Der sechste Poet

Der Wiedererkennungfaktor ist dank der sparsamen, aber eigensinnigen Umschlaggestaltungen von Miriam Zedelius sehr hoch. In leuchtendem Magenta kommt die Nummer 6 des Poet – Das Magazin des Poetenladens daher. Doch auch inhaltlich ist eine klare Linie nicht zu übersehen.Dazu trägt unter anderem die Dreiteilung in Lyrik, Prosa und Gespräche bei. Gerade die dritte Abteilung, die lockeren Plaudereien mit Autoren sind ein Surplus, auf das viele andere Anthologien leider verzichten. Ein weiterer Unterschied zu den meisten Literaturjournalen ist, dass Herausgeber Andreas Heidtmann den Wettlauf um das Entdecken neuester Gesichter nicht mitmacht. Zwar sind auch diesmal wieder ganz junge Leute dabei. Daneben aber eben auch solche, die schon vor Jahrzehnten ihren Debütband veröffentlicht haben. Der Gesprächsteil ist bei dieser Ausgabe sogar ganz auf „Veteranen“ der deutschsprachigen Literatur zugeschnitten – Mayröcker, Nick, Kunze, Margwelaschwili, Widmer und Zwerenz. Und bei den Gedichten trifft man beispielsweise mit Thomas Böhme einen Vertreter der mittleren Generation aus Sachsen an. Das könnte den Vorwurf des Konservatismus mit sich bringen, wirkt sich aber vor allem positiv auf die Qualität aus. Der Zwang zum Anspruchsvollseinmüssen entfällt, die Autoren sind sich ihrer stilistischen Mittel sicher und können sich somit auf die Inhalte konzentrieren. Das lässt dann auch mal politische Aussagen zu wie bei Timo Berger oder Martin Jankowski – für manche Journale anscheinend ein Tabu. Für mich persönlich ist es beruhigend, von Dagmar Nick (Jahrgang 1926) solch eine Aussage zu lesen: Und ich muss auch gestehen, dass ich mit vielen jüngeren Stimmen, wenn ich sie in Zeitschriften finde, nichts anfangen kann – dass ich sie einfach nicht verstehe oder überflüssig finde. Vieleicht bin ich also gar nicht zu doof, die vom Wettbewerbsgetriebe geförderte neueste Lyrik zu begreifen, vielleicht ist da häufig tatsächlich keine Substanz da.

Ein spezieller Teil der sechsten Poet-Ausgabe sind Übertragungen englischsprachiger Gedichte nebst den Originalen. Auch hier wird spürbar, dass der sich erst langsam lösende Krampf des allzu Artifizellen möglicherweise ein spezifisch deutsches Problem ist. Die irischen, schottischen und vor allem amerikanischen Poeme sind da spachlich und inhaltlich viel zupackender. [Exkurs: Eine nette Parallele ergibt sich hier zur neuen Ausgabe von Lauter niemand. Dort haben zwei fränkische Autoren Gedichte zweier schottischer Kollegen in Dialekt übertragen, manchmal parallel. Aus der Zeile The dog is so old dust flies out from its arse as it runs von Alexander Hutchinson wird bei Fitzgerald Kusz deä hund is su ald – sei oärsch schdaubd wennä läffd und bei Helmut Haberkamm Dem Scheller sei staabiä Hundskeeter is fei wergli staa-ald. Wenner rumläffd, na riesldn hindn scho der Kalch ausm Orsch. So lass ich mir Mundartdichtung gefallen, auch wenn ich nicht jedes Wort verstehe.]

Der neue Poet macht Hoffnung, dass in den hermetischen deutschen Literaturbetrieb zunehmend Störfaktoren eingreifen.

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