Heiligsprechung der Arbeit

Auffällig rot gekleidet sitzt der Häuer genau in der Mitte des Bildvordergrundes. Mit der linken Hand hält er einen Gesteinsbrocken fest, der auf dem steinernen Pult vor ihm liegt. Den rechten Arm hat er erhoben, um mit dem Hammer gleich den Brocken zu zertrümmern. Vor dem Pult hat sich schon ein Haufen Abraum gebildet. Die metallhaltigen Teile werden in einem Korb gesammelt. Der Häuer schaut den Betrachter als einzige Figur des Bildes direkt an. Die Augen sind weit aufgerissen, fast erschrocken. Auf dem Kopf trägt er ein Tuch, das einem Turban ähnelt.

Rund um ihn ist geschäftiges Treiben. Ein Arbeiter schafft das Erz mit einer Schubkarre zur Verhüttung, ein anderer bringt einen Balken geschleppt, der zum Verhau der Schächte dient. Zwei Haspelknechte bedienen die Winde. Die meisten Arbeiter tragen über den anliegenden Hosen das Arschleder als berufsspezifisches Kleidungsstück. Sogar der in einen grünen Mantel gehüllte Hl. Wolfgang, der Schutzpatron der Bergleute, hat eine Axt geschultert.

Die Landschaft ist ganz von der Erzgewinnung geprägt, als Natur kann man das nicht mehr bezeichnen. Nur wenige kleine Bäumchen können sich in dieser Ödnis halten. kegelförmige Hügel sind zu Plateaus abgeflacht, darauf stehen die Eingänge zu den Schächten, handbetriebene Förderwinden oder Pferdegöpel sowie Huthäuser mit dem Arbeitswerkzeug.

Der einzige große Baum wirkt wie ein Fremdkörper und ist tatsächlich ein mythologischer Einschub. Ein Engel, leuchtend gelb gewandet, hat einer Person, die in Frakturschrift als Knappi bezeichnet ist, geweissagt, dass er an einem Apfelbaum einen Schatz finden wird. Der Mann steigt zunächst auf den Baum, wird dann vom Engel korrigiert. Unter den Wurzeln sei der Schatz zu finden. So beginnt der Mann zu graben und wird fündig.

In der blauen Ferne weitet sich die Erzgebirgslandschaft, immer wieder durchsetzt von Zeugnissen des Bergbaus. Am Horizont erkennt man einen Gehenkten und einen Geräderten.

In der Predella des Flügelaltars sind zwei Männer und eine Frau mit dem Waschen des Erzes beschäftigt. Auf der linken Tafel ist die Verhüttung dargestellt. In den simpel aussehenden Ofen wird Kohle und Erz geschüttet, unten läuft das ausgeschmolzene Silber in einen Tiegel. Die rechte Tafel zeigt die Münzprägung aus dem gewonnenen Silber. Die beiden Männer in dem Fachwerkhaus sind an der Kleidung mit den auffälligen Hüten und gefächerten Ärmeln als sozial Bessergestellte erkennbar.

Hans Hesse, der Maler des Bergaltars, kam um 1506 nach Annaberg, die gerade erst gegründete Stadt im oberen Erzgebirge. Wenig später siedelte er ins benachbarte Buchholz über, wohl wegen eines Totschlagdelikts. Auch Buchholz entstand erst Ende des 15. Jahrhunderts wegen des 1491 einsetzenden „Großen Berggeschreys“ infolge reichhaltiger Silberfunde. Doch es liegt jenseits des Flüsschens Sema, auf ernestinischer Seite, während Annaberg albertinisch ist. 1485 hatten die wettinischen Thronfolger ihr Herrschaftsgebiet geteilt.

Die Planstadt Annaberg soll von Ulrich Rülein von der Calw konzipiert worden sein, wegen des bewegten Geländes war hier aber kein strenges Schachbrettraster möglich. Die St. Annenkirche war schon im Plan vorgesehen. 1521 wurde der Altar in dem Neubau aufgestellt, doch erst vier Jahre später war das mächtige, das Stadtbild beherrschende Gebäude fertig.

In dieser Zeit, als die deutschen Länder von Reformation, Wiedertäufern und Bauernaufständen erschüttert wurden, lies sich der aus Franken stammende Rechenmeister Adam Ries im aufstrebenden Annaberg nieder. 1524 gibt er das Lehrbuch „Annaberger Coß“ heraus. Ries macht aus der Geheimwissenschaft Mathematik ein praktisch verfügbares Volkswissen. Die neue Ökonomie benötigt Menschen, die rechnen und messen können.

Den gleichen rationalen Geist verbreitet Georg Bauer, der sich in der Mode des Humanismus Agricola nennt. 1527 wird er in Joachimsthal auf der böhmischen Seite des Erzgebirgskammes als Arzt tätig, dort wo die Taler herkamen, deren Name noch heute im Dollar nachhallt. Später ist Agricola im nahen Chemnitz Stadtarzt und Bürgermeister. Unsterbilich ist er aber durch „De re metallica“ geworden, der Buch, das die Montanwissenschaft begründete. Das Wissen der Annaberger Silberschürfer steckt in diesem fundamentalen Werk mit drin.

Eine andere Zeitgenossin Hans Hesses ist Barbara Uthmann – eine Unternehmerin. Nach dem frühen Tod ihres Mannes führte sie das metallurgische Geschäft weiter, zu dem die leistungsstarke Kupferhütte Grünthal gehörte. Als der Konkurrenzdruck zu groß wird, steigt sie auf das Textilgewerbe um. Im protoindustriellen Verlagssystem beschäftigte sie bis zu 900 Frauen, die für sie Posamenten in Heimarbeit fertigten.

Herzog Heinrich der Bärtige liebte sein Annaberg, kam doch von hier ein bedeutender Teil des Rohstoffes für die Münzen des wettinischen Staates. Die hier geprägten Schreckentaler sind besonders beliebt. Geld ist zum allgemeinen Scharnier der Gesellschaft geworden, und der sich entwickelnde Zentralstaat achtet auf die Einhaltung seiner monetären Hoheit. Münzmeister zu sein ist ein gut bezahltes Amt. Wenzel Hünerkopf, vom Herzog in den Adelsstand erhobener Annaberger Münzmeister, lässt sich 1546 gemäß seines neuen Standes das Wasserschloss Klaffenbach errichten. Das feudale System des Grundlehens zerfällt, aufsteigende Bürgerliche übernehmen aber nicht nur die adligen Titel, sondern auch die Lebensweise.

Hans Hesse malt seinen Bergaltar in einem Umfeld, in dem Bergarbeiter rechnen lernen und Gelehrte ihnen bei der Arbeit auf die Finger schauen, in dem sogar Frauen zu Unternehmern werden und eine neue Form der Arbeitsteilung organisieren, in dem sich der absolutistische Staat entwickelt und reich gewordene Stadtbürger besser leben als der verarmte Landadel.

In der Formensprache ist er noch ganz der Gotik verhaftet. Die Zentralperspektive, Brunellescis revolutionäre Neuerung, kennt er noch nicht, die Anatomie der Personen ist ungelenk. Die Selbstverständlichkeit aber, mit der Hesse einen Bergmann in das Zentrum seines Altars stellt und mit der er die wenigen religiösen Figuren zu Randerscheinungen macht, spricht dafür, dass die Zeit reif dafür war. Der Bergaltar ist kein Dokument erster Keime eines gesellschaftlichen Wandels, die neue Zeit, die heute so bezeichnete Moderne, ist schon fest etabliert. Für eine nicht sehr lange Periode wird das erzgebirgische Annaberg ein Brennpunkt des Umbruchs in Europa.

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3 Antworten auf Heiligsprechung der Arbeit

  1. GH sagt:

    Die Hl. Barbara, eine der 14 Nothelferinnen, ist mMn die Schutzheilige der Bergleute, das habe ich hier wiedergefunden:

    http://www.vierzehnheiligen.de/de/gnadenaltar/3-heilige_barbara.php

    Der Hl. Wolfgang, Träger der Axt, ist Schutzpatron der Zimmerleute.

    (Klugscheißermodus OFF)

    Trotzdem Danke für den guten Text!

    GvH

  2. admin sagt:

    Stimmt. Aber die Zimmerleute waren zu dieser Zeit zweifellos im Bergbau ausgesprochen wichtig. Das sieht man ja auch am Patronat der Hauptkirche von Schneeberg, noch einer Bergstadt.
    Sowieso wurden die Heiligen damals mit einer Fülle von Aufgaben überhäuft, kaum zu schaffen. Ein harter Job.

  3. GH sagt:

    Aber dafür kriegst Du, wenn Du tapfer zimmerst, eine personengebundeme Kirche hingestellt:

    http://de.wikipedia.org/wiki/St._Wolfgang_im_Salzkammergut

    GvH

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