Lüpertz und die Meinungsfreiheit

Die Überschrift ist ein SEO-Trick. Na und? Markus Lüpertz gefährdet nicht die Meinungsfreiheit, noch viel weniger wird er von ihr gefährdet. Doch auf meinen Blogbeitrag von vorletzter Woche, dem ein LVZ-Artikel in entpersonalisierter (wie es leider in dem Blatt Vorgabe ist) und etwas abgeschwächter Form folgte, gab es zu erwartende Reaktionen. In den direkten Kommentaren und Emails an mich durchweg zustimmend, in den von der LVZ veröffentlichten Leserbriefen durchweg ablehnend. Auf die geläufigen Klischees wie „Kunst kommt von Können“ oder „Ist das Kunst oder kann das weg“ muss man nicht weiter eingehen. Stammtisch eben.

Wichtiger sind die Äußerungen, wo es um Grundsätzliches geht, nämlich die Empfindungen der Mehrheit oder gar die Meinungsfreiheit.

„Der Geschmackskonsens der Bürger und der Gäste der Stadt darf bei der öffentlichen Installation von Kunstwerken jedoch nicht unberücksichtigt sein“, schreibt Frank Baacke. Aha, es gibt also einen Geschmackskonsens? Wenn dieser angebliche Konsens, um einmal auf ein anderes Medium mit messbaren Einschaltquoten abschweifen zu dürfen, etwa in Paraden von Schlagern und volksdümmlichen Weisen des MDR besteht, dann ist mir Nonsens viel lieber als Konsens. In Sachen Kunst und auch Architektur sind Mehrheitsentscheidungen einfach nur Quatsch. Und auch in andern Belangen. BILD wäre dann gemäß des nicht zu vernachlässigenden „Geschmacks der Bürger“ die beste Zeitung des Landes.

Schwerer ins Gewicht fällt aber die Äußerung des einzigen veröffentlichten Leserbriefschreibers, den ich persönlich kenne. Volker Zschäckel ist Nachfolger der einst widerständigen Galerie am Sachsenplatz, die zu DDR-Zeiten Kunst zeigte, die weder der Führung des Staates noch „dem Bürger“ wirklich gefiel. Die Mail, die ich an den Galeristen ohne Galerie heute geschrieben habe, gebe ich hier vollständig wieder:

Guten Abend Herr Zschäckel,
ich vermute, dass Ihr Leserbrief an die LVZ nicht komplett abgedruckt wurde, muss aber auf diese Fragmente doch mal eingehen.
Inwiefern diskeditiere ich die Unterzeicher des Offenen Briefes? Sie schreiben da, dass zum Glück der Verweis auf Pegida fehlt, doch ich würde ja frei nach Kisch nichts unterstellen, aber … . Wo sind diese Bemerkungen in dem LVZ-Artikel zu finden? Sie haben offensichtlich meinen vorausgehenden Blog-Eintrag gelesen und vermischen nun zwei Quellen. Für einen reinen LVZ-Leser muss die Bemerkung unverständlich wirken. Der Zeitungartikel ist entpersonalisiert und auch etwas entschärft gegenüber dem Blogbeitrag. Doch zu der Behauptung, dass die Briefeschreiber sich auf Pegida-Niveau begeben, stehe ich. Das war sehr gut an den Kommentaren auf LVZ online zu sehen, die leider schnell gelöscht wurden. Schade. So wie bei den Demos „Merkel muss weg!“ oder „Jung muss weg!“ gegrölt wird, hieß es da eben: „Lüpertz muss weg!“ Ich kenne mich aus mit dem Jargon der Gida-Anhänger, schaue fast täglich in die Facebook-Seite von Legida rein. Doch selbst die gemäßigten abgedruckten Leserbriefe bedienen ja nun genau die Klischeevorstellungen á la „Kunst kommt von Können“ oder „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Diese Fragen könnten ganz genau auch viele der von Ihnen als Galerist vertretenen Künstler zu hören bekommen, würden denn die Kommentatoren jemals eine Galerie betreten. In der DDR sagte die Führung dann „Unsere Bürger wollen nicht dieses Yeah Yeah Yeah!“ Heute, unter demokratischen Rahmenbedingen sagen „Wir sind das Volk!“-Demonstrierende selbst, dass Sie sowas nicht wollen, dass das mit Mistgabeln beseitigt werden muss. Das ist ein Fortschritt.
Auf die Vermischung oder Gleichstellung von Lüpertz und Balkenhol bei den Empörten gehen Sie nicht erst ein, obwohl gerade da das Differenzieren anfangen sollte.
Mit Ihrer Belehrung wegen meiner kunsthistorischen Plattheiten bezüglich des Begriffes Kolorieren einer Plastik liegen sie nicht ganz richtig. Den vielen Anbietern auf Ebay, die koloriere Bronzen offerieren, kann man vielleicht nicht die nötige Fachkenntnis unterstellen, doch auch seriöse Auktionshäuser sprechen nicht selten von kolorierten Plastiken. Dass dies kein ganz neumodischer Sprachverfall ist, zeigt ein Eintrag einer Zeitschrift von 1834, wo von einer Schule für kolorierte Skulptur die Rede ist. Einfach mal recherchieren! Aber das ist sowieso nur Ablenkung vom Kernthema. Wer in kunsthistorischen Termini nicht so sattelfest wie Sie als Diplom-Kunsthistoriker (oder irre ich da gerade?) ist, sollte sich doch nicht öffentlich äußern, wohl aber der Staßenmob.
Ja, jeder darf seine Meinung zu dem Kunstwerk sagen. Darum wurde der Offene Brief abgedruckt. Aber man darf eben auch Gegenmeinungen äußern. Das demonstrative Einfordern von Meinungsfreiheit ist eben genau die Masche von Sarrazin oder Legida. Sie dürfen ja nichts äußern, die Armen, weil dann sofort einige Gegenmeinungen auftreten. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen! hat schon Sarrazin verbreitet, der sein Pamphlet in Hundertausenden verkauft hat und anschließend in jeder, wirklich jeder, Talkshow saß, um sich über die Einschränkung seiner Meinungsfreiheit zu beschweren.
Auf meinen Blogeintrag habe ich mehrere positive Reaktionen bekommen. Eine Person davon gehört vielleicht zu dem Künstlerkreis, den Sie schätzen – Gregor-Torsten Kozik. Er ist empört über die Kleingeistigkeit einiger Leipziger Künstler. Kleingeistig ist es aber auch, Meinungsfreiheit einzufordern und Gegenmeinungen als Diskreditierungen zu diskreditieren.
Ich weiß, dass Sie alles, was Hans-Werner Schmidt macht, nicht gut finden, um es vorsichtig auszudrücken. Doch sollte man nicht differenzieren? Falls sie regelmäßig die LVZ lesen, wissen Sie, dass ich auch kein Fan von ihm bin. Bei mancher Rezension hat er sicherlich heftig schlucken müssen. Doch er kann damit umgehen.

Nichts für ungut

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4 Antworten auf Lüpertz und die Meinungsfreiheit

  1. Goldthaler sagt:

    Lieber Herr Kassner,
    ich danke Ihnen sehr für Ihre treffenden Worte. Wie so oft treffen Sie den Nagel auf den Kopf.

  2. Volker Zschäckel sagt:

    Lieber Herr Kassner,
    ich weiß zwar nicht, was unsere persönliche Bekanntschaft mit der Veröffentlichung Ihres Schreibens an mich zu tun haben könnte, aber das ist mir – ehrlich gesagt – auch ziemlich wurscht. Nur wenn Sie schon Ihre Zeilen an mich veröffentliche, dann sollten Sie doch bitte auch richtig veröffentlichen. Ich hatte Ihnen geschrieben, daß man bei dem angeblichen Leserbrief mich mit dem persönlichen Anschreiben an Jürgen Kleindienst zitiert hat. Meinen Leserbrief hatte ich Ihnen ebenfalls übermitteln, finden Sie nicht, daß er dann ebenso zu veröffentlichen wäre? Ich finde das allemal und füge ihn hier für die Öffentlichkeit an:

    Ein Denkmal im Dialog – eine Kritik an den Kritiker

    Der heutige Artikel von Jens Kassner in der LVZ vermerkt im Untertitel: „Eine Kritik der Kritiker“. Beim Lesen entpuppt er sich als Kritik an den Kritikern – das ist natürlich legitim. Ebenso legitim ist es, darauf zu reagieren und dabei die Äußerungen auf seinem privaten Leipzig-Bloc nicht zu vergessen. Dort trägt der in vielem ähnliche Artikel die Überschrift: „Öde an die Feinde“. Was wohl polemisch gemeint ist, wird mitunter peinlich. Am Ende gar infam, da er den Verfassern des Offenen Briefes den Duktus von Legida und AfD unterschiebt. Hier hört der Spaß auf!

    Im „Roll over Beethoven“-Text taucht diese Unterstellung nicht mehr auf, aber es gibt aus meiner Sicht genügend „Merkwürdigkeiten“, vor allem Postulate, die für mich vor allem eines sind: nämlich Plattitüden. Wenn Kunst privat finanziert wird, dann darf dem Autor nach alles im städtischen Raum aufgestellt werden – ein Glück, dass es vor vielen Jahren schlauere Leute gab, die den unsäglichen Entwurf der Frau Tucker-Frost nicht als Geschenk in Leipzig realisiert haben wollten. Da fehlte nämlich auch ein gewisses Können – für mich noch immer Voraussetzung für Kunst. Ich jedenfalls möchte mir kein Konzert anhören, bei dem die Solistin ihre Violine nicht beherrscht, selbst wenn es Anne-Sophie Mutter wäre – vergeigt ist vergeigt. Es druckt auch kein Verlag ein Buch, wenn im Manuskript nur pennälerhaftes Gestammel steht. Insofern erstaunt es mich immer wieder, dass sich Dilettantismus in der bildenden Kunst so breit gemacht hat. Beuys hin, Beuys her: es kann ja jeder gerne ein Künstler sein – doch muß er sich am Ende immer an der Qualität seiner Arbeiten messen lassen. Das war so und das wird auch immer so bleiben! Nur Qualität zählt, nicht formale Mittel. Was soll der verquaste Hinweis, dass Klinger zu Zeiten der Expressionisten noch seinen Symbolismus gepflegt hat? Wie viele Expressionismus-Adepten hat man gesehen und es wird immer wieder Maler geben, die realistische Bilder schaffen. Noch einmal: formale Mittel sind sekundär, es geht um die kreatürliche Idee, das Schöpferische, um es einmal hochtrabend zu formulieren. Genau darum geht es m.E. auch den Unterzeichnern des Offenen Briefes. Denn dass Handwerk notwendige Voraussetzung ist, das wissen sie allemal alleine: schließlich sind sie selbst Schriftsteller und bildende Künstler. Wenn sie aber der Autor in seinem Schlußsatz mit Nicht-Konsumenten, die ungeeignete Kunstkritiker wären, packt, dann ist das für mich schon wieder diskreditierend. Diese Steilvorlage geht an ihn zurück: „Intellektuelle(r) sollte auf den Klang ihrer (seiner) Worte hören.“

    Bleiben wir bei der Plastik von Markus Lüpertz: selbst Jens Kassner gesteht ein, dass sie misslungen ist – warum muß sie dann im öffentlichen Raum stehen? Und dann noch an einem Standort, der unglücklicher nicht sein kann. Der Künstler selbst hat auf seine jahrelange Auseinandersetzung mit dem Klingerschen Beethoven verwiesen, wieso stehen sich beide Beethoven-Plastiken, die von Klinger und die von Lüpertz, nicht im Museum gegenüber? Dieser Dialog wäre spannend!

    Volker Zschäckel, Galerie am Sachsenplatz

    Wenn Sie mögen, lieber Herr Kassner, können Sie mir gern noch erklären, wieso die Galerie am Sachsenplatz eine widerständige gewesen sein soll. Die, wie Sie postulieren, zu DDR-Zeiten Kunst zeigte, die weder der Führung des Staates noch „dem Bürger“ wirklich gefiel. Da wäre ich aber mal sehr neugierig!

    Ich grüße Sie herzlich, Volker Zschäckel

  3. admin sagt:

    Zunächst nur soviel: Ihren vollständigen Leserbrief habe ich erst nach meinem Posting erhalten, konnte ihn also da noch gar nicht mit veröffentlichen. Auf andere Argumente werde ich später eingehen, das hat keinen Sinn in aller Eile.

  4. Pingback: Statt eines weiteren Kommentars ... | Jens Kassner

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