Homogen völkisch

Im Windschatten von Wahlerfolgen rechtspopulistischer Parteien hat bei den selbsternannten Vordenkern der Neuen Rechten der Begriff der Ethnischen Homogenität Konjunktur. Es droht ein irreparabler Bruch mit unserer historischen und kulturellen Kontinuität. Das ist der Horizont, vor dem sich diese Frage stellt, schreibt Martin Lichtmesz au der Website der Sezession. Und auf Blaue Narzisse, quasi dem Jugendjournal der Neurechten, resümiert Georg Immuael Nagel: Ja, ein Patriot will selbstverständlich ethnische Homogenität und das ist ein absolut legitimes Anliegen. Wer diese Vision aufgibt, kann es gleich sein lassen.

Das wäre durchaus wünschenswert, dieses Gleichseinlassen. Denn die Argumente der Homogenitäts-Theoretiker sind einfach haarsträubend. Durchgängige Grundlagen ihrer Beweisführung ist zum einen der generelle Verzicht auf die Definition immer wieder bemühter Kernbegriffe wie Volk und Nation sowie eine Verleugnung oder vielleicht auch ein Unwissen bezüglich historischer Prozesse. In beiden Artikeln wie auch weiteren der Neuen Rechten wird stillschweigend davon ausgegangen, dass es solch eine Homogenität früher gegeben habe, sie jetzt aber durch die Masseneinwanderung, meist noch mit der verschwörungstheoretischen These der absichtsvollen Steuerung dieser Migration untermauert, in Gefahr oder gar schon verloren sei.

Ethnische Homogenität ist überall auf der Welt die Normalität, während „multikulturelle“ Regionen sich meistens im offenen oder latenten Bürgerkrieg befinden, schreibt Nagel. Dass das deutsche Bildungssystem versagt habe, kann man angesichts einer solchen von Unbildung stotzenden Behauptung nicht sagen, denn der Mann ist Österreicher. So wie auch Lichtmesz. Dieser führt mehrfach Japan als das Musterbeispiel der homogenen Nation an. Mag sein, dass wegen der bis ins späte 19. Jahrhundert andauernden Isolation des Inselstaates dort bis heute eine größere Blutsverwandtschaft zwischen den Bewohnern herrscht als in anderen Ländern Aber als Normalität überall auf der Welt, wie Nagel behauptet, kann man das gewiss nicht ansehen. Vor allem nicht in Europa.

Die Grenzen sämtlicher europäischer Nationalstaaten sind mehr oder weniger nach diesem Prinzip gezogen, behauptet Lichtmesz. Na klar. Das sagt nun ausgerechnet ein Österreicher. Das Habsburgische Reich als eines von zwei Nachfolgern des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war Multikulti par excellence. Ein Restbestand ist das seltsame Gebilde Belgien. Andererseits fühlen sich die Österreicher Lichtmesz und Nagel offenbar der deutschen Nation zugehörig, obwohl die Ostmark ja seit 1945 nicht mehr zu Großdeutschland von der Maas bis an die Memel (oder zeitweilig bis an die Wolga) gehört. Und Südtirol ging noch eher verloren.

Mit historischer Genauigkeit haben sie es sowieso nicht gerade. Besonders kurios ist der Verweis auf die USA. So schreibt Nagel: Gerade die USA zeigen deutlich, dass die ethnische Bruchlinie niemals aus der Welt zu schaffen ist. So leben viele Afrikaner schon nahezu 200 Jahre in den USA, haben also mit der ursprünglichen afrikanischen Kultur gar nichts mehr zu tun, besitzen jedoch eine neue ethnisch separierte Identität, nämlich die der „Afroamerikaner“. Abgesehen davon, dass die „separierte Identität“ auch Jahrzehnte nach der erkämpften formalen Gleichberechtigung farbiger Amerikaner immer noch von der „weißen Rasse“ befördert wird, weiß Nagel offenbar nicht, dass die Weißen, die ihrerseits aus Migranten verschiedener Abstammung bestehen, nicht die angestammt homogene Bevölkerung der USA sind. So eine hat es nie gegeben. Die weitgehend ausgerotteten Indianer – um diesen eurozentrischen Begriff gebrauchen zu müssen – waren selbst sehr inhomogen.

Doch auch ohne diesen in fast ganz Amerika vollzogenen (aber nicht kritisierten) „großen Austausch“, der durch sie für Europa an die Wand gemalt wird, ist die Ethnische Homogenität eine fantastische Erfindung. Es gab sie nie. Die Schweiz als das territorial stabilste Land Europas ist ein Musterbeispiel für Inhomogenität. Vier offizielle Sprachen, daneben weitere Untergruppen. Geht so Homogenität? Dann gern.

Manchmal können Literaten besser als Wissenschaftler veranschaulichen, was politische Ideologien in der Praxis bewirken. Saša Stanišić beschreibt in Wie der Soldat das Grammophon repariert äußert anschaulich, was ethnische Säuberung bedeutet. Das ist ein Synonym für Ethnische Homogenität im seit je durchmischten Europa. Es heißt Vertreibung, Krieg, Massenmord. Bei Lichtmesz liest sich das so: Wo man sie [die sauberen ethnischen Grenzen] nicht eindeutig ziehen konnte, kam es im 20. Jahrhundert mitunter zu blutigen Konflikten und gewaltsamen Bevölkerungstransfers – man denke etwa an die Tschechoslowakei, Polen, Griechenland und Jugoslawien. Wunderbar. Die ehemals habsburgischen Untertanen Tschechen und Slowaken haben es 1918 also versäumt, die starke deutsche Minderheit gleich zu vertreiben. Dafür musste Hitler, der große Homogenisierer, sie bestrafen. Oder wie ist das abstruse Lichtmeszsche Geschichtsverständnis von den homogenen europäischen Staatsgebilden zu verstehen?

Viele Beispiele für die Idiotie völkischen Aussortierens lassen sich weltweit finden in dieser laut Nagel so normalen völkisch sauber sortierten Welt. Georgien zum Beispiel. Ein kleines Land, in dem Abchasen und Osseten meinten, ethnisch sauber leben zu müssen. Nicht existenzfähig, nun in Abhängigkeit des Vielvölkerstaates Russland. Oder Nagorni Karabach, auch so ein absurder Kriegsgrund wegen Blutsverwandschaften. Die Ostukraine ist noch ein Beispiel. Über Jahrzehnte war es unwichtig, ob Lebenspartner in der Region die gleiche ethnische Abstammung haben oder sich als Russen, Ukrainer oder sonstwas verstehen. Nun sterben Tausende wegen des Wahns der ethnischen Homogenität.

Und wie steht es eigentlich um die Sorben in Deutschland? Quantitativ immer noch zahlreicher als die Südosseten. Sollten die nicht endlich die Deutschen aus ihrem uralten Siedlungsgebiet zwischen Neiße und Schwarzer Elster vertreiben?

Lichtmesz räumt ein: „Ethnische Homogenität“ bedeutet nicht zwangsläufig, daß alle Menschen in einem Gemeinwesen, sei es ein Dorf, ein Staatviertel, eine Region oder ein Nationalstaat die gleiche ethnische Herkunft und kulturelle Prägung haben. Wenn von „ethnischer Homogenität“ die Rede ist, dann kann damit selbstverständlich nur eine relative Homogenität gemeint sein, die indes nur eine bestimmte Ebene der Homogenität bezeichnet. Das passt gut zum Begriff der Überfremdung, der bei Rechten so beliebt ist. Wo endet die erträgliche „Fremdung“, wo beginnt die unerträgliche Überfremdung? Auf irgendwelche Prozentzahlen zulässiger Durchmischung will sich Lichtmesz selbstverständlich nicht einlassen.

Sowohl Nagel wie auch Lichtmesz geben sich als Verteidiger der Demokratie, wie man das von aufrechten Rechtsradikalen eben erwartet. Völlig überzeugend weisen sie nach, dass Demokratie nur mit Homogenität funktioniert, da ja bei einer Durchmischung nicht klar ist, wer denn zum Demos gehöre, wer nicht. Praktisch alle Staaten der beiden Amerikas sind also per se der Demokratie unfähig.

Nagel behauptet, dass alle Einwanderer Parallelgesellschaften bilden, also eigentlich seinem Ideal der Nichtdurchmischung gehorchen. Die „neuen Deutschen“ werden nach unserer Verdrängung auch eine ethnisch homogene Gesellschaft bilden. Sie wird überwiegend aus dunkelhäutigen Mohammedanern bestehen. Parallelgesellschaften gibt es tatsächlich. Das eine Prozent der Superreichen bildet eine. Wahrscheinlich kann man auch das Rittergut Schnellroda oder das Dorf Jameln als Parallelgesellschaft bezeichnen, wenn auch nicht nach ethischen Kriterien. Ansonsten aber ist die Durchmischung etwas Normales, wenn auch gegen energische Widerstände sowohl von deutschen wie auch türkischen, arabischen oder sonstwelchen Patriarchen, also Rechtskonservativen aller Ethnien. Ich bin mit einer Nichtdeutschen verheiratet, mein Bruder ebenso. Zu meinen Freunden gehören Menschen verschiedenster Abstammung, darunter auch Muslime und Juden. Viele davon frönen der Rassenschande und setzen auch noch Kinder in die Welt, die nicht der neurechten Rassenhygiene entsprechen.

Es ist selbstverständlich, dass auch wir ein Recht darauf haben, im eigenen Land unter unseresgleichen leben zu wollen. Das betrifft auch Einwandergruppen, die wenig bis gar nicht negativ auffallen. Die gesunde Liebe zum Eigenen und der Wunsch, es erhalten zu wollen, ist kein „Rassismus“, nicht „Hass auf das Fremde“, sondern ein völlig normales Gefühl. Herr Nagel, ich als völlig Unnormaler, der Sie unmissverständlich als Rassisten und Fremdenhasser bezeichnet, gebe Ihnen mal einen gut gemeinten Ratschlag. Suchen Sie sich eine ausländische Frau (oder Mann bei entsprechender Orientierung), notfalls ein(en) Deutsche(n), die ja für Sie als Österreicher auch etwas Fremdes ist, besser aber Afrikaner, Asiaten etc., und haben Sie intensiven, guten, anhaltenden Sex miteinander. Gern ohne Verhütungsmittel. Das hilft bei der Heilung von völkischen Neurosen wie der einer ethnischen Homogenität und deren Nutzen. Wirklich.

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4 Antworten auf Homogen völkisch

  1. Se. sagt:

    Ei gucke da. Typisch Brillenbartträger: erst beleidigen, dann die Kommmentare streichen – links bleibt halt links 🙂

  2. admin sagt:

    Anonyme Kommentare lösche ich nicht. Seit fast drei Jahren habe ich aber eingeführt, Kommentare vor der Genehmigung zu genehmigen oder eben nicht. Mit anonymen Zuschriften passiert das ausgesprochen selten. Nach den Gründen dürfen Sie Kunstkritiker Jürgen Henne fragen (juergen-henne-leipzig@web.de). Die Zulassung Ihres Kommetars (immerhin duzen Sie mich nicht) erfolgt ausschließlich für diesen Hinweis.
    Übrigens trage ich keinen Brillenbart, weiß nicht einmal, was das sein soll.

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