Vielfalt des Protests

Eine Leseprobe – sechs von fast 200 Stichworten

Carwalking

Das Laufen über geparkte Autos als Protest gegen den ausufernden individuellen Verkehr und speziell das Zuparken von Fuß- und Radwegen wurde vermutlich erstmals von Michael Hartmann 1988 in München praktiziert. Falls dabei Schäden am Fahrzeug entstehen, kann die Aktion strafrechtlich verfolgt werden. Hartmann bot deshalb Seminare an, um Interessierte im legalen Carwalking zu schulen.

Carrotmob

Bei dieser Sonderform des >Smart Mob werden mittels heutiger Kommunikationsmedien Teilnehmer aufgerufen, in einem bestimmten Laden massenhaft einzukaufen. Mit dem Ladeninhaber wurde zuvor abgesprochen, dass er einen Teil des so entstandenen Umsatzes in ökologische Sanierungsmaßnahmen zu investieren. Im Unterschied zum bestrafenden Boykott schafft dieser „Buykott“ positive Anreize, so wie die Karotte vor der Nase eines Esels. Daher die Bezeichnung.

Clowning

Beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 wurden erstmals in Deutschland Demonstranten, die mit Seifenblasen und Wasserpistolen gegen die Polizeikordons vorgingen, durch die Medien wahrgenommen. International ist die Clandestine Insurgent Rebel Clown Army (CIRCA) schon länger aktiv. Sie tritt, mit Staubwedeln „bewaffnet“, wie eine militärische Formation auf, um Polizeifahrzeuge symbolisch abzustauben.

Clownerie oder zumindest die Verkleidung von Teilnehmern an Demonstrationen und Kundgebungen in Clownskostümen haben ambivalente Wirkung. Wegen ihres spaßigen Charakters können sie zur Deeskalation beitragen oder genau das Gegenteil bewirken, weil die Vertreter der Ordnungsmacht sich eben nicht ernst genommen fühlen.

Kauf-Nix-Tag

Der letzte Freitag (USA) oder Samstag (Europa) im November wird seit einigen Jahren von konsumkritischen Organisationen als Buy Nothing Day begangen. Eigentlich ist dieser „Black Friday“ mit Rabattaktionen der Handelsketten einer der umsatzstärksten Tage des Kalenderjahres kurz vor Weihnachten. Durch Verzicht auf jeden Einkauf an diesem Tag soll das kapitalistische Konsumverhalten in Frage gestellt werden.

Masseneintritt in Partei

1998 versuchten Berliner Studenten auf Initiative Rudi Hielschers, massenhaft in die FDP einzutreten, um sie zu unterwandern und politisch neu auszurichten. Der Versuch scheiterte zunächst. Drei Jahre später setzte sich der Parteivorsitzende Guido Westerwelle für die Aufnahme der Rebellen ein, die auch umgesetzt wurde. Zu einer inneren Veränderung führte dies allerdings nicht.

Reclaim the Street

Die „Rückeroberung der Straße“ ist Protest gegen die Privatisierung des öffentlichen Raumes oder die Vereinnahmung des Stadtraumes durch den motorisierten Verkehr, kann aber auch darüber hinausgehende politische Forderungen verbreiten. RTS findet zumeist in Form nicht angemeldeter Straßenfeste, Karnevals, Konzerte oder auch als Fußballspiel auf einer Straßenkreuzung statt.

Eine Sonderform ist >Critical Mass. Eine andere spezifische Aktion ist der No Parking Day, der in vielen Ländern am dritten Freitag im September begangen wird. Anwohner und andere Aktivisten verwandeln Parkspuren von Straßen temporär in öffentlich nutzbaren Raum. Manchmal wird Rollrasen ausgelegt, manchmal sind es nur Absperrungen, um auf dem gewonnen Platz Sitzgelegenheiten, Spielplätze und Picknicks zu organisieren und Feste zu feiern.

Jens Kassner: Wörterbuch des Protests. Von Ablehnung bis Ziviler Ungehorsam. Norderstedt: BoD 2021, 8,99 €. ISBN 978-3753491936

Dieser Beitrag wurde unter literatur, politik veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.