Buchmessenachwäsche

Da lag etwas in der Luft bei dieser Buchmesse 2012. Der Frühling, klar. Das meine ich aber nicht. Umbrüche, kaum sichtbar, doch spürbar, geisterten durch die Hallen. Dass erstmals seit Jahren kein Besucherrekord vermeldet werden konnte, muss kein Symptom dafür sein. Immerhin gab es doch andere Bestmarken wie die höchste Zahl an Ausstellern oder eine weitere nennenswerte Steigerung der Veranstaltungen bei „Leipzig liest“.

Das Wort sei kein Wert mehr, klagt mir ein befreundeter Verleger aus der westsächsischen Provinz mit bangem Blick auf seine kleinen Gedicht- und Aphorismenbände. Wenige Stände weiter freut sich ein anderer Bekannter, dass sein bildlastigen Bände gut laufen. Meinhard Michael schließlich, Journalist für den MDR, sieht nicht nur im scheinbaren Rückzug des gedruckten Wortes eine Gefahr für die Kultur, auch im Hörbuch und der Flut von Ratgeber- und Kochbüchern, Krimis, Bestsellern.

Tatsächlich findet man Marx und Žižek als Comic, van Gogh als Bildgeschichte, Aufzeichnungen aus Jerusalem als Graphic novel. Der Iconic turn ist in voller Drehung. Und man findet die Schwemme an Produkten, die mit anspruchsvoller Literatur nicht viel zu tun haben. Vom Event-Charakter der Darbietung ganz zu schweigen, da sind die vielen Cosplay-Kids nur der auffälligste Ausdruck.

Man muss wohl zwei Dinge unterscheiden, auch wenn das zeitlich und räumlich schwer fällt. Die eigentliche Messe ist ein ganz und gar kommerzielles Unternehmen, da zählen nur Umsatzzahlen. Ein Freund, den zufällig in der Glashalle traf, fragte, warum er denn eigentlich als Buchinteressent Eintritt bezahlen müsse. Ganz einfach. Beim Geschäft zwischen Herstellern und Händlern ist der Endverbraucher zunächst Störfaktor, dafür muss er Strafe entrichten. Da der Weg vom Schreiber zum Leser dank Internet aber kürzer geworden ist, sieht die Branche eine Gefahr.

Die andere Sache hingegen ist „Leipzig liest“, teils in den Messebetrieb integriert, vor allem aber flächendeckend in Stadt und Umland. 2500 Veranstaltungen sollen es diesmal gewesen sein, was sich im Programmheft wegen der im Vorjahr eingeführten Gebühr für Einträge nicht ganz widerspiegelt. Und der Andrang ist gewaltig, gerade auch bei Literatur, die nicht ganz so leicht konsumierbar ist. Fast schon surreal fand ich das Erlebnis, gegen Mitternacht in einer zur temporären Lyrikbuchhandlung umfunktionierten Galerie an der Karl-Heine-Straße etwa 30 Leute (mehr passen nicht rein) zu sehen, die Gedichte hören. An eine Verramschung oder gar ein Absterben der Literatur, die über Kochrezepte, Thriller und Esoterik hinausgeht, kann ich nicht glauben.

Ein anderer Umbruch besteht in der Digitalisierung. Zunehmende Anpreisung von E-Books sind ein Zeichen dafür, aufwändigere Gestaltungen der gedruckten Gegenstücke ein anderer. Ein indirektes sind Buttons, mit denen manche Autoren rumliefen. Bei Peter Wawerzinek habe ich ihn zuerst am Revers gesehen: „JA zum Urheberrecht!“ Ob dieser Rebell eigentlich weiß, dass das Urheberrecht in der jetzigen Form ein Produkt des Disney-Imperiums ist und keineswegs im Interesse der Künstler?

Veränderungen liegen in der Luft. Aber gefährdet ist mehr der Profit einiger Großkonzerne, als die Qualität der Literatur. Sofern man zumindest Worte nicht per se für wertvoller hält als visuelle Elemente und das gedruckte Wort für wertvoller als das digitale. Und die Distribution von Wissen und Kultur wird sich noch radikaler umwälzen. Da helfen kein Acta und keine roten Buttons.

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7 Antworten auf Buchmessenachwäsche

  1. udo-neisse sagt:

    gefällt mir sehr gut… außer daß ich vorletzten Satz nicht verstehe, was Du zuvor sauber trennst und veranschaulichst, wirfst du da in eine üble Zeitgeistschablone bzw. was soll „noch radikaler“ sein???

  2. GH sagt:

    Zum Thema ACTA gibt es ja viel zu lesen (ich empfehle immer wieder Fefes Blog, aber auch das hier ist gar nicht so schlecht:

    http://www.spreeblick.com/2012/03/26/get-the-balance-right/

    GvH

  3. admin sagt:

    @ udo-neisse

    Also „noch radikaler“, wohl besser ausgedrückt noch konsequenter, wird die Ablösung des gedruckten Buches durch E-Book und Internet-Daten vor sich gehen, ohne dass das Buch deswegen gänzlich verschwindet. Und ich sehe darin nicht unbedingt einen Nachteil. Dass manche Schwarten in Millionenauflage nicht mehr ganze Wälder verbrauchen, ist gut. Und bei den nach wie vor auf Papier produzierten Büchern geht der Trend jetzt schon zu mehr Aufmerksamkeit bei Typografie, Papierauswahl, Bindung, Veredelungstechniken. Auch das sehe ich nicht als nachteil.
    Wegen des heiklen Themas Urheberrechte hatte ich beim Schreiben Sven Regeners Wutausbruch mit im Sinn: http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/regener_interview100.html
    Da geht es eigentlich um Musik, ist aber im Endeffekt das Gleiche. Und da finde ich eben, es ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel, so wie Regener (den ich als Musiker und Autor eigentlich schätze) zu argumentieren und dabei auch noch die Konzerne in Schutz zu nehmen, die nun nicht mehr so wie absahnen wie in den Jahrzehnten zuvor. Bei dieser Frage sind neue Regelungen nötig, die aber weit über den Kultursektor hinausgehen, letztlich die Verteilungsgerechtigkeit gesamtgesellschaftlich neu definieren müssen. Das ist dann wirklich radikal. Ein sehr komplexes Thema, das sich am wenigsten mit Forderungen, alles solle so bleiben wie jetzt, lösen lässt.

  4. udo-neisse sagt:

    weniger, aber bessere Bücher, liebevoll hergestellt… was für eine Vision!

    (und Thalia zieht sich vom Buchhandel zurück und kauft Doc Morris!)

  5. admin sagt:

    So eine fantastische Vision ist das nicht, wenn man sich auf der Messe wirklich umsieht.
    Thalia ist Douglas, die verkaufen sowieso Parfüm. Das Verschwinden von Thalia wäre zumindest in Leipzig kein Verlust. Ich gehe sowieso lieber in die kleinen Buchhandlungen, die zu keiner Kette gehören. Und da findet man auch die gut gemachten Bücher.

  6. wawerzinek sagt:

    das kleine runde rote ding an meiner brust, das zum urberrecht krähte: ich nahms als ur-rechts-button aller menschen, von ziet zu zeit bis allzeit auch als autor einen heben zu dürfen. aufheben mein erhöhen, bewahren, küren und weniger – aufhebens wegen einem button zu veranstalten, lieber schreibender geselle, du

    herzlichst gegrüsst aus jena 2012

  7. admin sagt:

    Lieber Herr Wawerzinek, sicherlich ist es ein Zufall, dass ich nun gerade bei ihnen diesen Button zuerst gesehen habe. Was mich aber ärgert ist, dass sich diverse Leute ohne weiteres Nachdenken sowas anstecken, ohne sich über die Entstehungsgeschichte des bestehenden Urheberrechtes Gedanken zu machen. Oder können Sie mir begründen, warum ihre Werke bis 70 Jahre nach dem Tod geschützt sind, dann aber frei verfügbar? Sicherlich weiß das auch Sven Regener nicht. Aber was Rock´n Roll und Independent bedeuten weiß er.
    Ich bin selbst nicht nur „schreibender geselle“, sondern auch Autor (da es in diesem Handwerk keine IHK-Abschlüsse gibt, weiß ich nicht, wer sich Meister nennen darf). Und meine recht bescheidenen Einkünfte beziehen sich zu über 90 % aus dieser Tätigkeit. Also habe ich ein privates Interesse an einer gerechten Entlohnung dieser Arbeit. Warum aber wird dann die ungerechte Gewinnspanne der großen Verwerter verteidigt? Wie wäre es denn, gemeinsam für 1.) ein bedingungsloses Grundeinkommen und 2.) für eine sogenannte Flatrate, die angesichts der ohnehin technisch nicht mehr zu überwachenden Kopierbarkeit sinnvoll ist und allen Urhebern zugute kommt, zu kämpfen, statt das vorrangig den Großkonzernen dienende Recht in der existenten Form ohne Nachzudenken zu verteidigen?

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