In der Todeszone

„Anfertigung individueller Wünsche“ steht an der Wand einer Schmiedewerkstatt. Nett gemeint, doch meine aktuellen Wünsche an diesem düsteren Spätnachmittag im November lassen sich nicht aus Eisen hämmern. Sie sind zu ätherisch. Vor zwei Stunden bin ich im Gewerbegebiet Dölzig abgesetzt worden, ohne spezielle Aufgabe, ohne motorisiertes Fahrzeug. Hinter der dröhnenden A 9 sehe ich die Schilder von Höffner und Ikea, in diesem Moment haben sie tatsächlich verlockenden Glanz. Nova Eventis heißt die Mall, neue Erlebniswelt. Doch die Autobahn entlang der B 181 zu Fuß zu überqueren, erweist sich als unmöglich. Es ist in diesem Teil Deutschlands nicht vorgesehen, dass sich irgend ein Trottel ohne Auto ins wenige hundert Meter entfernte Nachbardorf begibt. Die Grenze zwischen Sachsen und dem Land der Frühaufsteher ist uneinnehmbar. Für die Infanterie.

Also begebe ich mich nach einer dreiviertel Stunde vergeblicher Bemühungen und mehreren Runden durch das Gewerbegebiet, begleitet vom Starten und Landen der ADAC-Hubschrauber, in den Ort Dölzig. Eine Kneipe ist zwar zu finden, die schon um fünf geöffnet hat, doch kein Lebensmittelladen. Nur einer für Grabsteine. Dann der Lichtblick. Am Ortsrand gibt es eine Tankstelle. Ich esse eine Bockwurst, kaufe dann noch eine Flasche Radeberger. Damit setze ich mich in eine Bushaltestelle. Es ist unterdessen völlig dunkel, das vorsorglich eingesteckte Buch bleibt im Rucksack. Dörfler, die ihre Hunde hinter sich herzerren, oder umgekehrt, sehen mich argwöhnisch an. Die Gefahr, dass ein Bus unnötig wegen mir hält, geht vorüber. Nach einer halben Stunde wird es zu kalt, um weiter rumzusitzen. Etwa 5 Grad werden es wohl sein. Also weiter, jetzt auch die Nebenstraßen erkunden. Dort finde ich die Wünscheschmiede. Kein Trost. Wieder ins Gewerbegebiet. „Saphir“ steht an einem der architektonischen Meisterwerke mit zugeklebten Scheiben. Obwohl die Beleuchtung blau ist, muss das wohl ein Bordell sein, oder zumindest ein Nachtklub. Clevere Positionierung direkt neben zwei Budget-Hotels, Schließfächer für Dienstreisende im Niemandsland zwischen Leipzig und Halle.

Nach drei Stunden darf ich wieder ins Auto einsteigen. Zurück aus der Todeszone.

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2 Antworten auf In der Todeszone

  1. Smokefighter sagt:

    😉 bei deinen Runden durchs Gewerbegebiet hättest du es fast schaffen können zu Fuss ins Shoppingparadies jenseits der Autobahn zu kommen 😉 http://goo.gl/maps/0NJVl

  2. admin sagt:

    Abgesehen davon, dass ich kein smartes Telefon habe, mit dem ich schnell mal bei Google Maps hätte nachsehen können, war der matschige Feldweg Richtung Kanal, den ich durchaus gesehen habe, ohne jede Beleuchtung an diesem Novemberabend nicht so richtig einladend.

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