Chemnitz–Leipzig und zurück

Abends gegen sieben, das Handy klingelt. Ein Redakteur der LVZ ist dran. Ob ich nicht morgen schnell einen Nachruf auf Erasmus Schröter schreiben kann. Kann ich, aber nur deshalb, weil ein Gespräch mit meinem neuen Arbeitgeber gerade abgesagt wurde. Es gibt noch Verzögerungen beim Vertrag. Also liefere ich am nächsten Tag 120 Zeilen ab, pünktlich und exakt. Wie gewohnt in den letzten zehn Jahren. Der vorletzte Text. Den letzten über Frenzy Höhne in der ODP-Galerie hatte ich selbst eingerührt.

Dass ich anfing für die LVZ zu schreiben, war eher Zufall. Ich erwähnte 2011 auf Facebook, dass ich gerade meine letzte Ausstellungsrezension für den Stadtstreicher Chemnitz abgeliefert habe. Da fragte mich Meinhard Michael, ob ich nicht auch in Leipzig mal was schreiben wolle. Gern. Ironie der Geschichte war, das Michael einige Wochen später vom damaligen Chefredakteur geschasst wurde. Das wollte ich nicht, aber ich profitierte davon.

So lange ich auf Zeilenhonorar schrieb, bemühte ich mich, viel unterzubringen. Gelegentlich waren es zwei Artikel pro Tag. Ein Jahr später erhielt ich einen Jahresvertrag. An Menge änderte sich dadurch nicht viel. Bis – ich glaube 2013 – der Platz für die Kultur deutlich eingedampft wurde. Mit der Umstellung des Blattformates wegen Aufgabe der eigenen Druckerei im vorigen Jahr wurde es nochmals weniger.

Die Vertragsverlängerung war vor zwei Jahren kipplig, weil ich gegen eine AfD-affine Darstellung im Lokalteil protestiert hatte. Doch ich bekam sie.

Seit einem Jahr ist es schwierig, bei weitgehend geschlossenen Museen und Galerien Themen zu finden. Ich bilde mir ein, es trotzdem geschafft zu haben. Und ich habe mich immer loyal gegenüber dem Medium verhalten, auch wenn ich da nicht alles so gelungen finde. Mit dieser einen Ausnahme eben, da war die rote Linie überschritten.

Seit Dezember hat die LVZ eine neue Chefredakteurin, Hannah Suppa. Zu ihrem vorstellenden Gespräch per Videokonferenz war ich als Freier sogar eingeladen. Sie betonte, wie wichtig ihr der Lokaljournalismus ist. Bei der immer stärkeren Konzentration der Inhalte beim Mutterkonzern Madsack in Hannover klingt das nicht schlecht.

Im März fragte mich einer der Redakteure per Mail an, ob es passt, dass er mich mal anrufen kann. Das klingt verdächtig. Wenn es irgendwo brennt (siehe oben), ruft er ohne Ankündigung an. So war es dann auch. Mein Vertrag läuft nicht einmal fristgemäß aus, sondern wird vorzeitig für Ende Mai gekündigt. Frau Suppa „strukturiert um“. Die vor Jahren in die Lokalredaktion verbannten Redakteure der „Szene“ kehren in die Kultur zurück. Das ist richtig so. Doch da dafür kein zusätzlicher Platz eingeräumt wird, schrumpft der Platz für die Kultur nochmals. Also braucht man mich nicht mehr.

Ich könne wieder auf Zeilenhonorar schreiben, sogar mit einem Sockelbetrag. Angesichts der Chancen, etwas platzieren zu können, käme ich da bestenfalls auf 500 Euro pro Monat. Das reicht nicht einmal für die Miete. Andere Einnahmequellen liegen brach, so die Stadtführungen. Ein Buchprojekt, in das ich schon Monate Arbeit gesteckt habe, wurde vom Verlag auf Eis gelegt. Und meine Frau, Inhaberin eines kleinen Ladens, kann da gegenwärtig auch nicht helfen.

So habe ich mal wieder seit Jahren bisschen Gitarre geübt und mir schon geeignete Plätze in der City ausgesucht. Dass ich miserabel singe, kann ich im Moment auf die schlechte Akustik unter der Maske schieben. Aber ich habe mich seit langem auch mal wieder nach Stellenausschreibungen umgesehen. Nun ist das mittelgroße Wunder geschehen. Seit Montag bin ich als Lokalredakteur bei der Freien Presse in Chemnitz angestellt. Zwar muss ich in die aktuelle Thematik in der Stadt, die ich vor 15 Jahren verlassen habe, erst einmal wieder reinfinden. Aber das ist machbar.

Ich freue mich auf den Job. Und ich ärgere mich über Frau Suppa. Auf meinen Twitter-Text, in dem ich das zum Ausdruck bringe, hat sie eine PN geschrieben. Warum ich denn nicht den Kontakt zu ihr gesucht hätte, man wolle mich doch nicht ganz rauswerfen. Den Kontakt zu mir hat sie selbst nie gesucht, ein Redakteur musste die schlechte Nachricht überbringen. Und für Hartz IV-Konditionen schnell mal einspringen, ist kein seriöses Angebot.

Auf meine Nachricht, dass gerade mein letzter Artikel in der LVZ erschienen sei, gab es auf Facebook etwa 60 bedauernde Rückmeldungen. Noch viel mehr auf die am nächsten Tag platzierte Nachricht, dass ich nach Chemnitz gehe, diesmal mit positiver Resonanz. Natürlich überwiegend von Chemnitzern. Das ist Rückenwind.

Ich fand es im Dezember gut, dass eine Frau die Chefredaktion der LVZ übernimmt, ebenso, dass sie so alt ist wie meine Tochter. Weniger gut, dass sie erneut aus dem Westen kommt. Vielleicht ist es nach 30 Jahren Zeit, mal wieder eine Person an die Spitze der Zeitung zu lassen, für die es keine Sprosse der Karriereleiter ist, sondern die von hier kommt und die Spezifika der Stadt kennt. Die Kultur zum Beispiel.

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