Geht doch

Viel Zeit habe ich mir in diesem Jahr mit der neuen Tippgemeinschaft genommen. Ein Rezensionsexemplar habe ich von den DLL-Studenten wie schon im Vorjahr nicht mehr bekommen. Meine Besprechung vor zwei Jahren war wohl nicht ganz im Sinne ihrer Erwartungen ausgefallen, die Bestechung freundliche Zueignung also fehlgeschlagen.

Die erste Auffälligkeit in diesem Jahr ist, dass für die Jubiläumsausgabe zum Zehnjährigen keine Lehrkraft um ein Vor-, Nach- oder sonstiges Wort gebeten wurde. Die Einführung übernimmt Claudius Nießen, Geschäftsführer des Instituts und einst als Student Initiator dieses Jahrbuches. Das hat den Vorteil, dass endlich die tapsigen Fragen, ob man literarisches Schreiben denn lehren und lernen könne, entfallen. Statt dessen ein sachlich-kurzer Rückblick.

Sachlich, auf gute Lesbarkeit ausgerichtet, ist auch die Typografie mit Ausnahme des verspielten Inhalts- und Autornverzeichnisses. Meine statistische Arbeit des Sortierens nach Genres wird dieses Mal erleichtert durch winzige Ps und Ls am Seitenrand. Also 34 mal P, 9 mal L und einmal I wie Interview. Also kaum neue Gewichtungen. Bei den P-Texten hingegen fällt auf, dass häufig darauf verwiesen wird, es sei ein Auszug aus einem Roman oder sonstigem längeren Projekt. Ist der Drang zur Großform marktwirtschaftlichen Einsichten geschuldet?

Das eine ausgewiesene Interview führt Jan Kuhlbrodt mit Jo Lendle, beide haben das DLL bereits vor Jahren verlassen. Als weitere besondere Textsorte müsste eigentlich die Poetikvorlesung von Juli Zeh vermerkt werden. Auch sie ist schon lange keine Studierende mehr. Vier weitere „Ehemalige“ sind vertreten. Warum eigentlich, und warum gerade diese, wird nicht erklärt. Sind die gegenwärtigen Jahrgänge so dürftig?

Die ausgewählten bzw. eingereichten Texte lassen nichts derartiges erkennen. Vielmehr scheint sich die Tendenz fortzusetzen, mehr Außenwelt einströmen zu lassen. Mehrere Texte handeln von Reisen in exotische Länder, so der von Bettina Suleiman und der von Ursula Kirchenmayer, der zugleich Liebesgeschichte ist. London im Regen und eine kriselnde Beziehung bei Robert Reimer, Apulien in der nicht ganz unkriselnden Sonne bei Patrick Maisano.

Reflexionen über Alter und Krankheit waren schon in den vorigen Jahrbüchern keine Seltenheit, sie finden sich auch hier wieder, so bei Lisa Kreißler, Anne Klapperstück oder Isabell Lehn. Auffällig ist aber die neue Häufung von Berichten aus sozialen Randzonen. Florian Wacker lässt seinen „Helden“ auf der Suche nach Essbarem durch die Nacht irren, Karlina Koegels Paar braucht immer noch ein Bier und Matthias Jügler macht berufliche Erfahrungen in der Pornoindustrie. Auf der Loser-Seite sind auch die Jugendlichen von Sandra Gugič. Bei Jan Geiger verabschiedet sich ein schwules Paar, Dominik geht offenbar in den Knast.

Sogar geschichtliche Reflexionen gibt es, bei Norman Gangnus über den zweiten Weltkrieg oder bei Yuriy Nesterko über die Sowjetunion der siebziger Jahre. Janko Marklein schließlich will die Welt retten durch die Beseitung von Deutschlandfähnchen, doch eigentlich geht es auch hier um eine Beziehungskiste.

Die Zunahme von Gesellschaft in den Themen spiegelt sich wieder in einer häufig schnörkellosen Darstellungsweise. Es gibt Ausnahmen. So verpackt Maisano die Aussagen in einen skurrilen Dialog. Außerdem kommen zwei Texte vor, denen ich ein E wie Essay zugeordnet hätte. Wolfram Lotz schreibt über Engelserscheinungen in Amerika im Stil des Berichtes an eine Akademie, Sascha Macht fügt eine ebensolche Aufzählung unglaubwürdiger Begebenheiten an. Dass beide Texte aufeinander folgen, liegt an der strikten alphabetischen Ordnung nach Autorennamen. Die Häufung lässt aber (wieder) vermuten, dass es sich um eine Seminaraufgabe handelt: Erfinden Sie absurde Episoden, die sich wie Polizeiberichte lesen lassen!

Und die L-Texte? Ich habe sie gelesen.

Zu nennen ist aber noch die erstmalige CD-Beilage. Da kann man Beiträge von neun Autoren nochmals akustisch, von ihnen selbst vorgetragen, nachhören. Keine schlechte Idee, doch reichlich spät. Der Verlag Voland & Quist macht das von Beginn an. Doch das Prinzip ist schon etwas verstaubt. Es würde reichen, QR-Tags einzufügen, nach deren Scannen sich die Audio- oder Videobeiträge auf dem Smartphone genießen lassen.

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