Nachtflug nach Tbilissi

Es regnet in Strömen bei der Abfahrt von Leipzig nach Berlin, auch auf der Autobahn wird es nicht besser. Noch viel finsterer ist aber die Prüfung der Flugtickets auf halber Strecke – nur eines von zweien ist da. Zum Umkehren reicht die Zeit nicht. Ein Anruf bei Air Baltic. Ja, für 75 Euro bekomme ich einen Ersatzschein am Flughafen ausgestellt. Die Maschine hebt in Tegel mit einer halben Stunde Verspätung ab. Nicht wegen mir. Da wir in Riga aber nur 40 Minuten zum Umsteigen haben, könnte es knapp werden.Kein Problem, der Anschlussflug nach Tbilissi hat gewartet. Auf jedem Sitz des lettischen Flugzeuges liegt eine Werbekarte für Balticcard Mobile, einen Telefonanbieter. Da stehen Tarife drin, die man beispielsweise bei Anrufen aus Antigua oder von den Seychellen aus zu bezahlen hat. Nicht aber aus Russland. Feindliches Territorium. I´m back in the USSR.

Die netten Stewardesen unterhalten sich trotzdem untereinander auf Russisch. Nach einigen Stunden Reise und dem Verbot, Flüssigkeiten außerhalb des eigenen Körpers mit an Bord zu nehmen, wächst das Verlangen nach Getränken. Für drei Becher Pulverkaffee und drei Sandwiches zahlen wir 14 Euro.

Mitternacht. Ein Flugzeug voller Schläfer, trotz heftiger Turbulenzen über dem Schwarzen Meer. Der für mich bisher ungewöhnlichste Beginn meines Geburtstages. Landung in Tbilissi gegen vier Uhr Ortszeit. Die Maschine rollt seltsamerweise am farbig angeleuchteten Flughafengebäude mit dem kleinen Türmchen, errichtet in den frühen 1950ern, vorbei. Das nagelneue Terminal, erbaut von einer türkischen Firma, finanziert von den USA, kommt ins Blickfeld.

Jörg, mein Bruder, und Genadi, sein georgischer Chauffeur, erwarten uns schon. Die Rucksäcke werden in den Kofferraum von Genadis Mercedes verstaut, bei dessen Kauf ich ihm ein jahr zuvor in Leipzig behilflich war. Maximal 3000 Euro für einen Benz, der nicht älter als sieben Jahre sein soll – keine leichte Aufgabe. Ja, er wäre zufrieden, sagt Genadi diplomatisch, doch sei die Federung etwas zu weich für die georgische Provinz. Aber zunächst biegen wir im Morgengrauen in die George Bush Avenue ein, die vermutlich hoffentlich einzige Straße der Welt, die nach diesem großen A… benannt wurde. Noch etwas Neues: Am Platz vor dem Rathaus steht Georg, der Nationalheilige, goldglänzend auf einer hohen Säule. Ein Werk Zeretelis, der auch schon halb Moskau mit seinem Superkitsch verschandelt hat.

Es ist schon hell geworden. Frühstück auf dem großen Balkon von Jörgs jetziger Wohnung unterhalb des Mtazminda, dem Hausberg der Metropole. Frisches Fladenbrot, für ein paar Tetri beim ebenerdigen Verkaufsfenster des Bäckers an der Ecke geholt, Käse, Kaffee. Und mal probieren, ob das Argo-Bier noch so schmeckt wie vor zwei Jahren, kann man um diese Zeit auch schon.

Jörg sagt, dass heute abend Gäste kommen. Viele Gäste. Hohe Gäste. Der zweite Sekretär der deutschen Botschaft mit seiner Frau, welche für die Robert-Bosch-Stiftung arbeitet. Noch eine Botschaftsmitarbeiterin. Die Frau des georgischen Kulturministers. Eine Abteilungsleiterin des Goethe-Instituts mit ihrem chinesischen Mann. Und Lehrerkollegen, deutsche wie georgische, Schülerinnen, Schüler … Etwa 30 Leute.

Ein schöner, verrückter Geburtstag. Ich werde 46. Es ist der 30. Mai 2007.

Frühstück auf einem Balkon in Tbilissi.

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