KLP 6

Gerade noch so vor der Buchmesse, wo ich mehr Literatur anhören als selbst lesen möchte, habe ich den zweiten großen Abschnitt von Pynchons „Gegen den Tag“ geschafft. Jetzt ist erst einmal eine Pause notwendig.Das Schema der Konstruktion dieses Romans scheint nach 640 Seiten (noch nicht ganz die Hälfte) erkennbar geworden zu sein. Auf der einen Ebene agieren die luftschiffenden Freunde der Fährnis, auf der zweiten realistischer angelegte Figuren der amerikanischen Gesellschaft im frühen 20. Jahrhundert. Doch beide Ebenen treten vielfach in unmittelbare Beziehung zueinander. Die pseudo-physikalischen Fantasy-Elemente bekommen bei den FdF mehr Raum, doch auch andere Handlungsstränge sind nicht ganz frei davon. Die wichtigsten weiteren Gruppierungen, wiederum vielfältig miteinander verwoben, sind der superkapitalistische Vibe-Clan, die anarchistisch angehauchte Traverse-Familie und Lew, der Detektiv. Wie das alles zusammengeht zeigt am deutlichsten die Episode, als Reef Traverse, mit dem von Vibe-Killern ermordeten dynamitliebenden Vater durch die Prärie reitend ein FdF-Groschenheft liest. Seine Schwester Lake hingegen, die sich schon als Minderjährige Geld mit bezahltem Sex verdiente, heiratet schließlich einen der Mörder ihres Vates und bekommt den zweiten gleich dazu. So lässt sich Pynchon dann nach vierhundert Seiten zu Sätzen wie diesem herab: Nachdem sie sich der Vorstellung ergeben hatte, dass sie zwischen zwei Feuer geraten war, ertappte sie sich dabei, dass sie sich besonders darauf freute, wobei sie normalerweise einen im Mund hatte und der andere von hinten kam, manchmal in ihren Arsch, sodass sie sich schnell daran gewöhnte, ihre eigenen Säfte mit Scheiße vermischt zu schmecken. Wer hätte solche Wendungen erwartet?

Natürlich werden noch viele andere Akteure eingeflochten und Schauplätze sind die ganze Welt (die FdF etwa werden als Schuldige des Einsturzes des Campanile von Venendig entlarvt) sowie irreale Sphären. Arg aufgesetzt wirken allerdings die wiederkehrenden Kapitalismuskritiken. Von solch einem renommierten Autor erwartet man eigentlich, dass sich derartige Aussagen aus der Handlung logisch ergeben, nicht aber einem Pflichtbewusstsein gehorchend alle hundert Seiten willkürlich eingestreut werden.

Nicht gerade animierend für die weitere Lektüre ist auch, dass nach mehr als sechshundert Seiten und reichlich 20 Jahren Handlungszeit kein Ziel sichtbar wird, auf das der Roman hinsteuern könnte. So etwas wie einen Plot scheint es nicht zu geben, bei aller Finesse in den Details schleppt sich das Ganze recht träge dahin. Gegenwärtig scheint sich der Fokus nach Europa zu verlagern. Lew ist schon in London, und zwar in den Fängen einer obskuren Sekte, die der Zahlenmystik anhängt. Weitere Protagonisten machen sich auf den Weg ins alte Europa.

(Unvollständiges) unklares Inventar: Quaternionist; transnoktial; Warupanker; Nesselrode-Pudding, Paté de foie gras in Aspik; Leclanché-Elemente, Breguetstil; synoptischer Telegraph; Neofungolin; Galandronom; literalistisch; Breloques; Arapahoe-Street-Haarschnitt; morsus podici; Jaconet …..

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