Angefahrenes Kind

Zuviel ist schon über Helene Hegemanns Axolotl Roadkill geschrieben und gestritten worden, als dass eine Rezension jetzt noch Sinn machen würde. Aber ich hab es mir eben erst jetzt aus der Bibliothek geholt und gelesen. Und ich find das Buch ziemlich gut. Viel besser jedenfalls als den vorherigen Skandalroman namens Feuchtgebiete, der durch nichts weiter als Mittelmaß auffällt.

Zunächst mal hat der Text einen mitreißenden Drive. Obwohl genau genommen nicht sonderlich viel Handlung passiert, ist fast immer Tempo drin. Desweiteren beeindruckt mich der Wortschatz der sechzehnjährigen Akteurin, womit ich nicht unbedingt Scheißfotze und Arschfick meine. Die Autorin war ja selbst nicht älter, als sie das Buch schrieb. Wie sie beispielsweise beim Sinnieren darüber, ob sie Suppenhuhn oder Brathuhn kaufen soll, einer zufälligen Passantin im Supermarkt ihren Vater beschreibt: Der ist eins von diesen linken, durchsetzungsfähigen Arschlöchern überdurchschnittlichen Einkommens, die ununterbrochen Kunst mit Anspruch auf Ewigkeit machen und in der Auguststraße wohnen. Jeden Tag bis zu elf Prostituierte, jeden Tag Haarwachs und jeden Tag mit Textmarkern melancholisch expressionistische Kunstwerke ausmalen, die er aus schwarzweißen Plattencovern zusammensetzt. Nachts werden die dann auf LSD mit seinem Galeristen an die Wand genagelt. Boing! Manchmal wirken die Wortkaskaden wie automatisches Schreiben. Oder orale Inkontinenz, wie Mifti, die drogensüchtige Schulverweigererin, ironisch sagt. Die Selbstironie gilt auch für Helene Hegemann selbst, wenn sie sich mehrfach über diese geistig frühreife Minderjährige lustig macht. Tatsächlich klingt es manchmal wie William Borroughs als Teenager. Aber das muss ja erst mal so hinkriegen. Respekt.

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2 Antworten auf Angefahrenes Kind

  1. admin sagt:

    Ja, ohne diese ganze Debatte wäre ich wohl gar nicht auf die Idee gekommen, das Buch zu lesen. Dass sie nichts davon selbst hingekriegt hat, ist Schnulli. Konkret ging es darum, dass sie von Airens „Strobo“ abgeschrieben hat, ohne die Quelle zu benennen. Und ich habe auch das lange Interview mit H.H. in Spex gelesen und ebenda das mit Rene Pollesch, wo dann die ganze Aufregung als Luftblase erscheint. Welcher Schriftsteller hat sich nirgendwo bedient? Sicherlich viele, aber das sind dann zumeist auch superlangweilige Nabelschau-Ergüsse. Auch Montieren will gekonnt sein. Und hat eine lange Tradition.

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