Auf der anderen Seite

Ich habe mich mit Meinungsäußerungen zum Nahostkonflikt seit vielen Monaten völlig zurückgehalten. Postet man da auch nur zwei Mal im Jahr etwas, was nicht ganz der Netanjahu-Linie entspricht, gilt es schon als „Obsession“.

Wenn ich mich aber als Journalist angegriffen fühle, muss ich doch mal was sagen. Auf einem FB-Profil, ich möchte keinen Namen nennen, wurden kurz nacheinander Beiträge gepostet, die dem entsprechen.

Zuerst ist es ein Artikel von Michael Wolffsohn, früherer Professor an der Bundewehrakademie München, ein Video-Interview mit „Die Welt“, überschrieben mit „Völlig absurd. Unfassbarer Fehler des Westens.“ Bei meinem Einstellungsgespräch als Reporter der Freien Presse bekam ich ein Interview einer Journalistin der Berliner Zeitung vorgelegt, auch als Berlinskaja Prawda bezeichnet. Es bezog sich auf seine Rede zur Verleihung des „Wächterpreises“ 2021, einer Auszeichnung für Mitarbeiter von Tageszeitungen. Wolffsohn machte diese Laudatio zu einer Publikumsbeschimpfung. Ohne Ausflüge in die Politische Philosophie und jedermann verständlich: Selbst im Qualitätsjournalismus maßen sich manche nicht selten an, ihre persönliche Darstellung, Analyse und erst recht ihre eigene Meinung für die einzig richtige zu halten. Als Beispiel dafür führt er die Al-quds-Demos dieses Jahres an. Beispielhaft dafür die Berichterstattung vieler Top-Zeitungen über die scheinbar »nur« anti-israelischen, tatsächlich antisemitischen Demonstrationen arabischer und anderer Muslime im Mai 2021. Wolffsohn lügt vorsätzlich. Von taz bis FAZ haben alle großen Zeitungen diese Demos als antisemtisch bezeichnet.

Er muss lügen, weil ihn die Ausrichtung vieler Medien nicht gefällt: Umfragen dokumentieren seit Jahren die grün-rote Hegemonie unter Journalisten. Egal, ob gut oder schlecht, in der Gesamtgesellschaft kann von der grün-roten Hegemonie keine Rede sein. Der zweite Teilsatz stimmt, was aber an FAZ, Welt oder gar BILD links-grün sein soll, erklärt er nicht. Er muss es aber bekämpfen. Ich als rot-grüner Schreiberling gehöre zu seinem Feindbild.

Das zweite Beispiel: Es wurde ein Artikel von Hans Noll verlinkt, der sich Chaim Noll nennt. Sohn von Dieter Noll, dessen Roman „Die Abenteuer des Werner Holt“ zu der wenigen Pflichtlektüre in der Schule gehörte, die ich gern gelesen habe. Der Artikel nennt sich „Europa auf dem Weg ins Mittelalter“, ist erschienen auf Broders „Achse des Guten“. Neben radikalem Antislamismus ist es ein Hauptanliegen dieser Plattform, die Lügen der Klimahysteriker zu entlarven. Ausgerechnet hier also eine Warnung vor dem Rückfall in Zeiten vor der Aufklärung? Klar, Hans Noll tritt auch gern bei AfD-Veranstaltungen auf. Nicht bei irgendwelchen Kreisverbänden, auch bei der Bundestagsfraktion.

Der verlinkte Artikel macht sich aber erst am Ende „Sorgen“ um Europa, fängt damit an, die israelische Zeitung Haaretz zu verunglimpfen: In diesem Blatt führt der greise Verleger Amos Schocken seinen erbitterten Feldzug gegen die israelische Gesellschaft, weil sie sich nicht so entwickelt, wie er es für richtig hält. Der Name Schocken ist in Chemnitz bekannt. In dem nach dem Kaufhausgründer benannten Gebäude betreibt eine israelische Jüdin ein Café. Sie wurde von den Chemnitzer Zionisten von der Verleihung des Chemnitzer Friedenspreises gecancelt, weil sie für eine Versöhnung mit Palästinensern eintritt.

Nolls Artikel endet mit sagenhafter Geschichtsklitterung, sagenhafter Hybris: Roms beginnender Niedergang im zweiten Jahrhundert koinzidiert mit der grausamen Niederschlagung des letzten Widerstands in Judäa. Das Ende der Großmacht Spanien begann mit der Verfolgung und Austreibung seiner Juden. Zur selben Zeit entwickelten sich England und Holland, die den Flüchtlingen neue Heimat boten, zu den führenden Wirtschaftsmächten Europas. Auch Nazi-Deutschland und die Sowjetunion erlebten ihre Zusammenbrüche in unmittelbarer Folge auf die Misshandlung und Vertreibung ihrer Juden. Während die Vereinigten Staaten die jüdischen Flüchtlinge aus diesen Ländern aufnahm und zur gleichen Zeit zur Weltmacht aufstiegen.  Abgesehen davon, dass man seine Behauptungen leicht widerlegen kann, unterstützen sie die These des Strebens der Juden nach Weltherrschaft.

Gemeinsam ist Noll und Woffsohn der Hass auf Journalisten, die das imperialistische Handeln Netanjahus und seiner rechtsradikalen Regierung nicht kritiklos abfeiern. Dazu gehöre ich, trotz meiner Zurückhaltung in öffentlichen Meinungsäußerungen. Wer solche Verbündete im Kampf „gegen jeden Antisemitismus“ braucht, verurteilt mich. Ich stehe auf der anderen Seite, möchte von Wolffsohn und Noll mundtot gemacht werden.

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