Ein Türsteher namens Ludwig

Mit der Umbettung von Max Klingers berühmter Beethoven-Skulptur setzt der neue MdbK-Direktor Weppelmann einen ersten Akzent.

Nein, er steht nicht. Den grimmigen Gesichtsausdruck und die geballten Fäuste hat er aber mit den muskulösen Herren vor dem Berghain oder anderen Clubs gemein. Max Klingers Beethoven von 1902 gehört zu den bekanntesten Exponaten des Museums für bildende Künste Leipzig. Seit Kurzem hat die Skulptur einen neuen Standort in der Eingangshalle, wo die Besucher nach Bewältigung der übergroßen Türen dem Kassenraum zustreben. Jahrelang stand hier der Maskenmann Wolfgang Mattheuers, zeitweilig auch ein Flüchtlingsauto Manaf Halbounis.

(Fast-)Stillleben mit Desinfektionsspender.

Nun also Beethoven, eine Preziose des Museums. Als 2004 der vom Berliner Büro Hufnagel Pütz Rafaelian entworfene, nicht ganz einfach zu bespielende Neubau des Museums bezogen wurde, war für Klinger ein besonderer Raum eingerichtet worden mit erhöhter Deckenlast, weil der Beethoven mit seinen reichlich sechs Tonnen ein schwerer Brocken ist. Im vorigen Jahr konnte man ihn dort noch in der großen Hommage an das Leipziger Multitalent Klinger sehen, bevor er nach Bonn zur Fortsetzung der Ausstellung ausgeliehen wurde. Die Demontage und Montage der acht Teile aus verschiedenen Materialien ist immer eine logistische Meisterleistung. Nach der Rückkehr aus Beethovens Geburtsstadt musste er zumindest nicht mehr Fahrstuhl fahren.

Stefan Weppelmann ist seit Anfang 2021 Direktor des Museums der bildenden Künste. Sein Vorgänger, der umtriebige Alfred Weidinger, hatte das Haus nach nur drei Jahren Richtung Linz verlassen. Weppelmann gilt als Experte für die frühe Renaissance, die Berliner Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ machte ihn bekannt. Gelegenheiten zur Profilierung hatte er in Leipzig bisher kaum. Wegen Corona mussten viele Ausstellungen verschoben werden, andere wie die erfolgreiche Schau Andreas Gurskys wurden noch vor seinem Amtsantritt konzipiert.

Nun krempelt er das ganze Haus um. Das hat Weidinger auch getan. Die Neukonzeption der Dauerausstellung wurde erst nach seinem Weggang fertig, nicht all zu viele Besucher konnten sie überhaupt sehen. Nun wird wieder die Reset-Taste gedrückt. Dass ein neuer Chef andere Vorstellungen hat als der vorige, ist normal. Aber die Umgestaltung in so kurzem Rhythmus bindet Ressourcen, die anderswo fehlen dürften.

Die Umplatzierung Beethovens ist keine isolierte Maßnahme, ordnet sich in die Neukonzeption des

Erdgeschosses ein. Das Café hat einen neuen Betreiber. Der dem Haupteingang benachbarte Raum, wo einst Wasmuth Bücher verkaufte, soll zur offenen Lounge werden. Und der Raum mit der Zündkerzen-Leuchtwerbung, durch einen eigenen Eingang mit dem Außen verbunden, wird zum Concept Store, was immer das auch heißen mag. Ob Klinger-Repliken im Vertiko-Format sinnvoller sind als ein breites Angebot an Kunstliteratur, sei dahingestellt. Unter Weidinger durften sich hier sehr junge Künstlerinnen und Künstler mit selbst kuratierten Konzepten austoben.

Dass ein anderer Beethoven, der von Markus Lüpertz geschaffene und von Weppelmanns Vor-Vorgänger vor dem Haus platzierte, verschwinden soll, dürfte kaum auf Widerstand stoßen. Beliebt war diese in Bronze gegossene Karikatur nie.

Weil die konservatorischen Bedingungen in der zugigen Eingangshalle nicht gerade optimal sind, wurden die Elfenbeinköpfchen an der Kopflehne des Klingerschen Komponisten-Thrones durch Repliken aus Kunststoff ersetzt. Wäre es nicht besser gewesen, dass ganze Artefakt in Einzelteilen ins sichere Depot zu schaffen und durch einen 3D-Ausdruck zu ersetzen? Die so viel beschworene Aura des Originals spielt doch offenbar sowieso keine Rolle mehr.

Max Klinger kann man lieben oder scheußlich finden. Viele Zwischenstufen sind kaum möglich. Dass er in seiner Liebe zu überhöhten Metaphern meist kräftig daneben lag, beweist seine Umdeutung von Chemnitz in eine von sonnendurchflutete, von halbnackten Musen bevölkerte mediterrane Hafenstadt im großen Saal des Rathauses. Doch auch sein „Christus im Olymp“ im MdbK verdient das Jugendwort des Jahres 2021.

Der Beethoven, sein wichtigstes Werk als Bildhauer, ist ebenso von Pathos getränkt. Doch gerade deshalb braucht er eine quasi sakrale Aufstellung. Diese hatte er im Foyer des Gewandhauses nicht, wo er vor dem Neubau des Museums stand. Mit dem Runaway-Ludwig wird das Werk aber noch mehr degradiert. Da kann er so streng schauen, wie es nur geht. Hilft nichts.

Dieser Beitrag wurde unter neues veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten auf Ein Türsteher namens Ludwig

  1. Sylvia Schade sagt:

    Degradiert – ist das richtige Wort – !
    Als ich neulich im Museum war, glaubte ich, dass dies sicher nur ein vorübergehender „Abstellplatz“ für die Klinger-Skulptur sei.
    Dem ist wohl nun nicht so.

    Schade, Max, dass hast Du nicht verdient!

  2. GH sagt:

    Hallo Jens,

    wenn es schon dem Beethoven so schlecht ergangen ist, wohin ist
    den dann die Kassandra verbannt worden? Die hier:

    https://androom.home.xs4all.nl/biography/a002250.htm

    Bekannt und berühmt von der Laibach-Single mit den Beatles-Coverversionen:

    https://www.discogs.com/release/105768-Across-The-Universe/images

    Where is she now?

    GvH

Schreibe einen Kommentar zu GH Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.