Die Unschuld der Astern

Knallig rote Blüten beherrschen das Bild, die Blätter vibrieren silbrig. Erst bei einem gewissen Betrachtungsabstand vermischen sich die Farben im Auge. Die Frau mit dem Buch im Hintergrund könnte man fast übersehen, so verschmilzt sie mit dem Garten. Der Bildtitel „Lesende junge Frau“ aber weist auf sie hin. Emil Nolde hat das Bild 1906 gemalt, dem Jahr, als er der Gruppe Brücke beitrat.

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Durchstreift man flüchtig die Ausstellung, so muss diese Mitgliedschaft fast zwangsläufig erscheinen. Die künstlerische Verwandtschaft zwischen den Sachsen und dem Norddeutschen mit dänischem Pass springt ins Auge. Doch so einfach ist die Sache nicht allein wegen der geografischen Herkunft dann doch nicht.

Emil Hansen wurde 1867 im deutsch-dänischen Grenzgebiet geboren und nannte sich später nach seinem Heimatort, dem Dörfchen Nolde. Nach einer Holzbildhauerlehre erfährt er weitere künstlerische Ausbildungen in Münchener Privatschulen. Wichtiger aber war wohl die Konfrontation mit Werken der Impressionisten, van Goghs und Edvard Munchs.

Die späteren Brücke-Gründer waren mehr als ein Jahrzehnt jünger, stammten aus dem industrialisierten Erzgebirgsraum, studierten zumeist Architektur in Dresden. Die Anregungen für ihre Malerei und Grafik scheinen aber die gleichen zu sein, abgesehen vom Jugendstil speziell bei Fritz Bleyl. Anfang 1906 sahen sie in Dresden eine Nolde-Ausstellung, Schmidt-Rottluff schrieb umgehend einen Brief und bat ihn, der ein Jahr zuvor gegründeten Brücke beizutreten. Auf Drängen seiner Frau Ada stimmte Nolde zu.

Was folgte, war eine intensive gegenseitige Beeinflussung, die auch über die nur 20 Monate währende Mitgliedschaft in der Gruppe anhielt. Der Ältere lernte von den jungen Wilden genau so viel wie sie von ihm. Nicht nur bei den Drucktechniken und der Zeichnung mit verschiedenen Werkzeugen schauten sie sich gegenseitig etwas ab, vor allem auch bei der Bildauffassung. Es war die Zeit des Aufbruchs, der sich in Deutschland vor allem mit der Herausbildung des Expressionismus abzeichnete, sowohl mit der Brücke als auch dem Blauen Reiter in Bayern.

Dass dies keine gesellschaftliche Rebellion war, wird nicht allein in dieser Ausstellung deutlich. Blumen und Bäume, Landschaften, flanierende Menschen stehen im Mittelpunkt. Noldes „Verspottung“ von 1909 – eines der wenigen expressionistischen Werke, das einst zum Bestand des Leipziger Museums gehörte – ist da schon eine Ausnahme. Ansonsten war die Stimmung des Lichts wichtiger als die in der Politik.

Am intensivsten war offensichtlich die Beziehung Emil Noldes mit Karl Schmidt-Rottluff, wochenlang arbeiteten sie gemeinsam an der Nordseeküste. Bei den verwandten Motiven wird aber auch am besten sichtbar, dass es doch gewisse Unterschiede in der Haltung gab. Schmidt-Rottluff und auch Kirchner waren radikaler in der Verwendung ungebrochener Farben, Nolde blieb dem Kolorismus der Impressionisten stärker verhaftet. Noch gravierender sind die Differenzen bei Menschenbildern. Nolde war realistischer in der Darstellung von Personen, konnte sich bei aller Heftigkeit der Pinselhiebe nie zu solch einer Aufhebung der Anatomie wie bei den Sachsen durchringen.Dass er schon Ende 1907 wieder aus der Brücke austrat, hatte aber auch andere Gründe. Ernst Heckel wie auch Schmidt-Rottluff kamen der schönen Ada all zu nahe.

„In Leipzig konnte man alles sehen“, sagt Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt, bezieht sich dabei auf frühe Ausstellungen der Expressionisten. 1903 war Munch in einer privaten Kunsthandlung mit dem „Lebensfries“ zu Gast. Ein Jahr später zeigte der Kunstverein im Museum erstmals Nolde. Und 1905 folgte die Brücke, wiederum privat initiiert. 1914 gab es eine von Karl Lilienfeld, Kurator des Kunstvereins, angeregte weitere Nolde-Ausstellung. Die LVZ schrieb dazu von der „Kraft und Harmonie der meisten dieser Farbenkompositionen“. Andere Medien standen den Expressionisten und weiteren modernen Strömungen aber mit harscher Ablehnung gegenüber.

Auch wenn man tatsächlich viel sehen konnte, blieben diese Expositionen offenbar folgenlos für die Kunstszene der Stadt. Der Expressionismus griff weder unter den lokalen Künstlern um sich, noch fand er in nennenswertem Umfang Eingang in die Museumsbestände.

Nolde wurde wie die Brücke-Leute später ein Ziel der NS-Aktion „Entartete Kunst“, war allerdings – wie erst seit wenigen Jahren bekannt – selbst überzeugter Nazi und fühlte sich als missverstandener nordisch-germanischer Künstler, denunzierte gar Max Pechstein als vermeintlichen Juden. Im umfänglichen Katalog werden diese Fakten nur beiläufig oder gar nicht erwähnt, Nolde mehr als Opfer dargestellt.

Was also bewegt Schmidt, in der letzten großen Ausstellung, die er als Direktor hier eröffnet, solch eine problematische Personalie ins gedämpfte Licht zu rücken? Einerseits die Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Kiel, seiner Herkunft. Anderseits beschränke man sich auf die bisher unerforschten Beziehungen von Nolde zur Brücke. Die Biografie wird also gesplittet, die unangenehmen späteren Kapitel werden quasi übertüncht. Aus wissenschaftlichem Interesse. Und wegen des zu erwartendem Anstroms an Besuchern, die sich an wirklich schönen Gartenszenen und Seestücken erfreuen wollen.

(Erstveröffentlichung in der LVZ vom 11.02.2017)

Nolde und die Brücke
Museum der bildenden Künste Leipzig, Katharinenstr. 10
bis 18. Juni, Di und Do-So 10-18 Uhr, Mi 12-20 Uhr

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