Aus der Konserve

Zur Buchmesse gab mir Andreas Eichler, der vor über 20 Jahren mal mein Kollege war, ein kleines, selbst verlegtes Büchlein. „Innokonservation. Erneuern und Bewahren“ nennt es sich. Also eine weitere der gerade so hoch im Kurs stehenden Fortschrittskritiken. Doch dass gerade Zweifel an Wachstum, Moderne, Progress von Autoren unterschiedlichster politischer Ausrichtung in Buchform gebracht werden, kann er wohl nicht wissen. „Ich warte lieber ab, was wirklich bedeutsam ist, meide deshalb Neuerscheinungen grundsätzlich.“ Und ein Fernseher kommt ihm auch nicht ins Haus.

Eichler, ein promovierter Philosoph, gibt seinem Text die seit Plato in der Sparte so beliebte Form eines fiktiven Dialoges. Das Sokrates-Ich setzt seine Hebammenzange hier bei einem jungen Nerd an, den es zufällig auf der Buchmesse Wien trifft. Dass der Computerfreak angeblich dort hingeht, um auf einen Schlag zu sehen, was es denn so an neuen Büchern gäbe, ist bezeichnend für die Realitätsnähe der gesamten Konstruktion.

Der Autor bekennt sich zum Konservatismus. Doch im Unterschied zu den vielen Wertkonservativen, die von den Grünen bis zu den Neurechten sich tummeln, gehört er zur eher seltenen Gattung der Strukturkonservativen. Innovationen, kulturellen und mehr noch technischen, steht er grundsätzlich skeptisch gegenüber. Das exerzieren er und seine Gegensprechperson am Beispiel des PC durch. Unter Schmerzen gesteht er diesem ein gewisses positives Potenzial zu, da er dezentralisierende Wirkungen hat. Eigenartigerweise fällt das Stichwort Internet in diesem „Gespräch“ überhaupt nicht, obwohl dessen gesellschaftsverändernden Wirkungen drastischer sind als die des isolierten PC. Als dann der Nerd auf 3D-Drucker zu sprechen kommt, bezeichnet Eichler das als schlichten Humbug: „Da gibt es Geräte, die aus Modelliermasse irgendeine Form herstellen, die vorher im Computer berechnet wurde. Was soll denn das?“ Jemand, der sich mit der Materie auskennt, würde hier heftig widersprechen. Nicht so der Pappkamerad, der ja nicht mehr wissen kann als sein Schöpfer. Er ist dafür da, die richtigen Fragen oder Einwände zu bringen, die es dem Philosophen erlauben, die passenden Zitate von Meister Eckart oder Herder zu bringen.

Eichler, der früher mal seitenweise Marx aus dem Kopf hersagen konnte, lässt nun letztlich eine Transzendenz als Ausweg aus der Sackgasse des Fortschritts anklingen. Dass das allgemein bekannte Dilemma seine tiefsten Ursachen in der wirtschaftlichen Eigendynamik des Kapitalismus hat, will er nicht mehr wissen.

Schade eigentlich. Würde er heutige Bücher lesen, beispielsweise „Selbst denken“ von Harald Welzer, könnte er wissen, dass manche Denker auch ganz materialistische Lösungsvorschläge haben.

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