Zum Beispiel Kowalski

Es war einmal. Wirklich märchenhaft sind die Erinnerungen an einen im positiven Sinne verrückten Kerl namens Sergej Kowalski. Kennengelernt habe ich ihn bei einem „Studentensommer“ in der sibirischen Stadt Kemerowo Mitte der achtziger Jahre. Hej Kowalski! schallte es immer wieder über die Baustelle des Sportkomplexes, dessen Terrasse wir ausbauten. My name is Sergej war seine stoische Antwort.

Wenige Jahre später, Anfang August 1989, stand ich in Berlin auf einem Bahnsteig des Bahnhofs Berlin-Lichtenberg. Aus dem Zug stieg Kowalski, außerdem ein mir noch unbekannter Junge (der in den frühen Neunzigern zum Anhänger Shirinowskis wurde) sowie ein hübsches Mädchen. Mit dem bin ich nun seit mehr als zwanzig Jahren verheiratet. Ein weiterer Mitreisender, der heute international bekannte Autor Jewgenij Grishkovets, hatte in Moskau den Anschluss verpasst, traf erst am nächsten Tag ein. Wir hatten viel Spaß in den zwei Sommerwochen und auch beim folgenden Besuch Kowalskis in der dann schon kaum noch existenten DDR und meinen Gegenbesuchen in Russland.

Die Kontakte wurden spärlicher, bis ich mich 2011 bei Facebook anmeldete und bald schon Kowalski zu meiner Freundesliste gehörte. Da ist er immer noch, Freund wäre jetzt aber die falsche Bezeichnung. Warum ich ihn noch nicht rausgeschmissen habe, fragt mich meine Frau ímmer wieder. Seit reichlich zwei Jahren häufen sich bei ihm eigene oder geteilte Beiträge, die – um es mal ganz vorsichtig auszudrücken – fragwürdig sind.

Kowalski ist ein gebildeter Mensch, hat ein gesellschaftswissenschaftliches Diplom. Und im Unterschied zu manchen anderen Russen hat er viele Teile der Welt gesehen. Als Manager einer Flugshow reist er nicht nur in frühere Sowjetrepubliken, sondern auch nach ganz Europa und in die USA.

Dass er dort noch reingelassen wird, ist schon erstaunlich. Denn die USA sind der Teufel an sich. Das entspricht allerdings auch der offiziellen Darstellung russischer Medien der Gegenwart. Daneben aber ist er Anhänger sämtlicher Verschwörungstheorien von NWO bis Chemtrails. Sein Aluhut muss zentnerschwer sein. So hat er schon zum wiederholten Male gepostet, die im Sommer 2014 in der Ostukraine abgeschossene Passagiermaschine sei schon beim Start mit Leichen bestückt gewesen. Als Beweis dient ein Foto eines leeren Gestells für Verpflegung, das man so im Wrack gefunden habe.

Auffälligstes Merkmal von Sergej Kowalskis FB-Aktivität – diese ist bemerkenswert hoch, bis zu einem Dutzend Beiträge pro Tag – ist allerdings der Antisemitismus. All die deutschen Kommentatoren, sich zumeist als Linke bezeichnend, die hinter jeder noch so diplomatisch ausgedrückten Kritik an der rechtskonservativ-rechtsradikal zusammengesetzten israelischen Regierung gleich Antisemitismus wittern, sollten einfach mal bei Kowalski reinschauen um zu sehen, dass es echten Antisemitismus gibt. Hier ein ganz frisches Beispiel:

kowalski_juden

Das ist noch harmlos. Wirklich! Von einer ungenierten Rezeption der Protokolle der Weisen von Zion über tägliche Enthüllungen zu jüdischen Machenschaften in der Weltpolitik bis zur Leugnung des Holocaust ist alles dabei. Sogar die Umdeutung des Holocaust: Eigentlich wurden Millionen Deutsche durch Juden umgebracht!

kowalski_holocaust

Andere Komponenten des Kowalski-Kosmos sind Russophilie, imperiales Großmachtdenken und Stalinismus. Neben unsäglich verkitschten „Kulturgütern“ der russischen Geschichte und Mythologie wartet er immer wieder mit überraschenden wissenschaftlichen Erkenntnissen auf. Kurz gesagt: Fast die gesamte Weltzivilisation stammt von den Russen. Um nicht zu langweilen, hier nur ein einziges, ziemlich willkürlich herausgegriffenes Beispiel, wo nachgewiesen wird, dass auch König Artus ein Russe war. Monthy Python würde daraus sofort einen neuen Film machen.

kowalski_artur

Und Stalin? Ungeachtet seiner georgischen Abstammung war er der größte Russe aller Zeiten. Gleich nach Zar Nikolai. Dass dies eigentlich ein Widerspruch sein müsste, fällt doch keinem weiter auf. Die Gulags wurden sowieso vom Juden Trotzki eingerichtet, der dann auch für die Ermordung Stalins verantwortlich war.

kowalski_stalin

„Für mich ist heute das Verhältnis zu Stalin ein Kriterium der Klugheit und Ehrlichkeit: Ein Antistalinist ist entweder ein kaum des Lesens fähiger Trottel oder ein Schuft. Etwas Drittes gibt es nicht.“

Warum arbeite ich mich so an diesem augenscheinlich verwirrten Kowalski ab? Er hat 3178 „Freunde“ auf FB (mich eingerechnet, Stand 27.07.2016), Tendenz steigend. Viele davon kommentieren seine Posts, selten kritisch, zumeist zustimmend und ergänzend.

Bis vor Kurzem dachte ich, Kowalski gehöre zur Schar der von regierungsnahen russischen Organisationen bezahlten Auftragsschreiber. Doch seit einigen Wochen häufen sich Posts, die Putin und Medwedjew angreifen. Ein Grund dafür kann sein, dass Putin die in den 1990er Jahren ausgewanderten Juden aufgefordert hat, nach Russland zurück zu kehren. Wird Kowalski also nicht bezahlt, muss es echte Überzeugung sein. So oder so ist dieser einst so freie, interessante, positiv verrückte Mensch ein Produkt des Systems Putin. Zugleich zeigt er, dass Nationalismus und Rassismus zwangsweise zur absoluten Verblödung führen müssen.

Darum nervt es mich, wenn ich immer wieder mal von Leuten, denen ich eigentlich Denkvermögen zutraue, auf FB Beiträge sehe, wo gegen die deutsche Lügenpresse zugunsten von RT deutsch gewettert wird. So erst vor wenigen Tagen mit dem mehrfach geteilten Offenen Brief einer gewissen Anja Böttcher an den MDR, wo dem Sender unterstellt wird, die Russen in NS-Manier als Untermenschen darzustellen. Diese fleißige Briefschreiberin ist ansonsten im Internet nicht präsent. Wie wäre es also mit selbstständigem Denken, statt diese Propaganda-Kacke zu teilen? Damit meine ich unter anderem Gregor Kozik, den ich als kritischen Geist kenne. Lieber Gregor, wie wäre es, wenn ich mich unter Berufung auf zuverlässige kubanische Quellen darüber beschwere, dass die deutschen Medien die erfolgreiche Politik der venezolanischen Regierung in den Schmutz ziehen?

Wer Putin toll findet, muss auch Erdogan lieben. Und Orban. Und Kaczinski. Trump sowieso. Die Politik der Nato und auch EU gegenüber Russland kann man zurecht miserabel finden. Im Umkehrschluss aber die Politik der russischen Regierung zu verteidigen, ist ausgesprochen naiv. Wer das weiterhin tut, soll bitte eine Freundschaftsanfrage an Kowalski schicken. Mein Freund ist er schon lange nicht mehr, auch wenn ich aus Gründen der Recherche den Kontakt immer noch nicht gekündigt habe.

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2 Antworten auf Zum Beispiel Kowalski

  1. g. haase sagt:

    Nur ein Detail:

    < Die Gulags wurden sowieso vom Juden Trotzki eingerichtet,
    < der dann auch für die Ermordung Stalins verantwortlich war.

    Trotzki wurde am 21.8.1940 in Mexico ermordet.
    Stalin starb am 5.3.1953.

    Man muß offensichtlichen Stuß auch Stuß nennen.

    GvH

  2. admin sagt:

    Wer wird es denn mit solch nebensächlichen Fakten so genau nehmen …

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