalistischen, ausgrenzenden Politik machen? Wo es sich um Vertreter von Organisationen handelt, mag es ähnlich wie auch beim SWC sein (das mit Sicherheit nicht politisch links steht) – im Gerangel um Aufmerksamkeit und damit Finanzmittel muss man auffallen. Auch bei manchen Einzelpersonen wie Hendrik Broder (schon lange nicht mehr links) ist das so – er lebt vom publizistischen Schwingen der Antisemitismus-Keule. So wie viele soziale Hilfsorganisationen sich für ihre Existenzberechtigung immer neue „Hilfsbedürftige“ rekrutieren müssen, so schaffen sich diese Gruppierungen im Sinne der selbsterfüllenden Prophezeiung ihre Antisemiten selbst. Bei anderen hingegen scheint es mir einfach Bequemlichkeit zu sein. Wozu differenziert denken, wenn man mit einigen vorgefertigten Totschlagargumenten automatisch auf der Seite der moralisch Guten zu stehen scheint? Wohin solch eine Denkweise führen kann, lässt sich an Broder studieren. Nicht nur Augstein belegt er mit abstrusen Nazi-Vergleichen, auch Politiker wie Sigmar Gabriel oder Claudia Roth, und alle tatsächlichen Nazis freuen sich hämisch über diese Entwertung des Begriffs. In einem Interview mit der Zeitung „Schwarzwälder Bote“ sagte er: „Augstein bereitet propagandistisch die nächste Endlösung der Judenfrage vor – diesmal in Palästina.“ Für diese Entgleisung musste er sich zwar eine Woche später entschuldigen, viele andere seiner ebenso fragwürdigen Äußerungen bleiben aber stehen. Was Broder betreibt, ist nicht nur eine Nivellierung von Begriffen wie Antisemitismus und Nationalsozialismus, sondern auch eine unerträgliche Relativierung des Holocaust.

Es gab mal Zeiten, da war es ein Merkmal linken politischen Denkens, soziale Fragen über nationale bzw. ethnische zu stellen. Bei dieser Sicht auf die Welt haben der palästinensische Olivenpflücker und der israelische Fließbandarbeiter mehr miteinander gemein als sie jeweils mit ihrem Landlord oder Fabrikbesitzer. Heute hingegen fragen Superlinke: Bist du für die Palästinenser oder die Juden? Analog muss dann weiter gefragt werden: Bist du für die Pakistanis oder die Inder, für die Tutsis oder die Hutus?

Linke Positionen zum Nahostkonflikt sollten meiner Meinung nach konsequent jeden Ethnozentrismus vermeiden. Eine Solidarisierung mit dem radikalen Zionismus ist deshalb so wenig sinnvoll wie eine Verteidigung der Vernichtungsabsichten von Hamas, Hisbollah oder Ahmadinedschad. Solch eine Haltung sollte Antisemitismus nicht nur bei islamischen Politikern verurteilen, sondern auch überall hier in Europa, wo er deutlich wird. Sie sollte alle Kräfte stärken, die auf arabischer Seite für ein friedliches Zusammenleben aller Volksgruppen und Religionen eintreten, so wie für alle, die dies auf jüdischer Seite tun. Und sie sollte nationalistisches, aggressives, fundamentalistisches Verhalten verurteilen, nicht allein, wenn es von iranischen und ägyptischen Hetzern oder palästinensischen Selbstmordattentätern und Raketenbauern ausgeht, sondern auch bei israelischen Rechtsradikalen und ultraorthodoxen Fundamentalisten.

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2 Antworten auf Seltsame Koalitionen

  1. rohl sagt:

    Es wird mal wieder zu schnell und zu laut aufgeschrien in unserer Schwarzweiß-Medienrepublik. Ein armer alter Loser wird zum skrupellosen, seine Macht ausnutzenden Lüstling stilisiert und ein begründeter Antisemitismusnachweis wird zum unerhörten Affront umgedeutet. Angriff ist die beste Verteidigung. Ja, was erlaubt sich dieses Simon Wiesenthal Center?

    Das SWC hat offenbar, ganz nüchtern, Jakob Augstein gelesen:

    http://www.spiegel.de/politik/ausland/u-boote-fuer-israel-wie-deutschland-die-sicherheit-in-nahost-gefaehrdet-a-836816.html

    Da werden antisemitische Klischees aufgewärmt. Augstein, bei aller Sympathie, die ich dennoch für ihn hege, betreibt geistige Brandstiftung. Das SWC hat tatsächlich nur aufgezeigt, was wir nicht sehen wollen. Dafür müssten wir dem SWC danken, anstatt unkritisch zu Augstein zu halten und mit vorwurfsvollem Finger nach Los Angeles zu zeigen.

    Ja, Netanjahu ist widerlich. Ja, die Siedlungspolitik Israels ist verwerflich. Ja, vieles, was Pälestinenser tun, ist eine Reaktion auf das, was ihnen angetan wird.

    Aber darüber schreibt Augstein nicht. Er fabuliert mit Grass über eine atomare Bedrohung, mit der Israel den Weltfrieden gefährdet. Haltloser Unsinn. Israel hat nie mit Atomwaffen gedroht, leugnet ihren Besitz ja sogar.

    Augstein schreibt: „wenn Jerusalem anruft, beugt sich Berlin dessen Willen.“ Das klingt verdammt nach der alten Mär von der zionistischen Weltverschwörung, nach klassischem Antisemitismus.

  2. admin sagt:

    Ich glaube nicht, dass man dem SWC dankbar sein muss. Schon die Methode der Schwarzen Liste ist fragwürdig. Aber auch die drei benannten Kriterien. Wenn da von Doppelmoral die Rede ist, wirkt das lächerlich. Neben anderen Punkten israelischer Politik ist ja nun gerade die benannte atomare Bewaffnung ein wunderbares Beispiel für Doppelmoral. Obwohl alle es wissen, drängen weder die USA noch andere westliche Länder auf Kontrollen durch internationale Behörden,ganz im Unterschied zu Bestrebungen anderer Länder, Atomwaffen zu besitzen.
    Es ist nicht mein Anliegen, alle Äußerungen Augsteins zu Israel zu verteidigen, und auch nicht, generell zu diversen Aspekten des Nahostkonfliktes in die Tiefe zu gehen. Vielmehr will ich darauf hinweisen, in welch groteskem Maße sich viele Antisemtismus-Jäger völkischer Denkweisen bedienen, die sie sich bei den Leuten angeeignet haben, die sie eigentlich entlarven wollen. Und da wird dann auch mit etlichen Klischees zu „den Juden“ gearbeitet, deren Realitätsgehalt gar nicht untersucht werden darf.

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