Ein farbloses Chamäleon

Keine Literaturkritik, nur ein subjektives Urteil zu einem Roman mit brennend aktuellen Thema.

Der Plattform „Perlentaucher“ als einem für mich sehr seriösem Medium vertrauend, habe ich mir nach einer positiven Rezension ebenda das Buch „Chamäleon“ von Yishai Sarid gekauft, nun auch mit etwas Verzögerung gelesen.

Anlass dafür war vor allem das in der Rezension beschriebene Thema. Ein Journalist, Shai Tamus, verkauft sich in der Krise seiner Karriere an die andere politische Seite. Schon diese Darstellung in besagter Rezension stimmt nicht. Er hat schon sukzessive die Seite vom scharfzüngigen linken Kritiker hin ins Lager der rechtslastigen Regierung Netanjahu, der im Buch im Unterschied zu anderen Politikern nicht beim Namen genannt wird, gewechselt. Es ist es kein Strohhalm, sondern ein Einfallstor, als er von einem Fernsehsender, nur als „Channel“ bezeichnet, die Chance bekommt, als geläuterter Ex-Linker täglich in einer Talkrunde seine immer radikaleren Meinungen von sich zu geben. Er muss sich nicht mehr verbiegen, nur noch gegenüber Frau und Kindern halbherzig rechtfertigen.

Schon das ist ein Manko des Buches, dass die Wandlung sehr geradlinig verläuft, ohne innere Konflikte. Sogar der Fernsteuerung durch eine Schattenfigut namens „Golan“ widersetzt sich Shai Tamus nie ernsthaft. Und seine schöne Frau Alona, die an Demonstrationen gegen die Regierung teilnimmt, freut sich, dass ihr Gatte wider Ansehen bekommt und Geld verdient. Trotzdem bumst sie lieber mit dem reichen Sponsor ihrer Galerie als mit dem Mann.

Vor allem aber ist Yishai Sarids literarische Darstellung zumindest am Anfang des Buches ausgesprochen öde. Nach den ersten dreißig Seiten musste ich mich zwingen, überhaupt weiterzulesen. Da gibt es nur im Stil von „Was bisher geschah“ in den ewigen Fernsehserien eine staubtrockene Zusammenfassung von Tamus´ Auf- und Abstieg inklusive der familiären Krise. Später, als der Held vom Kulturminister zum hörigen Chef des wichtigsten Literaturpreises des Landes ernannt wird, um diesen von der linksliberalen Elite zu säubern, er aber nur untalentierte Schleimer findet, schreibt Sarid: Bei jedem Buch hoffte er, gleich bei den ersten Zeilen verzaubert zu werden, legt es aber nach einigen Seiten enttäuscht beiseite. Er sucht einen Wohlklang zwischen den Zeilen, fand ihn jedoch nicht. Das klingt nach unfreiwilliger Selbstkritik. Zwar suche ich nicht nach „Wohlklang“, aber nach einem Anlass, weiterzulesen. Und in dieser Beziehung hat der Autor es mir verdammt schwer gemacht.

Seine Erzählweise ist dürftig, er baut keine plastischen Bilder auf, die Dialoge sind flach, die Dramaturgie vorhersehbar. Wirklich schade bei diesem großen Stoff.

Für mich als Leser, der noch nie in Israel war, gibt es trotzdem paar interessante Erkenntnisse, falls man dem zweitklassigen Schriftsteller denn glauben kann. Das eine ist, dass es zwischen jüdischen und arabischen Israelis wohl kaum Kontakte gibt außer beim Einkaufen, in Restaurants oder Taxis. Das zweite ist, dass auch die jüdische Gesellschaft keineswegs so homogen ist, wie es hier manche eifrigen Israel-Fans darstellen möchten. „Was ist ihre ethnische Abstammung?“ fragt der TV-Produzent Tamus vor der nächten Talkshow. Halb Pole, halb Iraker, muss er zugeben. Als halborientalischer Jude gehört er damit zu einer zweitklassigen Gruppe, hat sich dennoch hochgearbeitet in Konkurrenz zur aschkenazischen Dominanz aus Mittel- und Osteuropa. Schließlich ist noch die Darstellung bemerkenswert, dass es in Israel offenbar nur zwei politische Lager gibt, nichts dazwischen, nichts daneben (außer vielleicht die Ultraorthodoxen). Das klingt wie eine Illustration von Tobias Prüwers These, eine politische Mitte existiere nicht.

Nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 und dem folgenden Krieg funktioniert Shai Tamus nicht mehr ganz so reibungslos als Sprachrohr der rechten Regierung. Dass er schnell fallengelassen wird, ist logische Folge in diesem allzu oberflächlich moralisierenden Roman.

Yishai Sarid: Chamäleon. Verlag Kein & Aber Zürich 2025, ISBN 978-3-0369-5064-6

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