Der lange Sommer

Sie wollen nur Musik machen. Mehr Mainstream-Rock als Punk, wie sie es bezeichnen. Kräftige, aber alles im allem brave Musik. Ihre Idole sind David Bowie, Blondie, Lou Reed.

Mike (vermutlich heißt er Michail) ist mit seiner Band im Leningrad der frühen Achtziger schon einigermaßen bekannt, als er Vikor Tsoi trifft. Den gab es wirklich, er wurde bald zu einer Underground-Größe. Es ist die lähmende Endphase der Ära Breshnew, die Uhr scheint still zu stehen.

Der Film „Leto“ (Sommer) sei zu wenig politisch, sagen manche Kritiker. Tatsächlich sind keine direkten antikommunistischen Aussagen zu hören. Und auch die Liedtexte sind nicht all zu rebellisch. Doch zu dieser Zeit war es schon aufmüpfig, nicht in der sozialistischen Produktion Höchstleistungen anzustreben, sondern zu singen: Meine Laune hängt von der Zahl der geleerten Bierflaschen ab.

Wer in der DDR erwachsen geworden ist, muss an einigen Stellen Déja vu-Effekte haben. Dieser Zwang, alles kontrollieren zu wollen, ohne es überhaupt zu verstehen. Diese hohlen Parolen und Erfolgsmeldungen im Fernsehn.

Wenn der Film zu unpolitisch sein soll, wird offenbar die Situation des Regisseurs Kirill Serebrennikow auf die Filmhelden übertragen. Gerade wurde sein Hausarrest wegen absurder Unterschlagungsvorwürfe um mehrere Monate verlängert. Dabei ist auch er kein scharfer Kreml-Kritiker. Es reicht, ein unabhängiger Geist zu sein. Schon sein offener Umgang mit dem Schwulsein ist in Putins Russland ein Politikum, so wie es bei Breshnew hochgegelte Haare und kreischende Gitarren waren.

Der Film erzählt zwar chronologisch linear in starken Bildern und schnellen Schnitten, dennoch ist es eine Montage. Da gibt es eine Person, die nicht wirklich dazu gehört, aber sowohl die Rolle des Kommentators für den Zuschauer als auch des aufwiegelnden Provokateurs für die Musiker spielt. Und es gibt einen Kameramann, der stets Skandale ins Bild bekommen will, so wie es sich für Rockstars angeblich gehört. Die eingestreuten Schnipsel dieses Filmers sind die einzigen Farbbilder im ansonsten in hartem Schwarzweiß gehaltenen Streifens. Ein besonderes Stilmittel sind die unterbrechenden Quasi-Videoclips, wo unter anderem die Leute in einem überfüllten Leningrader Stadtbus auf dem Weg zur Arbeit Iggy Pops „Passenger“ intonieren. Animationen schaffen zusätzliche Verfremdung.

Einige Parallelen zur Gegenwart tun sich tatsächlich auf. Der Unterschied ist aber, dass damals bei all dem Stillstand doch irgendwie Hoffnung auf einen Aufbruch da war und es heute schwerfällt, daran noch zu glauben.

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