Bananen für Wuppertal, Fleischkäse für Zeitz

Die Zeichnungen des Leipziger Künstlers Sebastian Jung sind lakonisch, seine Projekte hintergründig

Zimperlich ist er nicht bei der Auswahl der Schauplätze, wo er im Stakkato Dutzende oder gar eine dreistellige Anzahl von Skizzen zeichnet. Sebastian Jung geht zu Erotik-Messen, beobachtet Trinker vor einer Imbissbude, hat sogar eine Jahreskarte für den Freizeitpark Belantis erworben. Und er war im September 2018 beim Aufmarsch Rechtsradikaler in Chemnitz ebenso dabei wie beim Massenevent der sogenannten Querdenker im November des gerade zu Ende gegangenen Jahres in Leipzig. Detailliert können solche hastig angefertigten Skizzen natürlich nicht sein. Doch das sind auch andere, ruhiger entstehende Zeichnungen nicht. Der quasi kindliche Blick hat für den Künstler eine gewisse Universalität, aber auch ein meditatives Moment. Um handwerkliche Raffinesse geht es ihm nicht.

Auch wenn er pausenlos Bilder anfertigt, muss man Sebastian Jung eher als Konzeptkünstler bezeichnen. Die Kritzeleien sind die eine Sache, nicht unwichtig. Doch sie sind zumeist eingeordnet in übergreifende Projekte zu gesellschaftlich relevanten Themen, in welche häufig auch weitere Beteiligte einbezogen werden. So entstehen dann Publikationen wie das 2019 erschienene Buch „Ostdeutsch Now“, in dem mehrere Autorinnen und Autoren wie Jörg Sundermeier, Nhi Le und Christoph Tannert ihre Sicht auf das Thema darstellen, aber auch mehrere Aktionen Jungs dokumentiert werden. Eine davon fand in Zeitz in einem ehemaligen Geschäft mit dem schönen Namen Fleischerei Merkel statt. Auf dem leeren Wursttresen liegt die deutsche Fahne mit dem Loch in der Mitte. Das herausgeschnittene Emblem des „Arbeiter- und Bauernstaates“ ist nach unten gerutscht. Mehrfach taucht das Motiv eines Fleischkäsebrötchens auf. „Meine Freunde sind nach Bayern gezogen, ich nach Sachsen“ nennt sich die Intervention, die sich mit dem Strukturwandel im Osten beschäftigt.

Sebastian Jung, Jahrgang 1987, stammt aus Jena, wuchs im Plattenbaugebiet Winzerla auf, wo es viele Neonazis gab. Er habe in der Jugend gedacht, dass in dieser Umgebung etwas nicht stimme, sagt Jung. Später merkte er, dass in der ganzen Gesellschaft etwas nicht stimmt, Winzerla also ziemlich „normal“ ist. Seit zwei Jahren lebt es aus privaten Gründen in Leipzig, möchte sich hier aber nicht in einer intellektuellen Blase konservieren. Darum handelte eine seiner letzten Aktionen auch in Wuppertal, wo er in einem heruntergekommenen Einkaufszentrum bananengelbe Folien mit seinen typisch lakonischen Zeichnungen aufhängte, die Geschichte eines Elefanten erzählend. Die Story des aus der dortigen Schwebebahn gestürzten Tiers ist bekannt. Jungs Elefant aber ist ein „Ossi“, fühlt sich fremd im Ruhrgebiet. Fremd ist er aber überhaupt in Europa, ein postkoloniales Erbe des Exotismus. Weil wegen Corona der Konsumtempel zumachen musste, verhungerte er schließlich.

Die Pandemie selbst ist Gegenstand von Jungs neuestem Projekt. Es geht dabei um die blinden Flecken, die das Starren auf das Virus verursacht, also gesellschaftliche Zustände, die kaum mehr Beachtung finden, beispielweise was die Aufforderung „Stay home!“ für Menschen bedeutet, die gar kein Zuhause haben. Aber auch das Ausnutzen der Krise durch rechte Autokraten, um ungehinderter Durchregieren zu können, gehört dazu. Rund 1000 Zeichnungen sind dazu entstanden. In der slowenischen Hauptstadt Ljubljana soll es im September dazu eine Ausstellung geben. Untätig wird Sebastian Jung bis dahin garantiert nicht sein.

www.jungjungjung.com

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